Am Ende wusste der Angeklagte selbst nicht so recht, ob er weiter protestieren oder resignieren und einfach drauflosheulen sollte. Mit einem frustrierten „Ist ja alles wurscht“ zog er schließlich seinen Einspruch gegen den Strafbefehl zurück. Ihm bleibt damit nichts anderes übrig, als das Strafgeld von 1200 Euro zu akzeptieren. Hinzu kommen weitere 1200 Euro, die er vier Monate lang ungerechtfertigterweise als Wohngeld bezogen hatte. Und die er nun ratenweise ans Landratsamt zurückzahlt.
Der 37-jährige Familienvater aus dem Landkreis Haßberge hatte im November 2011 Wohngeld beantragt, weil er finanziell nicht über die Runden kam. Faktisch war er zu diesem Zeitpunkt pleite. Seit dem Jahr 2009 läuft bei ihm das Verfahren der Privatinsolvenz. Bereichern wollte er sich dadurch nicht, wie er beteuerte. Dennoch kam dem Angeklagten das Wohngeld nicht ungelegen und er hat sich offenbar recht schnell gewöhnt. So sehr zumindest, dass er es schlichtweg vergessen hat, der Behörde mitzuteilen, als es ihm finanziell wieder besser ging. So schilderte er es jedenfalls während vor dem Amtsgericht in Haßfurt.
Denn seine Ehefrau bezog ab Februar 2012 Arbeitslosengeld – wovon aus Sicht des Gesetzgebers, der von einer Bedarfsgemeinschaft ausgeht, automatisch auch der Mann profitiert. Er selbst trat Anfang 2013 einen neuen Job an. Diese Änderungen seiner Einkommenssituation blieben den Behörden unbekannt – bis er im Juli 2013 die Verlängerung des Wohngeldbezugs beantragt hat. Da ist dann alles ans Licht gekommen.
Die Frage, ob der Angeklagte es tatsächlich – wie er es bis zuletzt behauptete – nur versäumt hatte, es dem Landratsamt zu melden, dass er einen neuen Job hat und seine Frau Arbeitslosengeld bekommt, musste vor Gericht unbeantwortet bleiben. Oberstaatsanwalt Martin Dippold machte jedoch keinen Hehl daraus, dass er dem Angeklagten dessen Geschichte vom gestressten und dadurch vergesslich gewordenen Familienvater nicht glaubte. Laut Dippold bleibe der Staatsanwaltschaft nichts anderes übrig, als solch „gemeinschädliches Verhalten“ rigoros zu verfolgen. „Wenn wir das nicht machen würden: Was glauben Sie, wie die Sozialkassen geplündert würden?“
Richterin Ilona Conver machte dem 37-Jährigen keine Hoffnung, dass er mit seinem Einspruch gegen den Strafbefehl im Rahmen eines dann einzuleitenden Gerichtsprozesses durchkommt – nicht vorm Amtsgericht und, falls Rechtsmittel gegen ein dort gefälltes Urteil eingelegt würde, auch nicht in übergeordneter Instanz. „Da wird nichts Besseres rauskommen“, sagte die Richterin. Deshalb riet sie ihm dazu, über die Zurücknahme seines Einspruchs ernsthaft nachzudenken.
Dieser Schritt fiel dem Angeklagten sichtbar schwer. Mit brüchiger Stimme schilderte er vor Gericht seine eigentliche Angst: das Scheitern seiner Privatinsolvenz, wenn er den Strafbefehl wegen Betrugs annimmt. Seit fast fünf, sagte der nicht vorbestrafte Angeklagte, habe er sich nicht zuschulden kommen lassen, um seine Restschuldbefreiung, die ihm als Schuldner einen finanziellen Neuanfang ermöglichen würde, nicht zu gefährden.
Die Richterin vertrat die Ansicht, dass der Strafbefehl, um den es in der Verhandlung ging, nicht automatisch die Restschuldbefreiung des Familienvaters infrage stellen würde. Auf jeden Fall kann dessen Furcht davor kein Grund dafür sein, sein strafbares Verhalten nicht zu ahnden. Beinahe jeder Angeklagte habe vor Gericht eine mehr oder weniger glaubhafte Begründung parat, warum es in seinem Fall so gelaufen ist, sagte Richterin Conver.