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BAD NEUSTADT: Landwirtschaft muss sich neu erfinden

BAD NEUSTADT

Landwirtschaft muss sich neu erfinden

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    Nischenprodukt Haselnuss: In Großbardorf haben sich Landwirte zusammengetan und produzieren Haselnüsse in Bio-Qualität.
    Nischenprodukt Haselnuss: In Großbardorf haben sich Landwirte zusammengetan und produzieren Haselnüsse in Bio-Qualität. Foto: Foto: Martina Harasim

    „Das wird eine historisch schlechte Ernte.“ Mathias Klöffel ist seit 40 Jahren Landwirt und hat selten so eine schlechte Saison erlebt. Als Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes kennt er die Zahlen. Klöffel weiß, dass viele Betriebe in Rhön-Grabfeld nach der langen Trockenheit und der großen Hitze Ernteeinbußen haben.

    Bei einem Gespräch auf seinem Hof in Großbardorf wird schnell klar: Der Bauernobmann möchte nicht über die schlechte Ernte reden, er möchte auch nicht jammern, sondern lieber Strategien vorstellen, mit denen Landwirte in Rhön-Grabfeld künftig solche Misserfolge vermeiden können. Denn eines weiß der BBV-Vertreter auch: Drei solcher Ernten in Folge, und so mancher Betrieb kann einpacken.

    Ideen und Projekte

    Klöffel hat einige Ideen im Kopf, wie man sich als Landwirt neue Geschäftsfelder erschließen kann, wie man seinen Betrieb auf die Auswirkungen des Klimawandels einstellen kann und wie Bauern sich dabei gleichzeitig noch für die Biodiversität einsetzen können. Manche dieser Ideen hat er mit Berufskollegen bereits umgesetzt: Blühflächen und Haselnussanbau beispielsweise. Diese beiden Projekte findet Hubert Weiger, Vorsitzender vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), so spannend und innovativ, dass er am 1. August nach Großbardorf kommen wird, und sich die Blühflächen zeigen lässt.

    „Wir müssen uns dem Klimawandel anpassen“, ist eine Kernforderung Klöffels. „Rhön-Grabfeld“, sagt er, „ist die Sahel-Zone Bayerns.“ Seine Anregung: Derzeit gibt es eine große Nachfrage nach Dinkel. Der gedeiht auch auf Böden, die nicht besonders ergiebig sind – und, Dinkel gedeiht auch auf trockeneren Böden. Oder, warum nicht Mais in die Fruchtfolge einbauen? Auch diese Pflanze ist sehr genügsam.

    Breiter aufstellen

    Die Landwirtschaft im Landkreis könne nicht mithalten mit dem fruchtbaren Südbayern und mit den Höfen im Osten, die aufgrund der historischen Entwicklung viel größere Flächen bewirtschaften. Rhön-Grabfelds Bauern müssten eigene Strategien entwickeln, sich beispielsweise breiter aufstellen, sagt Klöffel.

    Ihm ist schon klar, dass so mancher Kollege abwinkt, wenn man ihm rät, neben dem Anbau von Feldfrüchten auch noch Tiere zu halten, sagt er. Tierhalter müssen an 365 Tagen im Jahr auf dem Hof sein. „Diese Arbeitsbelastung will sich keiner ans Bein binden“, weiß Klöffel. Dennoch wäre Tierhaltung ein zweites Standbein, das die Existenz sichert, wenn das erste witterungsbedingt wegbricht.

    Die Königin der Futterpflanzen

    Obwohl Rhön-Grabfeld die geringste Tierhaltungsdichte in Bayern hat, ist Futtermittelanbau eine Alternative. Die Kollegen könnten Luzerne, „die Königin der Futterpflanze“ anbauen, deren Wurzeln mehrere Meter in die Tiefe reichen und die drei bis vier Jahre auf dem Feld bleiben. „Man kann Luzerne als Viehfutter nutzen, oder es mit der Wärme aus der Biogasanlage trocknen, zu Ballen binden und diese dann verkaufen.“

    „Die Landwirtschaft muss sich ein Stück weit neu erfinden“, regt Klöffel an, der selbst 180 Hektar bewirtschaftet. Die Haselnussplantage in Großbardorf ist so eine Erfindung. Ein Nischenprojekt, das er sich ausgedacht und zusammen mit 16 Kollegen realisiert hat. Auf acht Hektar stehen 1200 Haselnussbäume in Reih und Glied und liefern Premiumhaselnüsse in Bioqualität, die die Landwirte selbst vermarkten möchten. Noch sind die Erträge gering, die Bäumchen müssen noch ein wenig wachsen. Bis sie richtig ertragsstark sind, muss die Ernte in Handarbeit erledigt werden, später kann man die Haselnüsse dann mit maschineller Hilfe ernten.

