Bei aller Freude über das gute Miteinander der Religionsgemeinschaften in Bamberg plädiert Rabbinerin Dr. Antje Yael Deusel für mehr Akzeptanz der jüdischen Mitbürger. Und sie wirft einen Blick auf Frauen in einer immer noch dominanten Männergesellschaft.
Frage: 2021 wird das Festjahr begangen „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Erst 1935 wurde hierzulande die erste Rabbinerin ordiniert. War das nicht eine viel zu späte Zeitenwende?
Rabbinerin Dr. Antje Yael Deusel: Es ist wohl richtig, dass mit Regina Jonas 1935 die erste Rabbinerin im heutigen Sinn ordiniert wurde. Aber es gab bereits viel früher Frauen, die durchaus als rabbinische Gelehrte gelten, wie Bruria und auch Jalta, im 2. und 3. Jahrhundert, oder auch die Töchter von Raschi im 11./12. Jahrhundert, um nur einige Beispiele zu nennen. Und nicht alle von ihnen lehrten „hinter dem Vorhang“, wie man es von Hannah Rachel Verbermacher, der so genannten „Jungfrau von Ludomir“ aus dem 19. Jahrhundert erzählt. Die Existenz dieser gelehrten Frauen ist nur nicht so bekannt, sicherlich auch deswegen, weil die Frauen unter den rabbinischen Gelehrten zu jenen Zeiten stets in der Minderzahl waren – und es im Rabbinat bis heute noch sind, auch wenn unsere Zahl gegenwärtig beständig zunimmt.
Ist denn die religiöse Gleichberechtigung von Frauen im Judentum endgültig angekommen, oder gibt es noch dunkle Bereiche?
Deusel: Die Gleichberechtigung der Frau hat sich, gerade was den Zugang zu den religiösen Ämtern betrifft, innerhalb der verschiedenen jüdischen Strömungen unterschiedlich entwickelt. Diese Entwicklung ist auch noch nicht abgeschlossen. Regina Jonas war lange Zeit die einzige Frau im Rabbinat, und obendrein ging das Wissen um ihre Existenz über lange Jahre verloren. Bis mit Sally Priesand 1972 die zweite Frau ordiniert wurde, diesmal in den USA, dauerte es immerhin einige Jahrzehnte. Nach und nach erfolgte dann die Ordination von Rabbinerinnen in allen Strömungen. Seither nimmt die Zahl der Rabbinerinnen und auch Kantorinnen kontinuierlich zu. Auch in der modernen Orthodoxie wurde mit Rabba Sara Hurwitz 2009 bereits die erste Frau ordiniert, ein wirklicher Meilenstein – und durchaus nicht unangefochten.
Die Entwicklung geht weiter, sie ist auch nicht mehr aufzuhalten. Es braucht aber nicht nur die Bereitschaft der Frauen, die diesen Weg gehen wollen, sondern auch die Akzeptanz ihrer Umgebung, vor allem auch in den Gemeinden. Hier hat Rabbinerin Alina Treiger einen sehr treffenden Satz gesagt, der auch in unserem Buch zu lesen ist, nämlich dass „die Rabbinerinnen die Bereitschaft von Männern brauchten, ihnen diese Gleichberechtigung auch zu gönnen“.
Das betrifft allerdings nicht nur das Rabbinat, sondern auch viele andere Bereiche, und ganz bestimmt nicht nur im Judentum.
Fühlen Sie sich persönlich als eine Erbin von Regina Jonas?
Deusel: Ich würde eher sagen, als eine Nachfolgerin im geistlichen jüdischen Amt. Denn „Erbin“ bedeutet letztlich, etwas von jemandem zu übernehmen, etwas direkt übertragen zu bekommen. Regina Jonas hat als Erste die gläserne Decke durchbrochen, aber ihre Fußstapfen haben keinen ausgetretenen Weg hinterlassen, ihre Fußspuren wurden verwischt. Und doch war sie die Pionierin, die uns gezeigt hat: Es gibt einen Weg – aber gehen müsst ihr ihn selber, jede für sich.
Sie können als Rabbinerin in einer Stadt wirken, in der zwischen den Religionsgemeinschaften ein wohlwollendes Klima herrscht. Was gehört noch zu den schönen Seiten Ihres jüdischen Lebens in Bamberg?
Deusel: Da gäbe es freilich viele Dinge zu nennen. Eines davon, was mir besonders wichtig ist, besteht darin, dass unsere langjährige gemeinsame Arbeit im interreligiösen Dialog inzwischen weit über die einzelnen Religionsgemeinschaften hinaus reicht, hinein in unsere allgemeine Gesellschaft. „Bamberg ist bunt“ steht nicht nur auf dem Papier. Aus einem Nebeneinander in wohlwollender Toleranz ist inzwischen ein freundschaftliches Miteinander geworden.
Dennoch warnen Sie immer wieder vor antisemitischen Erscheinungen und Bedrohungen. Worin sehen Sie die größte Gefahr?
Deusel: Bedauerlicherweise können sich nicht alle mit Toleranz und Akzeptanz anfreunden. Häufig spielen dabei alte Vorurteile, Klischees und auch Ängste eine Rolle, die immer wieder bedient werden, sei es aus Unwissenheit, sei es – schlimmer noch - wider besseres Wissen. Die größte Gefahr besteht meines Erachtens darin, solche Erscheinungen in ihrer Wirkung zu unterschätzen. Aus Worten werden Taten, und die Taten werden immer gefährlicher, die Täter gewaltbereiter. Wachsamkeit ist daher wichtig, und noch wichtiger ist Aufklärungsarbeit, vor allem auch bei jungen Menschen.