Wer über Land fährt, stößt überall auf sie. Zum Beispiel an Hochspannungsmasten. Oder an großen Antennen. Doch selten nimmt man sie wahr. Lothar Vormwald allerdings hält immer seine Augen offen, wenn er durch die Gegend fährt. Es könnte ja sein, dass irgendwo ein Mast abgebaut wurde – und ein Isolator vergessen. Das wäre ein gefundenes Fressen für den Sammler aus Lohr. In den vergangenen 50 Jahren hat er mehr als 6000 Isolatoren aus aller Welt zusammengetragen. 600 Stück seiner beeindruckenden Sammlung sind in seinem Isolatoren-Museum zu sehen.
An die erste bewusste Begegnung mit einem Isolator kann sich Lothar Vormwald noch ganz genau erinnern. „Ich war zehn Jahre alt und mit dem Fahrrad unterwegs zu Opas Wiese in Sendelbach“, erzählt der 64-Jährige. Das war im Frühjahr 1962. Der Junge beobachtete Elektriker, die gerade eine Hochspannungsleitung bauten. Von Aschaffenburg nach Grafenrheinfeld sollte die führen. Dem Bub fielen die braunen Porzellankörper im Gras auf. Das seien Isolatoren, erklärten ihm die Bauarbeiter. Stattliche 220 000 Volt könnten die aushalten.
„Was das technisch bedeutet, konnte ich mir noch nicht vorstellen“, sagt Vormwald heute lachend im Rückblick. Doch spätestens von diesem Tag an sei er mit dem Isolatoren-Virus infiziert gewesen.
Technikfreak von klein an
Wenige Jahre später begann Vormwald seine Lehre. Kaum verwunderlich: Der Jugendliche wollte unbedingt etwas mit Elektrizität machen. Bei der Lohrer Energieversorgung mauserte sich der Technikfreak zum Starkstromelektriker. Damals bekam er seinen allerersten Isolator geschenkt. Das Bauteil erhielt einen Ehrenplatz auf dem Regal im Jugendzimmer. Und selbstverständlich besitzt Lothar Vormwald ihn heute noch: „Es ist ein L95 Rillentellerisolator.“
Von da ab wuchs die Sammlung langsam, aber stetig. Anfangs seien zwei oder drei neue Isolatoren im Jahr hinzugekommen. Als Vormwald das Twenalter erreichte, besaß er immerhin schon mehr als ein Dutzend unterschiedlicher Isolatoren. Der Sammlertrieb verstärkte sich, die Sammlung wuchs schneller. Irgendwann standen und lagen 50 Isolatoren in seiner Wohnung. Und so sei der Gedanke herangereift, diese Sammlung einmal öffentlich zu präsentieren.

Dass es irgendwo auf dieser Welt noch andere Menschen geben könnte, die sich leidenschaftlich für Isolatoren interessieren, ahnte der Lohrer zu jener Zeit nicht. Das entdeckte er erst Mitte der 90er Jahre. Und zwar durch das Internet.
Fachsimpeln der europäischen Sammler
„Wir sind heute 35 Sammler in ganz Europa“, erzählt Vormwald. Alle zwei Jahre treffen sich die Spezialisten zum Fachsimpeln und um Isolatoren auszutauschen. Gehandelt werden die Schätze aus Glas und Keramik nicht. „Das machen sie in Amerika“, sagt Vormwald. Viel Geld würden Isolatoren dort mitunter einbringen. Bei einem Besuch in den USA vor kurzem entdeckte er in einem Katalog, welche außerordentlich wertvollen Isolatoren er besitzt.
Doch damit Geld machen? Bloß nicht! Vormwald ist, was sein Hobby anbelangt, ein ausgesprochener Verfechter des Tauschgedankens. Würde plötzlich der Faktor „Geld“ eine Rolle spielen, sagt er, würde ihm sein Steckenpferd ganz gehörig verleidet werden.

