Am Sonntag haben fünf Herdenschutzhunde bei Sachsenheim im Landkreis Main-Spessart eine Wildsau gerissen. Der Fall bewegt viele Leser und wird rege kommentiert - unter anderem mit dem Vorwurf, die Hunde hätten mehrfach schon auch Spaziergänger gebissen. Berechtigt? Gab es außer einem bekannten Vorfall, bei dem vor drei Jahren ein Jogger gebissen wurde, weitere Unfälle mit diesen Hunden? "Uns ist dazu schriftlich nichts gemeldet worden und somit auch nichts bekannt", sagt Benedikt Steigerwald vom Ordnungsamt der Verwaltungsgemeinschaft Gemünden. Auch bei Polizei und Landratsamt ist der Halter bisher nicht aufgefallen.
Verbandssprecher: Schäfer hat sich völlig richtig verhalten
Hat der Schäfer unverantwortlich gehandelt, indem er nicht ausgebildete Hunde auf der Koppel ließ? Dies sei üblich und nötig für die Ausbildung der Hunde, sagt Knut Kucznik, selbst Halter von Herden schutzhunden und Vorsitzender des Schafzuchtverbands Berlin-Brandenburg. Die Koppel müsse sich dabei in der Nähe des Hofes befinden, also weniger als 30 Kilometer entfernt. Außerdem müsse mindestens ein zertifizierter Hund anwesend sein. Beides war in Sachsenheim der Fall.
"Unsere Junghunde haben die Welpenabnahme bekommen. Die Eltern, Großeltern und Urgroßeltern sind alle zertifizierte Herdenschutzhunde", sagt das Schäferpaar Michler und verweist auf den entsprechenden Sachkundenachweis nach Paragraf 11 des Tierschutzgesetzes. Im Sommer hielten die Michlers selbst eine Schulung zum Thema Herdenschutzhunde.
"Dass ein Pyrenäenberghund seinen Zaun überspringt, um einen Menschen anzufallen, ist völlig ausgeschlossen", sagt Knut Kucznik. Der Pyrenäenberghund habe aggressives Verhalten schlicht nicht nötig, er beeindruckt allein schon durch seine Statur mit 80 Zentimetern Schulterhöhe und rund 60 Kilo Gewicht. Sein buschiges weißes Fell lässt ihn noch größer erscheinen. Pyrenäenberghunde werden nicht nur zum Schutz der Schafe, sondern auch als Rettungshunde eingesetzt.
"Diese Hunde beißen nicht", sagt Halter Kucznik. "Sie versuchen Menschen, die sich der Herde unerlaubt nähern, mit ihrem Gewicht zurückzudrängen. Wenn das nicht funktioniert, spring der Hund sie an." Wenn sich eine Rotte Wildscheine der Koppel in normalem Tempo nähere, "begleiten die Hunde sie auf ihrer Seite vom Zaun und verbellen sie". so Kucznik. "Die Wildschweine laufen dann um den Zaun herum."
"Die Hunde haben ihren Job gemacht."
Kurt Kucznik, Vorsitzender des Schafzuchtverbands Berlin-Brandenburg
Dass die Situation am Sonntag eskalierte, sei ein Unfall, der hätte vermieden werden können. "Das ist von der Jagdgenossenschaft eine unglaublich böse Geschichte. Jäger sind Gast auf den landwirtschaftlichen Nutzflächen, verhalten sich aber nicht so", sagt Kucznik. Dass Schäfer vor Drückjagden von den Jägern informiert werden, hält er für das Mindeste. Erst recht, wenn sie Herdenschutzhunde halten. Laut Johannes Interwies, erster Vorsitzender der Kreisgruppe Gemünden im Bayerischen Jagdverband (BJV) ist eine solche Information nicht nötig. Es reiche aus, die Jagd in der Tagespresse anzukündigen.
Das Landesamt für Umwelt (LfU) fördert den Einsatz von Herdenschutzhunden mit Blick auf die Abwehr großer Beutegreifer wie Wölfe. Dass dem Schäfer dabei auch weniger Schäden durch Füchse, Kolkraben, wildernde Hunde oder Wildschweine entstehen, ist ein positiver Nebeneffekt. Dem Landesamt sind derzeit 29 Betriebe mit Herdenschutzhunden in Bayern bekannt. Bisher sei keine Wilderei durch einen der Hunde vorgekommen.
Wenn der Trieb die Hunde übermannt
Bei dem Vorfall handle es sich "nach unserer Kenntnis um die Folgen einer Treibjagd", so eine LfU-Sprecherin. "Schwarzwild hatte einen Schutzzaun für Schafe niedergerissen, wodurch die Herdenschutzhunde – in Alarmbereitschaft gesetzt – einen Schwarzkittel verfolgt haben."

Die Pyrenäenberghunde hätten also "erstmal ihren Job gemacht", sagt Schafzüchter Kucznik. Dass sie dann die Wildsau rissen, erklärt er so: "Das war der Trieb. Die Hunde sind noch nicht fertig ausgebildet. Trieb macht doof, das ist bei uns Männern auch so." Doch selbst in dieser Situation seien die Hunde nie eine Gefahr für Menschen gewesen.
Der Hund ist und bleibt ein Raubtier
Ist die angezüchtete Sanftheit bei den Pyrenäenberghunden ein Garant, dass sie nie einen Menschen beißen? "Nein, ein Hund ist und bleibt ein Raubtier", sagt die Würzburger Diplom-Biologin Gesine Mantel, die Spezialistin für das Verhalten von Hunden ist. "Außerdem muss man jedes Tier als ein Individuum betrachten und behandeln", sagt Mantel, auch wenn sich das Verhalten immer in einem genetisch festgelegten Rahmen bewege.
"Dieser Vorfall ist tragisch. Vor allem für den Schäfer", so die Biologin. Panikmache und Angst, dass ein Hund im Blutrausch einen Menschen anfalle, "entbehrt jeglicher Grundlage". Ein Hund könne sehr wohl zwischen Mensch, Haustier und Wildtier unterscheiden - "sonst hätten wir auch keine Jagdhunde."
Schäfer wollen keinen Streit
Mit den Herdenschutzhunden versuchen Schäfer, sich auf einem sanften Weg gegen Wölfe zu wappnen. Auch Wildschweine sind eine Bedrohung - für Schäfer wie für Landwirte und Siedlungen. "Auch Jäger müssen sich an die neue Situation anpassen", sagt Knut Kucznik.
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Schäferin Christiane Michler sagt: "Mir tut nach wie vor leid, was passiert ist. Das flüchtende Wildschwein war die Ursache des Vorfalls und die Jäger sollten besser informieren. Aber wir wollen keinen Streit." Ortsansässige Jäger wollten sich auf Nachfrage zu dem Vorfall nicht äußern.