Vor Wochen veröffentlichte diese Zeitung ein altes Foto mit Seltenheitswert, das ein vor der ehemaligen Brauerei Kneuer auf dem Marktplatz in Königshofen stehendes Segelflugzeug zeigt. Daraufhin wandte sich Peter Schindler aus Eyershausen an den Kreisheimatpfleger und erzählte ihm eine dem Foto zugrundeliegende wirklich spannende Geschichte.
Das Bild entstand um 1953 und zeigt ein Segelflugzeug, Typ Grunau- Baby, das von seinem Vater Rudolf in dessen Werk in Sulzdorf gebaut wurde. Mit der Zurschaustellung des Segelflugzeugs sollte für den neu gegründeten Flugsportclub Königshofen geworben werden. Dessen Gründungsmitglieder waren, so erinnert sich Peter Schindler, unter anderem sein Vater Rudolf, Heinz Kneuer, Inhaber der Brauerei Kneuer (er wanderte später nach Amerika aus) sowie Elektromeister Willi Mayr.
Rudolf Schindler erlernte zunächst den Schreinerberuf, legte die Meisterprüfung ab und absolvierte dann noch eine Ausbildung als Flugzeugbauer bei der Firma Edmund Schneider in Grunau/Schlesien. Schneider war der „Vater des berühmten Segelfugzeugs Grunau Baby“. Rudolf Schindler heiratete eine Tochter der Gärtnerei Hofmann in Grunau. Sie war eine Cousine von Edmund Schneider.
Schreiner und Flugzeugbauer
Auch Schneider, der 1901 in Ravensburg am Bodensee geboren wurde, erlernte ebenfalls zunächst den Schreinerberuf. Diese Ausbildung kam ihm als einem der ersten Segelflugzeugbauer Deutschlands zugute. Während des Ersten Weltkriegs bewarb sich Edmund Schneider bei den Kampffliegern, wurde aber für fluguntauglich befunden. In der Rhön lernte er Gottlob Espenlaub kennen. Mit diesem wechselte er 22jährig zur Segelflugschule in Grunau/Schlesien. 1928 gründete Edmund Schneider die oben angeführte Firma, in der er eigene Segelflugzeuge und andere Segelfugzeugtypen in Lizenz baute. Ab 1929 fertigte die Firma den berühmten Schulgleiter, die „Grunau 9“. Sie wurde zum Standard-Anfänger-Gleitflugzeug in der Segelflugausbildung. Im Winter 1930/31 konstruierte der findige Flugzeugbauer das „Grunau Baby I“, das Vorgängermodell seines beliebten „Grunau Baby II“ von 1933. Durch den steigenden Bedarf beschäftigten Schneiders zwei Werke 1939 etwa 370 Mitarbeiter.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs musste Edmund Schneider seine Betriebe in Schlesien zurücklassen und er floh mit seiner Familie. Am Bodensee fanden die Schneiders kurzzeitig eine neue Heimat.
Von Kimmelsbach nach Sulzdorf
Doch zurück zu Rudolf Schindler. Während des Zweiten Weltkriegs war er bei der Luftwaffe auf verschiedenen Flugplätzen eingesetzt, so unter anderem in Marienbad im Sudetenland und in Merseburg/Sachsen. Nach Kriegsende verschlug es die Familie Schindler, gebürtige Sudetendeutsche, zunächst nach Kimmelsbach und dann nach Sulzdorf an der Lederhecke. 1947/48 baute Rudolf Schindler in Sulzdorf einen holzverarbeitenden Betrieb auf.
Nach dem Krieg bestimmten die Siegermächte, dass die Deutschen keine Flugzeuge fliegen durften. Die Lufthoheit lag bei der jeweiligen Besatzungsmacht. Erst ab 1950 wurde der Segelflugsport und ab 1955 der gesamte Flugsport in Deutschland wieder zugelassen. 1951 fuhr das Ehepaar Schindler deshalb auf einer Zündapp mit Beiwagen zu ihrem Verwandten Edmund Schneider nach Mühlhofen am Bodensee. Schindler erhielt nicht nur die Pläne zum Bau des „Grunau Baby“ von diesem geschenkt, sondern zudem die Erlaubnis dieses bauen zu dürfen.
Ab 1952 wurde das „Grunau Baby“ in einer Holzbaracke an der Brennhäuser Straße in Sulzdorf gebaut. Die Tragfläche wurde aus Platzgründen im Saalbau des Gasthauses Eckhardt mit Leinwand bespannt und glasiert. Dieser Flugzeugtyp wurde übrigens ebenfalls bei der Firma Schleicher in Poppenhausen in der Rhön angefertigt, berichtet Peter Schindler.
Gummiseil und Männerkraft
Der Jungfernflug eines „Grunau Baby“ an der Lederhecke erfolgte 1953 am Weinberg in Sulzdorf. Dieser terrassenförmig ansteigende Berg zwischen Sulzdorf und Schwanhausen/Zimmerau an der heutigen B 279 war damals noch nicht mit Bäumen und Sträuchern bewachsen und außerdem gab es noch keine Umgehungsstraße, so dass dort ideales Gelände vorgefunden wurde.
Um den Start des Segelflugzeugs zu ermöglichen, wurde ein V-Gummiseil am Bug eingehängt, das auf jeder Seite mit Männerkraft gespannt wurde. Gleichzeitig wurde das Flugzeug am Hecksporn gehalten. Und dann ließen alle auf Kommando los. Jetzt zischte das Flugzeug über die Bergkuppe, flog einige hundert Meter und landete dann im ausgedehnten Wiesengrund.
In jenen Jahren wurden zahlreiche Flugsportclubs in Deutschland gegründet. Sie verfügten damals über keine großen finanziellen Mittel, so dass der Absatz des „Grunau Baby“ nicht so recht in Schwung kam und die Produktion bei der Fa. Schindler in Sulzdorf eingestellt werden musste.
Das „Grunau-Baby“
Das Flugzeug war in der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg eines der meistgebauten seiner Art und kam in mehreren Ländern zum Einsatz. Es bestand aus einem Holzrahmen und war teils sperrholzbeplankt, teils stoffbespannt. Der Flügel war zweiteilig und besaß einen Holm. Als Fahrwerk dienten eine gummigefederte Kufe und ein Federstahlsporn am Heck. Das „Grunau Baby“ kann als das am meisten gebaute Segelflugzeug der Welt angesehen werden. Zwischen 1931 und 1945 wurden in Deutschland und anderen europäischen Ländern mehr als 4000 Exemplare hergestellt. Die erste Ausführung Baby I hatte eine Spannweite von 12,87 m und ein Leergewicht von 98 kg.
Mit dem Baby I stellte Kurt Schmidt 1933 bei Korschenruh in Ostpreußen einen Weltrekord im Dauersegelflug auf. Er landete erst nach 36 Stunden und 36 Minuten wieder sicher auf dem Boden. Schneider überarbeitete 1932/33 seinen Entwurf nach einigen statischen Berechnungen völlig. Die Baby II erhielt einen um 70 cm verlängerten Tragflügel mit Hilfsholm und einen vergrößerten, stromlinienförmigeren Rumpf. Die meistgebaute Version war Baby IIb. Hiervon wurden allein in der DDR von 1952 bis 1957 396 Exemplare produziert und teilweise bei 1979 bei der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) eingesetzt. In Sulzdorf wurden Anfang der 1950er Jahre zehn Segelflugzeuge des Typs Grunau Baby gebaut, ebenso ein Flugzeugtyp „Schulgleiter“ für Schulungszwecke.