Auf Jagd nach Bauteilen, bevor sie zerstört werden
Die Gruppe der europäischen Isolatorensammler werde durch gemeinsame „Jagden“ zusammengeschweißt. Vor zwei Jahren zu Beispiel ging es nach Rumänien. „Dort gibt es jede Menge stillgelegter Leitungen, um die sich kein Mensch kümmert“, sagt Vormwald. Die Isolatoren-Jäger retten die Bauteile vor der Zerstörung. „Bei solchen Jagden wird eine Woche lang richtig gearbeitet“, schildert der Lohrer.
Frühmorgens zieht die Truppe los, bis zum Abend wird auf Masten geklettert, um die Isolatoren abzumontieren. Jeder aus dem Team hat eine andere Funktion. Vormwald gehört zu den „Steigern“. Was bedeutet, dass er während der „Rettungsaktionen“ bis zu 25 Meter hohe Masten erklimmt.
600 der 6000 Stücke sind zu sehen
Dadurch, durch Tauschaktion sowie durch die Übernahme von Schenkungen wächst Vormwalds Sammlung Jahr für Jahr. Etwa ein Zehntel seiner 6000 Stücke ist seit 2004 in seinem Museum im denkmalgeschützten Lohrer Trafoturm zu sehen. An jedem ersten Sonntag im Monat führt Vormwald durch die zwei Etagen und seinen Isolatorengarten. Jede Führung ist anders: „Ich richte mich ganz nach den Gästen.“ Irgendwer komme immer, sagt er. Manchmal seien es Frauen, denen er auf den ersten Blick ansieht, dass sie im Grunde keinerlei Interesse an Technik haben: „Doch die sind dann ganz begeistert, wenn ich ihnen Isolatoren aus Rosenthal-Porzellan zeige.“
Viel Wissenswertes: Manchmal dauert eine Führung drei Stunden
Meistens dauern die Führungen in dem engen Sandsteinturm nicht länger als 20 Minuten. Doch neulich war ein Besucher da, der alles ganz genau wissen wollte. Andere Gäste gab es an diesem Tag nicht, erinnert sich Vormwald: „Mit diesem einen Mann habe ich fast drei Stunden verbracht.“ Und doch hatte der Gast nur einen Bruchteil des Wissens mitbekommen, über das Vormwald verfügt – und das weit über das rein Technische hinausgeht.
Der Museumsleiter hält einen reichlich rußverschmutzten Isolator in die Höhe: „Der zugehörige Mast stand in der Nähe einer Eisenbahnlinie.“ Die Dampfloks ummantelten ihn allmählich mit Ruß. Von Zeit zu Zeit wurde ein Einsatztrupp losgeschickt, der sämtliche Isolatoren putzen musste. Denn Ruß leitet Strom. Und genau das soll ein Isolator ja nicht tun.

„Arbeit war damals billig“, erklärt Vormwald. Material hingegen teuer. Heute sei das umgekehrt. Der Lohrer wundert sich, wie achtlos die Dinge inzwischen weggeworfen würden. Überhaupt: Vormwalds große Leidenschaft ist von einem Hauch Melancholie überzogen. Denn irgendwann wird es keine ästhetisch schönen Porzellanisolatoren mehr geben. Im Obergeschoss seines Museums hängt bereits ein Isolator aus grauem Silikon. Der schaut von Weitem gar nicht so viel anders aus als seine keramischen Geschwister. Doch wer ihn berührt, kann verstehen, dass Vormwald kein Fan dieser Art von Isolatoren ist. Die Objekte aus Glas oder Porzellan bieten eindeutig größere haptische Genüsse.
„Alle sind sie meine Lieblinge“
Diesen Isolator ausgenommen, braucht man Lothar Vormwald gar nicht fragen, welcher Isolator ihm ganz besonders am Herzen liegt. Denn er bevorzugt keinen. „Alle sind sie meine Lieblinge“, sagt er und strahlt. „Verliebt“, dieses Wort fällt im Übrigen öfter im Gespräch mit dem Sammler. Zum Beispiel bei der Frage danach, wann die Faszination begonnen hat. Dann kommt Vormwald natürlich auf das Erlebnis des kleinen Jungen zu sprechen, der zum Opa radelte. Aber warum fielen dem Kind die Isolatoren im Gras eigentlich auf? „Verliebt in Isolatoren“, sagt Vormwald, „war ich wahrscheinlich schon immer.“
Das Isolatorenmuseum Das Museum von Lothar Vormwald in Lohr am Main, in der Haaggasse in unmittelbarer Nähe des Schlosses gelegen, ist an jedem 1. Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Gruppen können auch außerhalb dieses Öffnungstags einen Führungstermin durch die Sammlung Vormwald vereinbaren: Tel. (0 93 52) 47 95. Die Isolatoren im Isolatorengarten hinter dem Turmmuseum sind bei einem Spaziergang durch Lohr jederzeit frei zu bewundern.