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Marktheidenfeld/Kaiserslautern: Wie Peter Roos das Innenleben einer Nazi-Bonzen-Witwe seziert

Marktheidenfeld/Kaiserslautern

Wie Peter Roos das Innenleben einer Nazi-Bonzen-Witwe seziert

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    "Bürckel!  Frau Gauleiter steht ihren Mann", so lautet der Titel des Stücks von Peter Roos, das jetzt am Pfalztheater in Kaiserslautern uraufgeführt wurde.
    "Bürckel!  Frau Gauleiter steht ihren Mann", so lautet der Titel des Stücks von Peter Roos, das jetzt am Pfalztheater in Kaiserslautern uraufgeführt wurde. Foto: Pfalztheater/Thomas Brenner

    Josef Bürckel war der Nazi-Gauleiter der Pfalz. Der leutselig-volkstümliche Potentat, der als Namensgeber der Deutschen Weinstraße gilt, schmückte sich mit dem Verdienst, die Region „judenfrei“ gemacht zu haben. Mithin eine „merkwürdig schillernde“ und „ambivalente Figur der NS-Führungselite“, die der pfälzisch-fränkische Autor Peter Roos in den Mittelpunkt eines neuen Bühnenstücks stellt.

    Das ausverkaufte und coronabedingt dennoch leere Haus erlebte den wortmächtig geschriebenen, mit gebotener Zurückhaltung inszenierten und vor allem glänzend gespielten Monolog der Witwe eines Nazi-Bonzen. „Bürckel! – Frau Gauleiter steht ihren Mann“: So heißt die 90-minütige Innenschau, die beständig oszilliert zwischen Gattenliebe und Entsetzen, unverhülltem Stolz und ohnmächtiger Ratlosigkeit ob Hetze und Völkermord, Fremdenhass und Mitgefühl, Naivität und Abscheu, Larmoyanz und Empörung über den 1945 einsetzenden Kampf um die Hinterbliebenenrente.

    Ewige Frage: Wie wurden die NS-Verbrechen möglich? 

    Dieser emotionalen wie intellektuellen Zerrissenheit zugrunde liegt die ewige Frage, wie die Nazi-Verbrechen in ihrer unfassbaren Monstrosität möglich waren, wie damit im Nachhinein umzugehen ist, inwieweit Tatenlosen und Tätern eine gemeinsame Verantwortung zukommt. Hilde Bürckel, Gastwirtstochter aus Landau, personifiziert weniger das schlechte Gewissen als vielmehr die Vergeblichkeit aller Erklärungsversuche, wie selbstverständlich die Unmenschlichkeit zur Grundlage allen Handelns wurde, sogar Genugtuung und Begeisterung hervorbrachte.

    Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ist das Lebensthema des Schriftstellers Peter Roos, der im Marktheidenfelder Stadtteil Zimmern lebt.
    Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ist das Lebensthema des Schriftstellers Peter Roos, der im Marktheidenfelder Stadtteil Zimmern lebt. Foto: Ivana Biscan

    Der Schriftsteller Roos thematisiert seit eh und eh dieses Phänomen der Verflechtung, Verstrickung, Verdüsterung. Sein literarisches, durchaus obsessives Ringen um einen Blick hinter die geistig-emotionale Fassade enthüllt eine bizarre Wechselwirkung von verschütteten Befindlichkeiten und jubelnder Gleichschaltung, ein permanentes Pendeln zwischen Phlegma, vermeintlicher Ahnungslosigkeit und – nicht zuletzt! – unverhüllter Vorteilnahme.

    Bürckels Jagdhütte kennt Peter Roos seit Kindertagen

    Im fränkischen Marktheidenfeld ist der 1950 geborene Roos mit Kritik am Nachruhm des zu höchsten Nazi-Ehren gekommenen Malers Hermann Gradl angeeckt. In seinem Buch „Hitler Lieben“ zeigt er diverse Facetten der Vergangenheitsbewältigung auf. Was in der eigenen Familie über Hitler und Konsorten gedacht wurde, ist für Roos ein Stachel im Fleisch. Er ist in der Pfalz geboren und aufgewachsen, die Jagdhütte das Gauleiters Bürckel kennt er seit Kindertagen. Das Theaterstück also: eine auto- und gesellschaftstherapeutisch, psychologisch gnadenlos geißlerische und dennoch allgemeingültige Geschichtsstunde voller Fußangeln und Widerhaken, die dem Publikum kein Zurücklehnen gestattet.

    Die Inszenierung von Susanne Schmelcher verzichtet – bis auf die kurze Einspielung einer Agitation aus unseren Tagen – auf vordergründige „Aktualisierungen“ und setzt umso wirkungsvoller auf sparsame Gesten, kleine Andeutungen, dezente Apercus wie eine Rehfigur, die Bühnenbildnerin Marion Hauer in eine Szenerie aus Pfälzerwald-Kulisse und Propaganda-Lautsprechern gestellt hat. Ein Schriftzug erinnert nicht nur an den Namen, den Bürckel seinem Jagdschlösschen gab: „Lass mich in Ruh“. Dort, so sinniert die „Frau Gauleiter“ in einer irritierenden Mischung aus fraulicher Hingabe und ironischem Pathos, habe er „einsam Kraft schöpfen“ können.

    Schauspielerische Meisterleistung: Hannelore Bähr als Hilde Bürckel.
    Schauspielerische Meisterleistung: Hannelore Bähr als Hilde Bürckel. Foto: Pfalztheater/Thomas Brenner

    Wenn sie gar nicht mehr weiter weiß vor Wut und Scham und ehrlicher Liebe, kritzelt sie in einer grotesken Übersprungsbewegung am gemalten Tannenwald herum. Der Spagat zwischen „Gattin“ und Heimchen, Bewunderung und Unverständnis, Zorn und Rechtfertigung gerät zur schauspielerischen Meisterleistung. Die wunderbare Hannelore Bähr brilliert auf einem Tour-de-Force-Ritt der Gefühle, der alle Seelen- und Geistesregungen der „Frau Gauleiter“ auslotet. Dem koketten Augenaufschlag, der den Genuss der eigenen Prominenz widerspiegelt, folgt Ekel; sie ist Hausfrau und Mutter, aber auch rat- und fassungslose Kommentatorin sogar dann, wenn ihr die Worte fehlen. „Das war mein Mann“, sagt Hilde Bürckel. „Was macht man denn, wenn man so einen liebt?“

    Weitere Vorstellungen im Pfalztheater Kaiserslautern sind am 11., 22. und 30. Oktober, 6. und 25. November sowie 15. Dezember. Karten: www.pfalztheater.de oder Telefon (06 31) 36 75 209.

    (Der Beitrag wurde uns freundlicherweise von der Redaktion der "Rheinpfalz" zur Verfügung gestellt.) 

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