Zum Artikel "" vom 30. September 2024 erreichte die Redaktion folgende Zuschrift:
Nun muss also nur noch der "Leerstand zurückgebaut" werden. Ehrlicher wäre die Formulierung: Es wird ein historisches Gebäue abgerissen. Geht es um Baumaßnahmen in unseren über Jahrhunderte gewachsenen Ortskernen, fehlt es der Berichterstattung der lokalen Medien immer wieder an der gebotenen Sensibilität. Schon im vergangenen Jahr hatte ich die Redaktion darauf hingewiesen, dass ich es für unangemessen halte, den Abriss des 200 Jahre alten Wirtshauses "Schwarzen Pfütze" in Oerlenbach als launige Reality-Story zu verkaufen. Aber über die Entwicklung unserer Altortslagen wird weiterhin berichtet, als sei es völlig unproblematisch, alte Häuser abzureißen und durch neue zu ersetzen – schließlich generiert auch das Fördermittel und kostet weniger. Ausweislich der äußeren Merkmale dürfte auch das Haus im Brügel etwa so alt sein wie das längst untergegangene Königreich Bayern. Kein Grund innezuhalten?
Während man sich in Unsleben und Stockheim bemüht, die sakralen Ensembles im Herzen der Altortslage zu bewahren, verschwindet in Weisbach demnächst das alte Pfarrhaus, ein erhaltenswerter Fachwerkbau, dessen Geschichte ebenfalls mindestens in das frühe 19. Jahrhundert zurückreicht. Schon einmal ist in Weisbach der Versuch gescheitert, die Suche nach einem Standort für die Feuerwehr mitten im Ort städtebaulich befriedigend zu lösen. Das Ergebnis war ein Komplettverlust der spätmittelalterlichen Friedhofsbefestigung. Mit dem nun eingeschlagenen Weg, das Feuerwehgerätehaus gleich gegenüber zu errichten, wird nicht nur ein für die Ortsgeschichte wichtiges Gebäude geopfert, sondern auch die städtebauliche Struktur und Erscheinung der Altortslage massiv verändert. Gab es in Weisbach, gab es in Mellrichstadt denn wirklich nie eine Diskussion über Alternativen? Gibt es gewichtige Gründe, die einen Erhalt der Häuser unsinnig machen? Welche Position vertritt die amtliche Denkmalpflege, die wegen der Lage im geschützten Ensemble der Altstadt zumindest im Falle des Brügel im Baugenehmigungsverfahren zu beteiligen war? In den Artikeln vom 21. Mai und 24. September erfährt man hierzu nichts.
Eine Tageszeitung mit journalistischem Anspruch sollte in ihrer Berichterstattung zumindest erkennen lassen, dass Eingriffe in die historische Bausubstanz keine Petitesse sind. Denn sonst vermittelt man – wenn auch ungewollt – den Eindruck, dass „Wiederbelebung und Aufwertung“ (Artikel vom 29. September) fast zwangsläufig mit Abriss und Neubau einhergehen müssen. Dabei zeigt schon ein kurzer Rundgang in nahezu allen Ortschaften des Landkreises (auch in der Altstadt von Mellrichstadt übrigens), wie selten „Ersatzneubauten“ einen Ort städtebaulich zu beleben vermögen. Viel zu oft scheitert der Versuch an den architektonischen Ambitionen ihrer Erbauer. Die Folge ist dann keine Aufwertung, sondern ein kaum mehr zu reparierender Schaden an Erscheinung, Wohnwert und kulturhistorischer Aussagekraft der Altortslage.
Der „Leerstand“ übrigens, der ist oft gar nicht so leer: Aufgrund der (schon rechtlich bedingt) leider rein äußerlichen Beurteilung der Denkmaleigenschaften privater Gebäude durch die behördliche Denkmalpflege bleiben die vielen Schätze im Innern alter Häuser bis zu ihrem Abriss meist verborgen: historische Türen und Fenster, Böden und Treppen mit kunstvoll bearbeiteten Handläufen, Lebensspuren aus Jahrhunderten. Alles weg, wenn der Bagger kommt.
Jochen Karl
97653 Bischofsheim