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Haßfurt: Hilfe für die Opfer von Gewalttaten: So arbeitet der Weiße Ring im Landkreis Haßberge

Haßfurt

Hilfe für die Opfer von Gewalttaten: So arbeitet der Weiße Ring im Landkreis Haßberge

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    Therapiehund Kimi ist für Monica Gomes eine wichtige Stütze. Dass sie das Tier bekommen hat, hat sie vor allem der Unterstützung durch den Weißen Ring zu verdanken.
    Therapiehund Kimi ist für Monica Gomes eine wichtige Stütze. Dass sie das Tier bekommen hat, hat sie vor allem der Unterstützung durch den Weißen Ring zu verdanken. Foto: René Ruprecht

    Monica Gomes wirkt im Gespräch sehr aufgeschlossen. Die 47-Jährige aus Haßfurt spricht offen über ihre Gewalterfahrungen. An ihrem Verhalten würde man ihr dabei nicht anmerken, dass sie an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung leidet. "Komplex" steht dafür, dass der Auslöser kein einmaliges Erlebnis war. Über einen Zeitraum von vielen Jahren habe sie Misshandlungen und Gewalt erlebt, was eine Rückführung ins Leben sehr schwierig mache, berichtet Gomes.

    Dass sie ihre Geschichte erzählen kann und dabei so gefasst wirkt, hat einen Preis. Denn solche Gespräche kosten sie viel Kraft. Einer geregelten Arbeit könnte sie nicht mehr nachgehen – obwohl sie ein abgeschlossenes Architektur-Studium hat.

    Der Weiße Ring: "Die ersten, die es richtig gemacht haben"

    Was ihr hilft, das Gespräch durchzuhalten, ist die Anwesenheit von Pudeldame Kimi. Dass ihr Hunde gut tun, hat sich beim Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik gezeigt. Doch bis sie selbst einen Therapiehund bekam, war es ein langer Weg. Viel Hilfe hatte sie dabei vom Weißen Ring – der Opferhilfeorganisation, die ihr auch erstmals das Gefühl gab, dass ihr zugehört wird, wenn sie ihre Geschichte erzählt. "Ich habe mit vielen Stellen gesprochen. Aber die beim Weißen Ring waren die ersten, die es gut gemacht haben", sagt Gomes.

    Ein Problem, das es ihr schwer macht, Hilfe zu bekommen: Zwar kann sie durchaus glaubhaft schildern, was ihr angetan wurde – und von wem. Beweisen kann sie es jedoch nicht, zumal die Taten mittlerweile verjährt wären. Es gibt also kein Urteil gegen die mutmaßlichen Täter, weshalb auch unsere Berichterstattung nicht näher auf den Fall eingehen kann.

    Gut geschult für die Arbeit mit Betroffenen

    Dennoch habe sie sich beim Weißen Ring nie "unter Verdacht" gefühlt, sich die Geschichte nur auszudenken, um Geld zu bekommen. Denn auch das ist eine Hilfe, die Gewaltopfer erhalten können: Der gemeinnützige Verein hat die Möglichkeit, Betroffene finanziell zu unterstützen, beispielsweise wenn es um Therapiemaßnahmen geht, die die Krankenkassen nicht übernehmen.

    "Ich habe mit vielen Stellen gesprochen. Aber die beim Weißen Ring waren die ersten, die es gut gemacht haben."

    Monica Gomes über die Hilfe, die sie vom Weißen Ring bekommen hat

    So hat Monica Gomes dem Verein unter anderem ihr Therapietier zu verdanken. Gut ausgebildete Assistenzhunde sind teuer, würden aber von Krankenkassen nur selten bezahlt, erklärt sie.  Deshalb hat der Weiße Ring mit 10.000 Euro den größten Teil der Kosten für das Tier übernommen, weitere 3300 Euro kamen vom Bezirk Unterfranken.

    Hündin Kimi weicht Monica Gomes nicht von der Seite. Doch gut ausgebildete Therapiehunde kosten viel Geld und werden von der Krankenkasse nur selten übernommen.
    Hündin Kimi weicht Monica Gomes nicht von der Seite. Doch gut ausgebildete Therapiehunde kosten viel Geld und werden von der Krankenkasse nur selten übernommen. Foto: René Ruprecht

    Gomes möchte aber nicht den Eindruck entstehen lassen, als würde die Organisation jedem, der behauptet, Gewalt erlebt zu haben, ungeprüft Geld geben. "Die schauen sich die Fälle an", sagt sie und betont auch, dass die Mitarbeitenden des Weißen Rings wirklich Ahnung haben. "Die werden sehr gut geschult."

