Die Gesundheitspolitik stellte der VdK bei seiner Veranstaltung zur Bundestagswahl im Rudolf-Winkler-Haus in Zeil und als Live-Stream im Internet in den Mittelpunkt. Eingeladen waren Gesundheitspolitiker aller im Bundestag vertretenen Parteien. Den Fragen von Moderator Nikolaus Nützel vom Bayerichen Rundfunk stellten sich MdB Simone Barrientos von der Partei Die Linke, MdL Barbara Becker von der CSU, MdB Sabine Dittmar von der SPD, MdB Dr. Manuela Rottmann von Bündnis 90/Die Grünen, MdB Prof. Andrew Ullmann von der FDP sowie VdK-Präsidentin Verena Bentele.
Die VdK-Vertreter mit würden offenem Visier antreten, meinte VdK-Landesvorsitzende Ulrike Mascher. Sie würden Druck machen in der Sozial- und Gesundheitspolitik mit den Themen, die sie seit Jahren in groß angelegten Kampagnen spielen. "Und der VdK könnte bei der Bundestagswahl das Zünglein an der Waage sein", erklärte Landesgeschäftsführer Michael Pausder mit Hinweis auf die bundesweit 2,1 Millionen Mitglieder (Bayern 750 000, Unterfranken 97 000). In Unterfranken ist jeder neunte Einwohner im VdK. Umso stolzer war Kreisgeschäftsführerin Andrea Stühler-Holzheimer, dass die unterfränkische Veranstaltung dieses Formats im Landkreis Haßberge stattfand.
Alters- und Kinderarmut in einem der reichsten Länder der Welt bezeichnete Pausder als Armutszeugnis, ebenso die hohe Abhängigkeit des Schulabschlusses vom sozialen Status des Elternhauses. "Die Soziale Durchlässigkeit von unten nach oben war in den 60er und 70er Jahren schon mal besser", mahnte er und warnte davor, gerade jetzt im Zuge der Pandemie nicht eine ganze Generation abzuhängen. Den Mandatsträgern zeigte er eine repräsentative Umfrage, nach der eine Kindergrundsicherung 76 Prozent Zuspruch in der Bevölkerung habe. Auch Lohngerechtigkeit sei ein großes Anliegen des VdK. Zeit- und Leiharbeit bezeichnete Pausder als "moderne Sklaverei".
Enormes Detailwissen legte Ulrike Mascher an den Tag, die frühere VdK-Präsidentin und Staatssekretärin forderte vor allem, die Gewinnorientierung im Gesundheitswesen zu beenden und eine Krankenversicherung für alle einzuführen. Für Mascher und den VdK sei das der einzige Weg aus der Zwei-Klassen-Medizin. Das Wohl der Patienten müsse alleiniger Maßstab sein und das sei auch finanzierbar, denn Geld sei genug im System.
Wichtig sei die Aufhebung der so genannten Sektorengrenzen zwischen ambulant und stationär, die in der Krankenhausfinanzierung große Probleme machten. Das Krankengeldmanagement mancher Krankenkassen und den Kampf um angemessene Hilfsmittel bezeichnete Mascher oftmals als unwürdig. Es sei erniedrigend, wenn "eine Inkontinenzeinlage schon als Komfort bezeichnet wird, wenn sie kein Wundsein verursacht", wählte sie ein einfaches Beispiel.
In einer ersten Runde mit den Mandatsträgern ging es um die Bedarfsplanung der ärztlichen Versorgung und die Krankenhausfinanzierung. Sabine Dittmar, selbst Ärztin, erklärte unumwunden, dass die Bedarfsplanung nicht an der Realität orientiert sei; schon gar nicht bezogen auf den Altersdurchschnitt der praktizierenden Ärzte, ergänzte Manuela Rottmann. Auch Andrew Ullmann, ebenfalls Mediziner, sieht eine "Verteilungsstörung", weil die Planungsstrukturen teils überholt seien.
"Locker lassen werden wir auf jeden Fall nicht."
Verena Bentele, VdK-Präsidentin
Zum Thema Ende der Gewinnorientierung waren sich eigentlich alle Podiumsteilnehmer einig: es stecke viel Geld im System, alle Gesundheitsberufe arbeiteten bis zum Umfallen und dennoch gebe es Defizite. Deshalb sei ein Strukturwandel nötig. "Das ganze System muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden", so Verena Bentele.
Ein wichtiger Schritt wäre die Finanzierung der Vohaltekosten für die medizinische Versorgung auch in Krankenhäusern, wo das MRT nicht in drei Schichten läuft, so Dittmar. Eine Re-Kommunalisierung von privatisierten Kliniken sieht die Juristin Rottmann unrealistisch, "aber es braucht vergleichbare Wettbewerbsregeln. Wir erlauben derzeit Rosinenpickerei". Dabei müsste doch gerade im Gesundheitswesen die Solidarität alleinige Basis sein, so Simone Barrientos.
Barbara Becker sah in mehr Digitalisierung einen Weg, Patienten neue Zugänge zur Gesundheitsversorgung zu schaffen und Pflegepersonal von Dokumentationspflichten zu entlasten. Sie forderte mehr Studienplätze für Medizin sowie eine Stärkung des Landarztmodells.
Die Bürgerversicherung sehen SPD, Grüne und Linke wie auch der VdK als wichtigen Ansatz hin zu mehr Fairness im Gesundheitswesen, allerdings löse das noch nicht die Frage, wie man das Geld sinnvoll ausgebe. Die Selbstverwaltung, die Kassenärztlichen Vereinigungen, standen dabei in der Kritik. Ullmann als FDP-Vertreter sah bei den Kassen nicht "die kausale Problematik, aber wir haben ein Fehl-Anreiz-System". Dadurch würden unnötige teure stationäre Eingriffe veranlasst.
Dass es eine Pflegereform brauche, Geld wie Leistungen besser verteilt werden müsse, die Arbeitsbedingungen für Pflegepersonal verbessert werden müssten, das flache Land eine flächendeckende Versorgung brauche, darin waren sich in der Schlussrunde alle Teilnehmer einig. Wie man das anpacken will, wurde unterschiedlich deutlich ausgesprochen.
Verena Bentele erklärte in ihrem Schlusswort, dass sie für den VdK und dessen Mitglieder weiterhin den Finger in die Wunde legen werde. "Wir können die Effekte von politischen Maßnahmen an den Anliegen unserer Mitglieder messen und uns entsprechend weiter lautstark äußern. Wenn der VdK künftig weniger streiten muss, dann würde mich das freuen. Aber locker lassen werden wir auf jeden Fall nicht."

