„Das ganze Haslochtal war Minuten lang in eine gelbe Riesenwolke gehüllt!“, erinnern sich Zeitzeugen, als am 20. Mai 1926 – also heute vor 90 Jahren – bei einer Explosion in der Pulvermühle (einer Munitionsfabrik) „das Tal erbebte“. Das fürchterliche Unglück forderte neun Tote und etwa 30 Schwerverletzte.
Die genaue Unglücksursache ist aus den Veröffentlichungen jener Tage nicht ersichtlich. Bekannt ist ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg an die Gendarmeriestation Schollbrunn vom 31. Mai 1926, aus dem hervor geht, „dass das Unglück deshalb so katastrophal werden konnte, weil unter anderem in dem Gebäude 52 a eine große Menge Schießwolle gelagert war“.
Die Abteilung der Blättchenpulverfabrikation – hier entstand später das vor allem im Ausland häufig benutzte Pulver-Produkt – mit ihrem Riesenkamin war völlig vom Erdboden verschwunden. An dieser Stelle sah man einen „gähnenden Trichter sowie rauchende Schutt- und Trümmerhaufen“, ist in einer Veröffentlichung jener Tage zu lesen.
Bis nach Wertheim hat der gewaltige Luftdruck Fensterscheiben eingedrückt. Was vor 90 Jahren an Rettungs- und Hilfsmaßnahmen möglich war, wurde so rasch wie möglich in Szene gesetzt. Feuerwehren aus Hasloch, Rötbach, Kreuzwertheim, Michelrieth und Wertheim wurden an die Unglücksstelle in Marsch gesetzt. Die Sanitätskolonnen von Wertheim, Miltenberg und sogar von Würzburg eilten in das Haslochtal. Ärzte aus der gesamten Umgebung fuhren mit Autos und Motorrädern die Unglücksstelle an.
In einem Pressebericht über die Explosion ist ferner zu lesen, dass es für die Helfer nicht leicht war, „zu dem rauchenden und qualmenden Schutthaufen vorzudringen“. Von „herzzerreißenden Weh- und Hilferufen der Verschütteten“ wird weiter berichtet.
Zeugen vor Ort erinnerten sich: „Da kamen schon die ersten Geborgenen, entstellt durch Staub und Blut, unkenntlich gemacht durch die Dämpfe, die den Gesichtern einen bräunlich-aschgraue Färbung gaben.“
Zwei angeklagte Direktoren wurden von einem Gericht in Aschaffenburg am 10. Dezember 1926 freigesprochen, nachdem die Explosionsursache nie restlos festgestellt werden konnte. Das Bezirksamt Marktheidenfeld hatte dem Gründer der Pulvermühle, Kommerzienrat Otto Schmidt, am 3. Juli 1891 die bau- und gewerbepolizeiliche Genehmigung für die Munitionsfabrik erteilt. Zunächst wurde in dem Betrieb Sprengstoffe für Steinbrüche hergestellt.
Von Unglücken nicht verschont
Ob es mangelnde Sicherheitsvorkehrungen waren oder ob menschliche Unzulänglichkeiten immer wieder zu Unglücken führten, kann allenfalls nur vermutet werden. Fest steht, wenn man Zeitzeugen und Veröffentlichungen glauben darf, dass die Pulvermühle im Laufe der Zeit öfter von Unglücken heimgesucht wurde. So soll 1893, also kurz nach der Inbetriebnahme der Fabrik, ein Arbeiter vergessen haben, im Keller den Pulversatz durch ein Sieb laufen zu lassen. Dies war letztlich die Ursache für eine Explosion mit drei Toten, unter denen sich auch der Vater des Firmengründers befand.
Zwei Jahre vor der Jahrhundertwende ereignete sich eine weitere Explosion, bei der zwei Menschen Brandwunden davon trugen. 1901 wurde ein größeres Unglück im Trockenhaus gemeldet, als durch Unvorsichtigkeit ein Schwarzpulver-Trockengemisch in Brand geriet. Für die in diesem Gebäude beschäftigten Mitarbeiter gab es keine Rettung mehr – vier Arbeiter fanden den Tod. 1914 brach ein Brand im Schneidewerk aus. Dabei waren zwei Todesopfer zu beklagen. 1928, zwei Jahre nach dem schwersten Unglück, forderte eine Explosion in Trockenraum erneut drei Todesopfer.
Zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurde auch die Pulvermühle stillgelegt, die Maschinen wurden abgebaut. Später entstand die Möbelfabrik Hainke auf dem Gelände der ehemaligen Pulvermühle.