„Wir, als Einrichtung für Menschen mit Behinderung, waren von der Perfektion des Mordens in der Nazizeit betroffen“, sagt Rainer Waldvogel. Der Gesamtleiter des Dominikus-Ringeisen-Werks (DRW) Unterfranken will sich eigentlich nicht rechtfertigen. Und doch muss er gelegentlich erklären, warum die DRW-Stiftung zusammen mit den Schwestern der St.-Josefskongregation (Ursberg) jetzt, knapp 80 Jahre nach dem schrecklichen Geschehen, in Maria Bildhausen (Lkr. Bad Kissingen) ein Mahnmal für die Opfer der Euthanasie errichten will. Denn das Thema polarisiert. „Während die einen uns bestärken, fragen uns andere, wieso wir die Gedenkstätte gleich so groß bauen müssen.“
Die Pläne von Architekt Roland Ress (Bad Königshofen) sehen ein begehbares Gebäude vor, das knapp 30 Quadratmeter groß ist. Baustoff ist schroffer grauer Beton, der laut Waldvogel den Gang der Opfer zur Tötung in einen Keller versinnbildlichen soll. In den Wänden sind Glasfenster, die bunt bemalt sind. „Sie geben Licht und machen Hoffnung“, erklärt Waldvogel die Symbolik. Am auffälligsten ist der große Betonpfeiler, der wie ein Beil von außen ins Gebäude einfährt. „Das Haus wird sozusagen gespalten. Das soll die Dramatik des damaligen grausamen Geschehens unterstreichen.“
Besuch in Schloss Hartheim
Die Idee zu diesem Mahnmal entstand im Herbst 2013. Damals machte sich eine Delegation des Dominikus-Ringeisen-Werks und der St.-Josefskongregation auf den Weg nach Schloss Hartheim bei Linz, um dort eine Gedenktafel für jene 199 Männer und Frauen aus ihren Einrichtungen zu enthüllen, die seinerzeit vergast wurden. Das neue Mahnmal soll nun das Gedenken an die 199 Opfer unterstützen.
Das schmucke Schloss in Oberösterreich gelangte nämlich im NS-Regime als Zentrale der systematischen Vernichtung behinderter Menschen zu trauriger Berühmtheit. Von Mai 1940 bis Dezember 1944 sollen dort, nach Schätzungen, etwa 30 000 Menschen durch Vergasen ermordet worden sein.
Künstler mit dabei
Es sind Eindrücke, die man nicht vergisst, sagt Waldvogel. Manches dort Gehörte habe man kaum aushalten können. So etwa, wenn es um die Beschreibung der von den Nazis angestrebten „schnellen und effizienten Tötung“ der Menschen ging. Auch Künstler waren bei der Fahrt dabei, wie Galerist Thomas Pfarr aus Münnerstadt und Bildhauer Willi Grimm aus Kleinrinderfeld. Grimm war sofort überzeugt, dass man die Erinnerung an die Opfer der Euthanasie auch in Maria Bildhausen sichtbar machen muss, beschreibt Waldvogel die bisherige Entwicklungsgeschichte des Mahnmals.
Etwa ein halbes Jahr später hatte der Kleinrinderfelder Künstler seine Blitzidee in einen ersten realen Entwurf umgesetzt. „Das Modell gefiel uns“, sagt der DRW-Gesamtleiter. Doch wie das so ist: Es kommen immer wieder andere Projekte dazwischen, die man zuerst angehen müsse, sagt Waldvogel. Erst im Sommer 2015 entschloss man sich, die Idee des Künstlers endlich anzugehen. „Willi Grimm wurde 88 und sagte uns, wenn er das Mahnmal noch realisieren soll, müssten wir es jetzt verwirklichen.“
Erste Kostenschätzung
Architekt Ress machte einen ersten Entwurf und lieferte eine Kostenschätzung über rund 150 000 Euro. Thomas Pfarr stellte Kontakte zu bauausführenden Firmen her und führte erste Vorgespräche. Ress und die beiden Künstler sagten zu, unentgeltlich zu arbeiten. „Wir wollen noch weitere Menschen für unser Anliegen gewinnen, Leute, die Hilfestellung geben, vielleicht ehrenamtlich mithelfen oder etwas spenden“, sagt der Gesamtleiter. 50 000 Euro hofft man, auf diese Art zu finanzieren. Den Rest wollen sich die beiden Träger der Einrichtungen, Dominikus-Ringeisen-Werk und St.-Josefskongregation, teilen.
Zwischen dem „Euthanasie-Programm“ der Nazis und dem geplanten Völkermord an den europäischen Juden bestand ein enger Zusammenhang, denn das Töten durch Gas wurde Anfang der 1940er Jahre von den Nazis als eine Art „Probelauf“ zum späteren Holocaust praktiziert. Wichtig ist den Verantwortlichen in Maria Bildhausen allerdings, dass ihr Mahnmal nicht als Holocaust-Gedenkstätte wahrgenommen wird, sondern als ein Ort der Erinnerung an die Opfer der Euthanasie.
Baubeginn im Mai
Baubeginn für die Gedenkstätte soll im Mai sein. Derzeit wird die Ausschreibung vorbereitet. Nach drei Monaten könnte das kleine Haus der großen Erinnerung dann bereits stehen, hofft Waldvogel. Willi Grimm wird die Glasfenster bemalen und hat bereits einen Großteil davon fertiggestellt. Der Künstler wird im August dieses Jahres 90 Jahre alt. Waldvogel: „Das Mahnmal ist für ihn die Krönung seines Lebenswerks.“
Mehr Infos unter www.bildhausen.de
Euthanasie-Anstalt Hartheim Das Schloss Hartheim bei Linz war bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Pflegeheim für Menschen mit geistiger Behinderung. Im März 1940 bauten die Nationalsozialisten das Gebäude zu einer Euthanasie-Anstalt um. Im Erdgeschoss des Ostteils wurden eine Gaskammer, der Leichenraum und ein Verbrennungsofen errichtet. Von Mai 1940 bis Dezember 1944 wurden in Hartheim nach Schätzungen rund 30 000 Menschen ermordet, darunter psychisch Kranke, körperlich und geistig Behinderte sowie Häftlinge aus Konzentrationslagern. Es gab jedoch auch noch andere Tötungsanstalten, zum Beispiel in Kaufbeuren, Irsee, Günzburg und Egelfing-Haar. Aus den Einrichtungen der St.-Josefskongregation (Franziskanerschwestern) in Ursberg/Schwaben und den Filialen, zu denen auch das fränkische Kloster Maria Bildhausen zählt, wurden seinerzeit insgesamt 519 Menschen mit Behinderung in solche Anstalten verlegt. Davon kamen 199 Personen in Hartheim durch Vergasen zu Tode, darunter fünf Personen aus Maria Bildhausen. 180 wurden in anderen Anstalten durch Verhungern und Spritzen von Überdosen an Schlafmitteln getötet, davon zwei aus Maria Bildhausen. Von den 22 Menschen, die damals aus Maria Bildhausen deportiert worden waren, kamen dann wieder 15 zurück ins Kloster. ikr
„Das Haus wird sozusagen gespalten. Das soll die Dramatik des grausamen Geschehens unterstreichen.“
Rainer Waldvogel, Gesamtleiter