Von Mai 2014 bis April 2020 saß Benjamin Wildenauer im Stadtrat. Eigentlich gehört der 35-Jährige der Piratenpartei an, war dort sogar zeitweise politischer Geschäftsführer des Landesvorstands. Im Stadtrat hielt er sich aber zur SPD. Sein Bruder Florian Wildenauer ist Vorsitzender des Ortsverbandes. Während der Landtagswahl im Jahr 2018 war Benjamin Wildenauer der einzige – wenn auch chancenlose – Gegenkandidat zum damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU). Lokal setzte er sich als Referent des Stadtrats für Jugend, Jugendzentrum und Kommunikation ein. Digitale Themen sind sein Steckenpferd. Außerdem unterstützt er den Förderkreis Europäische Städtepartnerschaften sowie die Bad Brückenauer Karnevalisten aktiv.
Frage: Herr Wildenauer, was war die markanteste Entscheidung des Stadtrats, an die Sie sich erinnern können?
Benjamin Wildenauer: Ich finde es immer schwer zu beurteilen, was wichtiger oder unwichtiger ist. Schließlich hängt das immer auch sehr von der Perspektive ab, aus der eine Person das Geschehen beobachtet. Unter anderem würde ich aber die Entscheidung rund um die Ausrichtung des 2015er Stadtfestes nennen, die meines Empfindens nach bis heute nachwirkt. (Damals entschied der Stadtrat, die Organisation aus Kostengründen in die Hände des Forums/heutige Werbegemeinschaft zu legen; Anm. d. Red.).
Rückblickend würde ich mein Votum für diese Entscheidung auch als eine völlige Fehlentscheidung werten.
„Und nicht zuletzt die Nase eines Trüffelschweins, um rechtzeitig zu erkennen, wenn eine Sache stinkt.“
Benjamin Wildenauer, ehemaliger Stadtrat
Wo sehen Sie die Stadt Bad Brückenau im Moment? An einem Scheideweg angesichts vieler neuer Stadträte und eines neuen Bürgermeisters?
Wildenauer: Eventuell kamen die Wahlen angesichts der Corona-Krise nicht gerade zum günstigsten Zeitpunkt. Es scheidet jetzt immerhin viel Erfahrung auf einen Schlag aus. Andererseits sehe ich im insgesamt verjüngten Stadtrat bessere Chancen, wichtige Zukunftsthemen wie beispielsweise die Digitalisierung der Mittelschule anzupacken und umzusetzen. Die vergangenen Wochen haben uns eindrücklich vor Augen geführt, wie wichtig dieses Thema ist und in Zukunft sein wird.
Aber die Mittelschule wird nach der Generalsanierung doch mit hochmoderner Technik ausgestattet sein.
Wildenauer: Wir haben in der Schule digitale Ausstattung angeschafft, das ist auch gut so. Das hat aber wenig mit der Digitalisierung zu tun, die wir beispielsweise jetzt für das Homeschooling brauchen. Es müssen Möglichkeiten für einen flexiblen Unterricht geschaffen werden. In diesem Bereich muss mehr getan werden.
Die Kommunalpolitik kontinuierlich zu begleiten, öffnet den Blick für viele Abläufe hinter den Kulissen. Wie viel Gestaltungsmöglichkeit hat ein einzelner Stadtrat?
Wildenauer: Das ist sehr unterschiedlich. Prinzipiell ist man eben nur ein Zwanzigstel eines Gremiums. In Kombination mit einer kleinen Fraktion wie der SPD hat man da erst einmal nicht die Möglichkeit, irgendwas durchzuboxen. Da hängt es sehr von der eigenen Überzeugungskraft ab, aber auch von der grundsätzlichen Offenheit der anderen Stadträte, der Bereitschaft etwas zu diskutieren und es auch verstehen zu wollen.
Davon ist man in gewisser Weise abhängig. Diese Erfahrung musste ich beispielsweise recht früh bei der Einbringung des Antrags zum Erlass einer Informationsfreiheitssatzung machen, bei der ganz offenbar im Vorfeld mehr Aufklärungsarbeit nötig gewesen wäre. Die Diskussion während der Sitzung wurde damals durch einen Antrag auf Ende der Debatte abgesägt und der Antrag mehrheitlich abgelehnt.
Die Wahlbeteiligung lag in Bad Brückenau trotz einer spannenden Bürgermeisterwahl nur wenig über 50 Prozent. Glauben Sie, dass viele Bad Brückenauer von der Stadtpolitik enttäuscht sind und sich deshalb von ihr abwenden?
Wildenauer: Ich denke, die Stadtpolitik findet in der Öffentlichkeit zu wenig statt. Benjamin Wildenauer Häufig ist es so, dass den Bürger nur die schlussendliche Ratsentscheidung erreicht, aber wenige Informationen darüber, wie und warum welche Entscheidung so zustande gekommen ist. Wenn man nicht gerade einen Stadtrat in seinem persönlichen Umfeld kennt, tut man sich sogar dann noch recht schwer, wenn man aktiv an die Sache ran gehen will. Die meisten Leute, die nicht wählen gegangen sind, waren, denke ich, nicht enttäuscht, sondern hatten schlichtweg keine Berührungspunkte mit der Stadtpolitik.
Während der Landtagswahl boten Sie als Kandidat der Piratenpartei dem damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer die Stirn. Nun wurden Sie selbst als heimischer Stadtrat abgewählt. Eine Ohrfeige?
„Andererseits sehe ich im insgesamt verjüngten Stadtrat bessere Chancen, wichtige Zukunftsthemen wie beispielsweise die Digitalisierung der Mittelschule anzupacken und umzusetzen.“
Benjamin Wildenauer, ehemaliger Stadtrat
Wildenauer: Dass diese Kandidatur damals vor allen Dingen eine PR-Aktion war, ist ja ein eher offenes Geheimnis. Durchaus erfolgreich, hatten wir doch fast flächendeckend bessere Ergebnisse als in den Wahlen zuvor. Eine Ohrfeige war diese Stadtratswahl nicht. Von einer Abwahl möchte ich auch nicht unbedingt sprechen. Schließlich habe ich trotz meines vergleichsweise schlechten Listenplatzes mehr Stimmen geholt, als einige Kollegen, die aufgrund einer glücklicheren Listenkombination in den Rat einziehen konnten. (Franziska Kaul (CSU), Tom Kötzner (CSU), Hartmut Bös (GRÜNE), Heike Greenberg-Kremser (PWG), Robert Eder (PWG), Emanuel Fritschka (PWG); Anm. d. Red.). Ich bin einfach dem Sitzverteil-System zum Opfer gefallen. So etwas passiert. Darüber freue ich mich natürlich nicht, aber ich freue mich umso mehr darüber, dass unsere Fraktion auf drei Sitze angewachsen ist. Ein Fußballer, der die ganze Saison nur auf der Bank saß, freut sich ja auch darüber, wenn seine Mannschaft am Ende die Meisterschale holt, denn auch er hat seinen Teil zum Erfolg beigetragen.
Was wünschen Sie dem neuen Stadtrat und Bürgermeister?
Wildenauer: Die Augen eines Falken, um neben ein paar Hundehaufen auch die tatsächlichen Probleme in der Stadt zu sehen. Die Ohren einer Fledermaus, um wahrzunehmen, worüber die Leute sprechen. Und nicht zuletzt die Nase eines Trüffelschweins, um rechtzeitig zu erkennen, wenn eine Sache stinkt.