Ist es fünf nach drei? Oder doch schon halb acht? Wer wissen möchte, wie spät es ist, sollte derzeit besser nicht auf den Turm der St.-Laurentius-Kirche in Marktheidenfeld schauen. Alle Uhren stehen still.
Seit wann sie nicht mehr laufen, ist schwer zu sagen. „Mitte Juli gingen sie noch“, erinnert sich Kirchenpfleger Christian Menig. Technisch gesehen hätte man sie längst in Gang setzen können. Doch der Naturschutz hat das verhindert. Er ist sogar die Ursache des Ausfalls.

Etwa 30 Dohlen nisteten an den Uhrwerken von St. Laurentius in Marktheidenfeld
In diesem Frühjahr bauten Dohlen ihre Nester in den Nischen hinter den Kirchturmuhren. Sie brüteten dort, zogen ihre Jungen auf und nutzten die Orte als Schlafplätze. Etwa 30 der kleinen Rabenvögel bildeten eine Brutkolonie, schätzt Margret Menig, die Mesnerin.
Um die Kirchturmuhren wieder zum Laufen zu bringen, mussten die Nester entfernt werden. Das war erst jetzt im Herbst möglich, weil die Vögel geschützt sind, so Christian Menig. Er erklärt, dass es ein Stockwerk tiefer eine Nische gibt, die 2013 als Brutstätte für die Dohlen gebaut und von einem Vogelpaar auch genutzt wurde. Für die Schaffung dieses Dohlen-Lebensraums gab es sogar eine Auszeichnung des Landesbundes für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV).

Drahtgeflechte gegen Tauben schützten die Uhrwerke nicht vor Dohlennestern
Doch das schien die Dohlen in diesem Jahr nicht zu interessieren. Sie trugen Äste, Blätter, Moos und anderes Material bei, um ihre Nester direkt an den Uhrwerken zu bauen. Die dort vor einigen Jahren doppelt angebrachten Drahtgeflechte schienen sie nicht zu stören. „Den Draht haben wir gegen Tauben, die sich früher hier niedergelassen haben, angebracht“, so Menig. Das habe auch gewirkt – nicht jedoch gegen die Rabenvögel.
Jetzt haben Lothar Schnarr, Thomas Schlembach und Georg Leimeister mit tatkräftiger Unterstützung von Margret Menig das Nestmaterial in einer aufwendigen Aktion entfernt. Benötigtes Werkzeug, Eimer und Leiter haben sie mühsam etwa 20 Meter über viele Treppenstufen hinauf und wieder hinunter transportiert.

Vom Eingang aus führt eine gewendelte Buntsandsteintreppe in den ersten Stock. Von dort aus geht es über eine Holzstiege weiter nach oben. Sie ist erstaunlich komfortabel. Ins Schwitzen kommen die Helfer trotzdem. Stockwerk um Stockwerk geht es höher, insgesamt sind 97 Stufen zu bewältigen. Ins Geschoss, in dem die fünf schweren gusseisernen Glocken hängen, führen nur noch zehn schmale Tritte.
Während der Putzarbeiten sind die Glocken ausgestellt
Dort oben geht es eng zu: massive Stahlträger und dicke Holzbalken, dazwischen gespannte Ketten, die die Motoren der Glocken antreiben. Und die drei großen Glocken hängen so tief, dass man aufpassen muss, sich nicht den Kopf anzustoßen. So lange gearbeitet wird, hat die Mesnerin das Glockenwerk ausgestellt. Keiner mag sich vorstellen, wie laut es in den Ohren dröhnen würde, stünde man direkt neben den zentnerschweren Kolossen, während diese sich hin und her bewegen und der Klöppel gegen die Außenwand schlägt.
Arbeiten ist fast nur in gebückter Haltung möglich. Belohnt wird man mit einem weiten Ausblick über Marktheidenfeld in alle vier Himmelsrichtungen; aber erst nachdem sich der Nebel am späten Vormittag verzogen hat.

Um an das Uhrwerk zu gelangen, sind lange Holzleitern nötig. Lothar Schnarr hat kein Problem mit dem freihändigen Arbeiten in der Höhe. Er hat früher als Raumausstatter gearbeitet. Das Klettern gehört zum Beruf, scherzte er. Überhaupt geht es dort oben munter zu. Die Männer haben trotz der schweren Arbeit immer einen lustigen Spruch auf den Lippen.
Etwa 400 Liter Nistmaterial entfernt
Schnarr und Schlembach lösten das innenliegende Drahtgeflecht, klaubten das Nestmaterial in Eimer und verschlossen den Zugang anschließend wieder provisorisch. Leimeister fegte auf, was ein paar Tage zuvor Christian Menig aus einer der Nischen löste. Insgesamt kamen so etwa 400 Liter zusammen, die die Helfer Eimer für Eimer nach unten tragen mussten. Auch Pfarrer Hermann Becker packte bei der Entsorgung mit an.

Vermutlich im nächsten Jahr werden die Uhren so eingegittert, dass die Dohlen künftig dort nicht mehr hineinfliegen, sagt Christian Menig. Darum kümmere sich die Stadt Marktheidenfeld. Bei ihr liegt historisch bedingt die Baulast, auch wenn der Kirchturm der katholischen Kirche gehört. Für die Arbeiten müsse ein Gerüst aufgestellt werden. Eventuell wird in diesem Zug auch der Turm neu gestrichen werden.
Jetzt sei erst einmal wichtig, dass die Uhren zum Laufen gebracht werden, findet Menig. Dafür sollen in den kommenden Tagen Kirchturmtechniker sorgen.