    Bauern arbeiten zusammen

    Die kleine Haselnussplantage ist für den BBV-Kreisobmann nicht nur eine wirtschaftliche Nische, mit der Landwirte Geld verdienen können. Sie ist für ihn auch ein schönes Beispiel dafür, dass diese Art von Kooperation unter Bauern funktioniert. Bauern sind Unternehmer und meist auch Einzelkämpfer. Bei Gemeinschaftsprojekten aber arbeiten sie im Team. Man kommt bei den Arbeitseinsätzen, meist an Samstagen, ins Gespräch, tauscht Erfahrungen aus und verfolgt ein gemeinsames Ziel. „Wir haben gelernt, in gemeinsamen Kategorien zu denken“, beschreibt Mathias Klöffel diese Form der Zusammenarbeit. Das Wasser für die Tröpfchenbewässerung stammt übrigens von der Biogasanlage nebenan – noch so eine Kooperation.

    Nischenprodukte

    Ein weiteres Beispiel für erfolgreichen Nischenprodukte sind beispielsweise auch die Felder zwischen Nordheim und Ostheim, auf denen Holunder für die Bionade-Produktion angebaut wird. Fünf Nordheimer Landwirte betreiben den Holunderanbau gemeinsam. Vor sechs Jahren gründeten die Berufskollegen eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts und initiierten so das Gemeinschaftsprojekt.

    Die Landwirtschaft habe sich in den vergangenen zehn Jahren schon stark entwickelt, erläutert der Fachmann. Bauern produzieren nicht nur Nahrungsmittel, sie sind im Energiesektor tätig (Biogas- oder Fotovoltaikanlagen, Rapsöl) und sie kümmern sich auch um die biologische Vielfalt – mit Blühflächen beispielsweise. Denn das Insektensterben treibt auch den Mann vom Bauernverband um – auch wenn er sich auf keine Diskussion einlässt, welchen Anteil die Landwirtschaft an diesem Phänomen hat.

    50 Hektar für Insekten

    Bei einem Ausflug in die Flur präsentiert er ein Projekt, das nunmehr seit zwei Jahren läuft. Auf 50 Hektar Fläche wurden Wildpflanzensamen ausgebracht, die den Insekten Nahrung bieten. Und tatsächlich steht er wenig später in einem riesigen Feld voller bunter Blumen, in denen sich jede Menge Insekten tummeln. Der Ertrag dieser Blühflächen wird im August geerntet und in die Biogasanlage gebracht. Die Gärreste taugen gut zum Düngen. Im Herbst, erläutert der Fachmann, blüht die Fläche noch mal.

    Dieser Beitrag zum Naturschutz hat ihren Preis. Die Bauern erwirtschaften mit den Wildpflanzen mehrere Hundert Euro pro Hektar weniger als mit Feldfrüchten. Laut Klöffel liegen die Verluste bei etwa der Hälfte. Damit die Landwirte sich diesen Beitrag zur Artenvielfalt leisten können, müssen diese finanziellen Verluste ausgeglichen werden. Das, sagt Klöffel, sei eine gesellschaftliche Aufgabe.

    Artenvielfalt muss man sich leisten können

    Bei dem Projekt, das er im August auch dem BUND-Chef Hubert Weiger vorstellen wird, kommen die Ausgleichszahlungen von Naturschutzverbänden. Der BUND, Imker, Vogelschützer und Bauern arbeiten gemeinsam an der Erhaltung der Blühflächen. Und das ist für den BBV-Kreisobmann auch der einzig gangbare Weg. „Wie werden diesen Wettlauf nur miteinander gewinnen. Dafür brauchen wir Verständnis und Unterstützung.“

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