Während der Betriebsleiter Jürgen Mey jede Auskunft verweigerte und an die Frankfurter Zentrale verwies, machte Roland Mennig vom Betriebsrat stellvertretend für die Arbeitskollegen seinem Zorn Luft. Hatten Geschäftsführer Jacques Hendriksen und sein jetziger Nachfolger Hohmann noch vor einem Jahr der Belegschaft versprochen, man wolle aus der „Perle Papierfabrik einen Diamanten machen“, so sei das Ergebnis heute ernüchternd. Alle Versprechungen auf notwendige Investitionen in Höhe von 1,2 Millionen Euro seien stets nur mündlich gelaufen, nie habe es etwas Schriftliches gegeben, so Mennig.
Veränderungen in Richtung Zukunft habe es daher auch nicht gegeben. Vielmehr mussten die Mitarbeiter im Frühling dieses Jahres feststellen, dass die Lohnzahlungen unregelmäßig wurden. Im April und Mai gab es am Monatsanfang lediglich eine Abschlagszahlung von 500 Euro und eine Restzahlung am Ende. Seit Juni gibt es laut Mennig überhaupt kein Geld mehr. Es sei immer von Geldmangel die Rede gewesen und das Betriebskonto sei öfters gesperrt worden. Ein großer Zulieferer von Rohstoffen habe einen Rechtstitel erworben, um ausstehende Rechnungen eintreiben zu können.
Die Mitarbeiter der Fabrik können die Vorgänge nicht nachvollziehen. Die Arbeit laufe gut. Es bestünden noch Aufträge bis weit über den nächsten Monat hinaus. Man habe nur einen schleichenden Zulieferstopp bei Rohstoffen festgestellt und Gerüchte gehört, dass die Firma nicht mehr liquide sei. Dann fehlten plötzlich die nötigen Materialien; Auftragstermine konnten deshalb nicht mehr eingehalten werden und Kunden wurden somit verärgert.
Ärger und Unverständnis herrschen auch über das Informationsgebaren der Geschäftsleitung. Die Belegschaft habe mehrere Mahnschreiben nach Frankfurt geschickt, jedoch nie eine Antwort erhalten, klagt der Betriebsrat. Verdächtig erschien ihm auch der plötzliche Wechsel in der Geschäftsführung. Seit 10. August folgte auf den Niederländer Hendriksen Siegfried Hohmann, der bislang in der Holding für das Management der Papierfabriken zuständig war.
„Wenn nicht bald etwas geschieht, gibt es in Gräfendorf neben der Firmeninsolvenz auch zahlreiche Privatinsolvenzen.“
Eine besorgte Mitarbeiterin
Für die Mitarbeiter wird inzwischen die finanzielle Situation dramatisch. Seit fast fünf Monaten haben sie keine korrekten Lohnzahlungen mehr erhalten, seit rund zehn Wochen kommt gar nichts mehr. Eine Mitarbeiterin bringt das Problem auf den Punkt: „Viele meiner Kollegen haben ein Häuschen abzuzahlen und mittlerweile ihre Dispositionskredite voll ausgereizt. Wenn nicht bald etwas geschieht, gibt es in Gräfendorf neben der Firmeninsolvenz auch zahlreiche Privatinsolvenzen.“ Die Belegschaft hofft nun auf einen Insolvenzverwalter, der zunächst erst einmal die Produktion aufrecht erhalten kann und womöglich einen Investor mit zukunftsfähigen Konzepten findet.
Clemens Raab, Vertreter der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Erden (BCE) spricht von eigenartigen und schwer durchschaubaren Firmenverflechtungen. Laut Handelsregister Frankfurt sei zum Beispiel der Geschäftsgegenstand der Hendriksen AG die Vermittlung für Versteigerungen, Kauf und Verkauf von beweglichen und unbeweglichen Gegenständen sowie die Abwicklung von Versteigerungen. Allein dies klinge nicht nach einem Geschäftspartner, dessen Ziel es sei, eine Produktionsstätte langfristig am Leben zu halten. Außerdem sei der BCE bekannt, dass eine Kartonagenfabrik in Ottbergen, die ebenfalls zur Jacques-Hendriksen-AG gehörte, ein ähnliches Schicksal erlitten habe. Auch hier stehe die Produktion zurzeit still.
Der neue Geschäftsführer Siegfried Hohmann kündigte der Main-Post am Dienstag auf Nachfrage für den Nachmittag eine schriftliche Stellungnahme an. Sie lag der Redaktion jedoch bis zum Redaktionsschluss am Abend nicht vor.
Online-Tipp
Die Berichte zur früheren Insolvenz der Firma und zur vermeintlichen Rettung im vergangenen Jahr finden Sie im Internet unter www.mainspessart.mainpost.de