Am Tatort fanden die Ermittler eine einzige brauchbare Spur: Das waren vor einer Sitzbank Spuckeflecken auf dem Boden aus Betonstein. Die DNA-Analyse ließ den Speichel drei Personen zuordnen: Einem Unbekannten, der in keiner DNA-Analysedatei (DAD) erfasst ist, und von dem auch sonst jede Spur fehlte. Und zwei mehrfach straffällig gewordenen und deshalb in der DAD registrierten Männern aus dem Maintal, die ergo in Verdacht gerieten, zu dem Trio zu gehören, das am 9. März 2013 gegen 21.15 Uhr einen Pizzaboten auf einem Bolzplatz bei Zeil am Main überfallen hatte.
Weil die Staatsanwaltschaft gegen die Beschuldigten keine weiteren Beweismittel vorlegen konnte und es das Landgericht Bamberg nicht auszuschließen vermochte, dass die Speichelproben schon Stunden vor der Tat gesetzt wurden, sprach die Zweite Strafkammer unter Vorsitz von Richter Manfred Schmidt die 30- und 27-jährigen Angeklagten am Dienstag vom Vorwurf der schweren räuberischen Erpressung frei. Da die Prozessbeteiligten sogleich auf Rechtsmittel verzichteten, erlangte das Urteil im Gerichtssaal Rechtskraft.
Nicht nur die beiden Strafverteidiger Klaus Spiegel und Timo Fuchs (beide Würzburg) hatten zuvor, ein jeder für seinen Mandaten, Freispruch gefordert, sondern auch Staatsanwalt Thomas Förster, der allerdings hervorhob, dies geschehe aus Mangel an Beweisen und nicht aus erwiesener Unschuld.
Von einer Telefonzelle in der Zeiler Altstadt aus hatte an jenem 9. März letzten Jahres, das war ein Samstag, eine männliche Stimme mit osteuropäischen Akzent bei einer Pizzeria in Ebelsbach drei Pizzen zur Auslieferung an das Freizeitgelände am Setzbach in Zeil bestellt. Der recht abgelegene Spiel- und Bolzplatz an der Straße nach Krum gilt gerade in den Abendstunden als beliebter Treffpunkt von jungen Männern und Frauen mit familiären Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion. Auch die beiden in Kasachstan geborenen Angeklagten hielten sich hier oft auf.
Als der Pizzafahrer eintraft, zwang ihn einer der drei mit Sturmhauben maskierten Täter mit vorgehaltener Pistole, die Pizzen, seinen Geldbeutel und sein Handy auf den Boden zu legen. Seine Komplizen saßen da auf jener Bank mit den Spuckespuren im Umfeld. Das inzwischen 27-jährige Opfer musste sich zu einem Pavillon begeben, während die Räuber mit seinem Auto und der Beute davonfuhren. Den Ford Sierra allerdings stellte das Trio keine 500 Meter entfernt am Friedhof ab, den Zündschlüssel ließ man stecken.
Bei seinen Befragungen konnte der Pizzalieferant, dessen Aussagen das Gericht für absolut glaubwürdig ansah, wenig Erhellendes über die Täter aussagen, außer dass sie russischen Akzept hatten und zwei schlank waren und einer eher korpulent. Auch sonstige Zeugenaussagen führten zu keiner konkreten Person. Die Kriminalpolizei hatte weder an der Kleidung des Opfers, noch im Lieferauto oder sonstwo verwertbares Material sichern können. Die Auswertung von Mobilfunkdaten gab weder Hinweise darauf, dass sich die Beschuldigten zur Tatzeit am Tatort aufhielten noch dass dies eine dritte als Täter in Frage kommende Person tat.
Monate vergingen, ehe die DNA-Analyse die beiden Treffer erzielte. Im August erging Haftbefehl gegen die beiden Männer, von denen der ältere bis zuletzt jegliche Aussage verweigerte und der jüngere sich für unschuldig erklärte. Letzterer räumte ein, sich am Tattag nachmittags mit Freunden auf dem Bolzplatz aufgehalten zu haben. Gegen 20.00 Uhr aber habe ihn seine Schwester hier mit dem Auto abgeholt und später zu einer Discothek nach Schweinfurt gefahren. Den Auftritt der Schwester im Zeugenstand bezeichnete Richter Schmidt am Dienstag jedoch als „alles andere als großartig“. Auf Nachfrage des Vorsitzenden vermochte sie sich nicht zu sagen, in welchem Monat ihr Bruder verhaftet wurde, wollte sich aber genau an den 9. März 2013 erinnern. Ihre Glaubwürdigkeit litt vor allem daran, dass sie im Gerichtssaal behauptete, schon bei ihrer ersten polizeilichen Vernehmung angegeben zu haben, sie habe ihren Bruder weit vor der Tatzeit vom Spielplatz abgeholt und nach Hause gebracht. Dies ist in den Akten nicht vermerkt, und der befragende Polizeibeamte bestritt in der Verhandlung diese für ein Alibi so relevante Aussage vehement. Mehrfach ermahnte Richter Schmidt die junge Frau, sich nicht in Lügen zu verstricken. Und dass er ihre Angaben für konstruiert hält, hob er in der Urteilsbegründung erneut hervor.
Hier nannte er als weiteren Schwachpunkt der Verteidigung, dass sich die Angeklagten wohl viel besser kannten und in engeren Kontakt standen als es der redewillige Beschuldigte angegeben hatte. Der hatte behauptet, er habe noch nie mit dem vermeintlichen Mittäter etwas zu tun haben wollen, weil der Drogen nehme. Dabei war der heute 27-Jährige zwei Tage vor der räuberischen Erpressung selbst aus einer längeren Haftstrafe entlassen worden – nicht wegen Drogenkonsums, sondern wegen Drogenhandels. Dennoch war „die Beweislage eindeutig zu schlecht, um darauf eine Verurteilung stützen zu können“, machte Richter Manfred Schmidt am Ende des Sitzung deutlich. Denn der einzige Anhaltspunkt blieb die Spucke.
Hier hatte das Gericht zwar keine Mühen und Kosten gescheut, neue Wege in der Kriminaltechnik und der Beweisführung zu gehen. Aber die Anstrengungen blieben letztlich fruchtlos. Ein Ingenieurbüro hatte, unterstützt von einer Gerichtsmedizinerin, im Labor erprobt, wie schnell Spucke auf Betonstein trocknet und wie sich dabei die Konsistenz des Speichels ändert. Zwar konnten im Trockenschrank die am 9. März herrschenden Verläufe von Temperatur und Luftfeuchtigkeit dank der Tabellen des Deutschen Wetterdienstes in etwa simuliert werden, doch insgesamt tauchten viel zu viele Unbekannte auf, als dass eindeutige Rückschlüsse darauf möglich gewesen wären, ob die beiden Angeklagten „tatzeitbezogen ausspuckten“ oder eben schon Stunden bevor. Denn nicht nur, dass der Speichel eines Individuums von Fall zu Fall unterschiedlich flüssig sein kann, auch auf Stein frisch aus dem Baumarkt vermag sich der Trocknungsprozess anders zu vollziehen als auf einer Oberfläche, die seit Jahren Wind und Wetter ausgesetzt ist. Der Polizei vor Ort war die Spucke als „frisch“ aufgefallen – für das Gericht war frisch nicht frisch genug, um zur Überzeugung zu gelangen, dass es die Räuber waren, die hier um sich gespuckt haben.