Flugplatz Grasberg, auf einer Anhöhe über der Elektromobilitätsstadt Bad Neustadt (Lkr. Rhön Grabfeld): Interessierte Ingenieure begutachten ein Ultraleichtflugzeug aus Ungarn. Das Besondere an der Magnus eFusion: Der Motor ist so groß wie eine handelsübliche Waschmaschinentrommel. Dahinter gelagert sind ein kleines Kühlsystem und neun handliche Akkus.
Weltrekorde made in Bad Neustadt
Das Beste dabei: Ein solcher Elektromotor wurde in Bad Neustadt bei Siemens gebaut – und damit gleich mehrere Weltrekorde erzielt (Steigflug in 4:22 Minuten auf 3000 Meter, Geschwindigkeit 340 km/h auf einer Distanz von drei Kilometern).
Das freut den Physiker Frank Anton. Er gilt als einer der großen Visionäre für elektrisches Fliegen. Der Leiter der noch jungen Siemens-Einheit eAircraft ist selbst Pilot. In seinem Fokus steht die entscheidende Frage: Kann man Flugzeuge bauen, die elektrisch angetrieben werden und damit die Luftfahrt ökologisch und wirtschaftlich in die Zukunft führen?
Forschung funktioniert
Antons Antwort ist eindeutig: „Man kann. Und man muss!“ Seit 2012 hat er mit seinem Team in Erlangen an der Verdichtung der Elektromotoren herumgetüftelt. Die Herausforderung fürs Fliegen: „Ein normaler E-Motor hat eine Leistung von 1 KW/kg. Um ein kleines Flugzeug fliegen zu lassen, braucht es den Faktor 6, also mindestens sechs Kilowatt pro Kilogramm“, erklärt Anton. Dass die Forschung funktioniert, beweist der erfahrene Kunstflieger am Grasberg selbst – und startet nahezu lautlos in den blauen Rhöner Himmel.
Wieder auf dem Boden erklärt er seine Beweggründe für eine elektromobile Zukunft der Luftfahrt. „Wenn wir weiterhin um die Welt fliegen wollen, müssen wir den CO2-Ausstoß reduzieren und Ressourcen schonen. Mit einem E-Motor ist das möglich“, ist er überzeugt. Allerdings schiebt er sofort nach, dass dies im Passagier-Segment nur per Hybrid-Technologie funktioniert. „Mit dem E-Motor machen wir Start-, Steig- und Landeanflug, mit dem Verbrenner – momentan ein Smart-Motor – die Dauerleistung.“
Siemens kooperiert mit Airbus
Seit vergangenem November kooperiert Siemens deshalb mit Airbus und Rolls Royce. Das Ziel: bis 2020 die Machbarkeit verschiedener hybrid-elektrischer Antriebssysteme für Flugzeuge nachzuweisen. Dazu wurde ein Team von rund 200 Mitarbeitern zusammengezogen, um Europas Innovationsführerschaft in diesem Bereich zu stärken. „Seit unseren Forschungen und Entwicklungen haben wir uns bisher um den Faktor 6 verbessert, bis 2020 sollte der Faktor 10 möglich sein“, prognostiziert Anton einen Antrieb von zehn Megawatt.
Der ehemalige Bundessieger bei „Jugend forscht“ geht gar noch einen Schritt weiter: „2035 wird es möglich sein, 1000 Kilometer mit 50 bis 100 Passagieren an Bord zu fliegen.“ Dabei werde dann 25 Prozent weniger Kraftstoff verbraucht, die Maschinen seien erheblich leiser. So wären Nachtflugverbote an Flughäfen kaum noch ein Thema. „Das ist dann eine disruptive Innovation in der Luftfahrt“, skizziert der 62-Jährige die Möglichkeiten. Und verweist auf den CityAirbus, eine Art Hubschrauber-Flugtaxi, das Passagiere in Singapur beispielsweise in sieben Minuten von A nach B in der Luft ökologisch weitaus besser transportieren könne als im herkömmlichen Autoverkehr.
Digitaler Zwilling als Erfolgsgeheimnis
Bis dahin wird es aber noch einiger Entwicklung bedürfen. Siemens und Airbus erproben mit einem fliegenden Demonstrator, dem E-Fan X, ihre elektrischen Antriebssysteme. „Bei dem Erstflug dieses viermotorigen Regionalflugzeugs soll eine der Turbinen von einem Zwei-Mega-Watt-E-Motor angetrieben werden“, so Anton. Natürlich müsse der Antrieb ähnlich wie der Weltrekord-Motor aus Bad Neustadt signifikant verdichtet werden. Das sei nur möglich über die Arbeit am Digitalen Zwilling. „Da können durch eine Spezial-Software alle physikalischen und technologischen Effekte umfassend simuliert und damit optimiert werden“, erklärt Anton.
Nach solch einer Optimierung hat auch die Muster- und Prototypenbauabteilung bei Siemens in Bad Neustadt den Weltrekord-Motor gebaut. Abteilungsleiter Markus Oestreich blickt auf den waschtrommelgroßen Motor im Leichtflugzeug und sagt nicht ohne Stolz: „Wir müssen dann Ergebnisse bringen. Man sieht: Mehr Motor braucht's nicht.“
Stellenaufbau am Standort Bad Neustadt
Solche Motoren, die momentan nur in leichten Schul- oder Kunstflugmaschinen verbaut werden, könnten dann in Serie gehen. Und da käme auch wieder der Standort Bad Neustadt ins Geschäft. Dort hat Valeo Siemens momentan 200 Beschäftigte. „Läuft die Produktion an, werden viel mehr Stellen aufgebaut“, schätzt Siemens-Pressesprecher Bernhard Lott.
Das aber hört Visionär Anton schon gar nicht mehr. Sein Interesse gilt gerade einer landenden Maschine. „Wow, eine Piper PA 18. Das ist ein Sound!“ Im Gegensatz dazu hört man den Propeller-Lärm seines E-Fliegers kaum – das Jetzt trifft wieder einmal auf das Morgen in der E-Mobilitätsstadt Bad Neustadt.