    Über einen Deeskalationsworkshop zum Weißen Ring

    Wie diese Schulung abläuft, berichtet Katja Kaspar. Die 44-Jährige gehört seit 2018 zum Team des Weißen Rings. Dazu gekommen ist sie durch einen Deeskalationsworkshop. Damit wollte die Krankenschwester darauf reagieren, dass es immer häufiger zu Übergriffen auf das Klinikpersonal durch Patientinnen und Patienten oder Angehörige komme, berichtet sie.

    Damals arbeitete Kaspar bei den Haßberg-Kliniken. Heute ist sie dort noch geringfügig beschäftigt, außerdem ist sie Dozentin an den Bamberger Akademien für Gesundheits- und Pflegeberufe. Nach dem Deeskalationsworkshop hielt sie es für sinnvoll, sich auch an die örtliche Hilfsorganisation zu wenden. Helmut Will, Außenstellenleiter des Weißen Rings für den Landkreis Haßberge, habe sie dann überredet: "Mach doch bei uns mit."

    Geschichten, die nichts für schwache Nerven sind

    "Die Leute werden nicht einfach so zu Opfern gelassen", sagt Kaspar. Bevor jemand selbst tätig werden kann, sind einige Schritte nötig. "Man geht erstmal zu drei Fällen mit." Wer sich danach noch immer zutraut, selbst in dem Bereich tätig zu werden, kann dann die Ausbildung zum Opferhelfer oder zur Opferhelferin beginnen. Diese besteht aus einem Grund- und einem Aufbauseminar in Bayreuth, was jeweils drei Tage dauert.

    "Man sollte eine große Portion an Resilienz mitbringen", sagt Katja Kaspar. Denn was man von den Opfern erfährt, ist in den meisten Fällen nichts für schwache Nerven. "Es ist nicht unbedingt sinnvoll, wenn man selbst Opfer ist", sagt Katja Kaspar über die Arbeit in der Opferhilfe – auch wenn es vorkomme, dass Leute eigene Erfahrungen auf diese Art verarbeiten wollen. Allerdings könne es zu einer Retraumatisierung führen, dann die Geschichten anderer Betroffener zu hören.

    Helmut Will vom Weißen Ring im Gespräch mit einer Frau, die Opfer einer Gewalttat wurde. Als Helfer braucht er starke Nerven, denn die Geschichten,  die er zu hören bekommt, sind oft sehr belastend.
    Helmut Will vom Weißen Ring im Gespräch mit einer Frau, die Opfer einer Gewalttat wurde. Als Helfer braucht er starke Nerven, denn die Geschichten,  die er zu hören bekommt, sind oft sehr belastend. Foto: Helmut Will

    Ganz ausschließen möchte Kaspar nicht, dass der Weiße Ring auch Mitarbeitende mit eigener Gewalterfahrung nehmen würde, wenn diese glaubhaft versichern, dass sie damit klarkommen. Allerdings sei das eine Einzelfallentscheidung. "Es kann auch ein Vorteil sein, wenn man die Situation kennt."

    "Man braucht Freude am Helfen. Den Rest bekommt man beigebracht."

    Katja Kaspar über die Anforderungen an ehrenamtliche Helferinnen und Helfer

    Zwei Kriterien gibt es aber, die keine Ausnahme zulassen: Wer Hilfe leisten will, muss über 18 Jahre alt sein und ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. "Man sollte kein Täter gewesen sein", so Kaspar. Ansonsten gelte: "Man braucht Freude am Helfen. Den Rest bekommt man beigebracht."

    Sechs-Augen-Prinzip: Zwei Helfer beim Gespräch mit dem Opfer

    Für die Gespräche mit den Betroffenen gelte dann das Sechs-Augen-Prinzip. Zwei Ehrenamtliche treffen sich mit einem Gewaltopfer, das den Verein kontaktiert hat. "Prinzipiell versuchen wir, möglichst schnell jemanden zu schicken, dass die Traumatisierung nicht so groß wird." Im besten Fall sollte ein Ehrenamtlichen-Team aus einem Mann und einer Frau bestehen.

    Idealerweise findet dieses erste Gespräch an einem neutralen Ort statt – gerade wenn es um häusliche Gewalt geht. Denn bei einem Treffen im Zuhause des Opfers bestehe die Gefahr, dass plötzlich die Täterin oder der Täter in der Tür steht. Organisationen wie das Rote Kreuz oder die Polizei stellen daher für solche Gespräche Räume zur Verfügung. "Es gibt auch die Form der Online-Beratung, um die Hemmschwelle niedrig zu halten", erklärt Kaspar.

    Geld aus Spenden, Nachlässen und Gerichtsprozessen

    Bezahlt wird den Helferinnen und Helfern ihr Idealismus nicht: "Sie kriegen eine Fahrkostenpauschale und das war's." Das Geld, das der gemeinnützige Verein zur Verfügung hat, fließt vor allem in die Unterstützung der Betroffenen. Sei es durch die Übernahme von Therapiemaßnahmen oder durch die Zahlung einer Soforthilfe, wenn beispielsweise ein Gewaltopfer vom Täter finanziell so abhängig ist, dass es sich sonst nicht aus der Situation befreien könnte, ohne auf der Straße zu landen.

