1931 spielte Fred Kassen unter der Regie von Johannes Guter eine Nebenrolle in dem Film „Der falsche Ehemann“ und sang das Lied „Einmal wird dein Herzchen mir gehören“. An diesem Film wirkten die berühmten „Comedian Harmonists“ mit. Zu den Drehbuchautoren gehörte der spätere US-Regisseur Billy Wilder, die Filmmusik stammte von Norbert Glanzberg, der seine Musikkarriere einst als Kapellmeister am Würzburger Stadttheater begonnen hatte.
Kassen sang mit berühmten Ensembles der Zwanziger und Dreißiger Jahre wie „Tanzorchester Eugen Wolff vom Grandhotel Esplanade Berlin“ oder „Bernard Ett und sein Tanzorchester“ bis hin zu Werbesongs für die Zahnpasta „Vademecum“. Kassens Schlager „Meine gute alte Tante hat mir 100 Mark geschenkt“ (Komponist: Ralph Maria Siegel) erfreute sich einiger Popularität. Das Soldatenlied „Ich schreibe meiner Mutter einen Brief“ aus seiner eigenen Feder wurde von der NS-Propaganda massenweise publiziert.
1935 wurden die berühmten „Comedian Harmonists“ von den NS-Behörden gezwungen, sich von den drei jüdischen Ensemble-Mitgliedern Harry Frommermann, Roman Cycowski und Erich A. Collin zu trennen. Robert Biberti, Erwin Bootz und Ari Leschnikoff suchten per Zeitungsanzeige Ersatz und fanden unter anderem als 3. Tenor Fred Kassen. Die neu formierte Gruppe nahm im Jahr darauf den neuen, deutschen Namen „Meister-Sextett“ an und musste häufig umbesetzt werden, da die neuen Mitglieder lediglich als Angestellte betrachtet wurden.
Das „Meistersextett“
Das Sextett nahm einen Werbefilm auf („Caspar Blume“), ging auf Italien- und Europatournee und sang 1937 im Spielfilm „Fremdenheim Filoda“. Regelmäßig wurden Schallplattenaufnahmen eingespielt. 1938 wandte sich der Pianist und Arrangeur Erwin Bootz vom „Meister-Sextett“ ab. Ein Jahr später zerstritten sich Robert Biberti und Ari Leschnikoff offenbar unter kräftiger Mitwirkung von Fred Kassen, der schließlich 1940 das Ensemble verließ. Ein Jahr später ist das „Meister-Sextett“ endgültig am Ende.
Fred Kassen arbeitete zeitweise auch als Barpianist in der Berliner „Texas-Bar“, in der viele Amerikaner verkehrten. Die Bar gehörte zum Komplex des berühmten Tauentzienpalasts. Vielleicht lernte er dort die im kanadischen Glacebay geborene Sängerin und Tänzerin Ethel Louise Wright kennen, die unter den Künstlernamen „Nina Sorell“ und „Nina Navarro“ in New York, Paris und Berlin gastierte.
Ethel Louise Wright, die später als Nina Louise Voorhees in Seattle lebte, erzählte, dass sie von den Nationalsozialisten in Berlin in Internierungshaft genommen worden war. Aus dieser Situation half ihr ein mit ihr bekannter deutscher Sänger, vermutlich Fred Kassen. So ist es auch nicht erstaunlich, dass ausgerechnet dieser Fred Kassen mit ihr als Ehepartnerin schließlich nach 1945 in Marktheidenfeld auftauchte
Im November 1945 war Fred Kassen bei der Marktheidenfelder US-Militärregierung beschäftigt. Seine Frau Ethel war 1945 mit Wohnsitz in Lengfurt gemeldet und saß im Vorzimmer des „Governors“ Melvin B. Voorhees. In Marktheidenfeld war es bald ein offenes Geheimnis, dass sie dessen Geliebte war.
Rechte Hand des Governors
Fred Kassen schwang sich nach der Erinnerung von Zeitzeugen mehr und mehr zur rechten Hand des Governors auf. Er war im Bereich der öffentlichen Ordnung mit der Zulassung von politischen Versammlungen und Gruppierungen beschäftigt. Im Juni 1946 untersagte er beispielsweise mit einem Verbot die Gründung einer „Sozialistischen Erziehungsbewegung“ der SPD, die kurz darauf in Form der „Jungsozialisten“ nachgeholt werden konnte. Den damaligen SPD-Kreisvorsitzenden Dr. Fritz Cremer ließ er wegen „Beleidigung der Militärregierung“ einen Tag lang in Haft setzen.
In besonderer Erinnerung blieben Kassens erste Bemühungen zur Entnazifizierung. Noch vor Einführung der Spruchkammern ergriff der ehemalige Sänger die Rolle des Chefanklägers. Dabei wurde ihm oft die Nähe zu örtlichen kommunistischen Funktionären zum Vorwurf gemacht. Jedenfalls blieben die Verfahren mit wenig juristischen Sachverstand wohl ähnlich willkürlich wie Kassens Bemühungen, den blühenden Schwarzmarkthandel dieser Zeit in den Griff zu bekommen.
Nachdem Kassens amerikanischer Chef Melvin B. Voorhees bereits im Frühjahr 1946 wohl über genau eine dieser Affären stolperte und im Mai 1946 nach Würzburg abkommandiert worden war, blieb der selbsternannte Chefankläger noch für geraume Zeit unter dem Nachfolger-„Governor“ Captain Thomas F. Griffin im Amt. Aus dieser Zeit stammt eine im Stadtarchiv erhaltene Fotografie, die den korpulenten Mann als Vertreter der Marktheidenfelder Militärregierung wohl beim ersten Jugendfest des Landkreises Marktheidenfeld am 27. Oktober 1946 für Jugendliche an der Turnhalle in der Lengfurter Straße zeigt.
Kassens nächste Spur findet sich danach in Südbayern, wo er sich nach seiner Marktheidenfelder Zeit in Bad Wiessee zur Erholung aufhielt. Seine erste Frau Ethel hatte sich inzwischen offenbar von ihm getrennt und folgte 1947 ihrem Liebhaber Melvin B. Voorhees in die USA. Kassen lernte bald seine Frau Alexandra kennen. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete die Mutter eines Sohns für die US-Armee in Bad Wiessee. Der kluge und risikofreudige Fred Kassen gründete zunächst die Piano Bar „Bei Fred“ am Tegernsee. Die Familie Kassen zog später nach München, wo er die Gaststätte „Pfälzer Hof“ erwarb und damit 1955 als Künstlerkneipe „Stachelschwein“ unter anderen der Kabarettgruppe „Die Namenlosen“ eine Heimat bot. 1956 wurde die gemeinsame Tochter Alexandra Franziska geboren.
Am 12. Dezember 1956 feierten die Nachfolger der „Namenlosen“ Ursula Herking, Dieter Hildebrandt, Hans Jürgen Dietrich und Klaus Havenstein unter der Regie Sammy Drechsels Premiere. Am Klavier wurden sie von „Stachelschein-Inhaber“ Fred Kassen begleitet. Als Komponist der „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“ zeichnet Fred Kassen für die damals im Fernsehen übertragenen Programme „Eine kleine Machtmusik“ (1958), „Im gleichen Schrott und Trott“ (1957), „Bette sich wer kann“ (1957) und „Denn sie müssen nicht was sie tun“ (1956) verantwortlich. Sie gelten heute als Klassiker des politischen Kabaretts in Deutschland. 1958 verkaufte Fred Kassen seine Kneipe „Stachelschwein“ nach internen Querelen an Sammy Drechsel.
1959 zog das Ehepaar Kassen nach Köln. Fred Kassen unterhielt ein kleines Ensemble mit Brigitte Mira, Heinz Junge, Gerd Martienzen und Bruno Pantel. Er gründete die bis heute renommierte Kabarett- und Kleinkunstbühne „Senftöpchen“. Als Texter, Komponist, Regisseur, Pianist und Direktor verlieh er dem ersten Kabarett in Köln satirisches Gewicht. Klangvolle Namen wie Gert Fröbe, Lore Lorentz, Ernst Stankowski, Hans Söhnker, Werner Schneyder oder Hanns Dieter Hüsch stehen unter anderem auf den früheren Programmzetteln. Fred Kassen starb 1972.