    Das Geld kommt größtenteils aus Spenden oder Nachlässen. Außerdem ist der Weiße Ring eine der Organisationen, die manchmal Geld aus Gerichtsprozessen bekommen, wenn Straftäterinnen und -täter zur Zahlung für einen guten Zweck verurteilt werden.

    Deutschlandweit 40.000 Fälle im Jahr

    "Wir haben im Landkreis Haßberge im Jahr zwischen 15 und 30 Fälle zu bearbeiten", teilt Außenstellenleiter Helmut Will mit. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 hat der Weiße Ring laut seinem Jahresbericht deutschlandweit rund 40.000 Fälle betreut. "Das meiste ist sexuelle Gewalt", erklärt Katja Kaspar. Auch Missbrauchstaten gegen Kinder oder Körperverletzungen gehören zu den Fällen, mit denen sich der Weiße Ring beschäftigt. Seltener komme es auch vor, dass sich traumatisierte Opfer von Raub und Einbrüchen an die Organisation wenden.

    Kampf gegen Gewalt auf verschiedene Arten: Das Archivbild zeigt Katja Kaspar bei einem Vortrag zur Gewaltprävention in Neubrunn.
    Kampf gegen Gewalt auf verschiedene Arten: Das Archivbild zeigt Katja Kaspar bei einem Vortrag zur Gewaltprävention in Neubrunn. Foto: Johanna Derra

    Neben finanzieller Unterstützung bietet der Verein auch in anderer Form Hilfe. Wenn beispielsweise ein Vergewaltigungsopfer mental oder aufgrund der Lebensumstände noch nicht in der Lage ist, die Tat zur Anzeige zu bringen, kann der Verein Beweise, etwa aus einer frauenärztlichen Untersuchung, archivieren.

    Eine App für gerichtsverwertbare Beweise

    Außerdem bietet der Weiße Ring die "No Stalk App" an, mit der Stalkingopfer Vorfälle gerichtsverwertbar dokumentieren können, beispielsweise durch Fotos, Videos oder Sprachnachrichten. Gesichert werden die Beweise auf einem zentralen Server. "Das ist also auch sicher, wenn das Handy 'runtergefallen wird'", sagt Katja Kaspar.

    "Der Weiße Ring übernimmt eine wichtige Rolle, solange der Staat nicht hilft."

    Monica Gomes über die Bedeutung des Weißen Rings für die Gesellschaft

    Und der Weiße Ring bietet an, mit Personen zu sprechen, die von den Vorfällen wissen sollten. So erinnert sich Katja Kaspar an einen Fall, in dem ein Mann an seinem Arbeitsplatz übergriffig geworden sei, worüber der Opferhilfeverein schließlich dessen Arbeitgeber informierte. Dabei werde aber niemals ein Schritt unternommen, mit dem die Betroffenen nicht ausdrücklich einverstanden sind.

    Wer Hilfe annimmt, geht damit keine Verpflichtungen ein

    Auch sonst betont Kaspar, wer Hilfe annimmt, gehe damit keinerlei Verpflichtungen ein, wie beispielsweise einen Vereinsbeitritt oder die Rückzahlung von erhaltener Unterstützung. "Wir wollen die Leute ja nicht verschrecken."

    Wie wichtig es ist, den Zugang möglichst niedrigschwellig zu halten, zeigt auch die Geschichte von Monica Gomes, die auch lange gezögert habe, bevor sie mit dem Verein Kontakt aufnahm. Heute ist sie jedoch überzeugt: "Der Weiße Ring übernimmt eine wichtige Rolle, solange der Staat nicht hilft."

    Wer Opfer von Gewalt geworden ist, kann sich unter der Rufnummer (09531) 943516 oder per E-Mail an will.helmut@mail-weisser-ring.de mit dem Weißen Ring in Verbindung setzen. Auch wer ehrenamtlich mitarbeiten möchte, kann den Verein auf diesem Weg kontaktieren.

    Der Begriff "Opfer"Der Begriff "Opfer" ist mittlerweile umstritten. So kritisiert unter anderem die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal, das Wort sei negativ konnotiert und lege auf eine für die Betroffenen unangenehmen Art den Fokus darauf, dass sie in einer Situation wehrlos und ausgeliefert waren.Katja Kaspar und Monica Gomes verwendeten beide im Gespräch mit der Redaktion das Wort "Opfer". Der Weiße Ring habe sich bewusst dazu entschieden, erklärt Katja Kaspar. Denn man müsse das, was passiert ist, "beim Namen nennen". Alternativen wie "Betroffene" brächten das nicht ausreichend zum Ausdruck. Aus diesem Grund verwenden wir den Begriff auch in diesem Artikel.pes

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