Die Dezember-Ausgabe von „Mellrichstadt liest“ stand unter dem Titel „Sieh, Bethlehems Stern scheint überall!“ – vorgelesen wurden Weihnachtsgeschichten aus aller Welt. Wieder einmal hatten das Moderatoren-Duo Janette Fraas und Fred Rautenberg unterschiedlichste Lektüre zum Thema ausgesucht und wurde dabei von den beiden Gastvorleserinnen Anita Karlein aus Mellrichstadt und Annelore Schondelmayer aus Nordheim unterstützt. Letztere hatte sich ganz spontan dazu bereit erklärt. Sie rezitierte aus dem Gedächtnis ein altes Adventsgedicht in fränkischer Mundart, das von Weihnachtsbräuchen in der Rhön erzählte. Schondelmayer kennt die Verse seit ihrer Kindheit. Wer sie geschrieben hat, weiß sie nicht mehr, das Gedicht beschreibe jedoch genau, wie sie früher die Adventszeit erlebt habe.
Fred Rautenberg las eine Geschichte der schwedischen Autorin und Literaturnobelpreisträgerin Selma Lagerlöf (1858-1940) vor. Im Zentrum der Erzählung „Gottesfriede“ steht Ingmar Ingmarsson, der sich am Vortag von Heiligabend während eines Schneesturms im Tannenwald verirrt. In einer Bärenhöhle findet er Unterschlupf, und die Körperwärme des Tieres hilft ihm zu überleben, ohne dass der Bär Anstalten macht, den Eindringling zu töten. Am nächsten Tag findet Ingmar den Weg zurück in sein Dorf und mobilisiert seine Söhne, mit ihm gemeinsam den Bären zu suchen und zu erlegen. Die Söhne kehren jedoch mit der Nachricht heim, das Tier habe den Vater getötet. Das schlichte Begräbnis erklärt seine Witwe damit, sie wolle Demut vor Gott zeigen, habe der Bär doch das Weihnachtsgebot des Friedens gehalten – im Gegensatz zu den Ingmarssons.
Mit „Ein kleines Kind im Stroh“ hatte sich Janette Fraas eine sehr moderne Weihnachtserzählung des 1924 in Paris geborenen Schriftstellers Michel Tournier ausgesucht. Die literarische Weltreise machte anschließend einen Sprung nach Island, zu einer Geschichte des Autors Gunnar Gunnarsson (1889-1975), die Fred Rautenberg vorstellte. Der Protagonist in „Advent im Hochgebirge“ bricht in Begleitung seines Hundes in die Berge Islands auf, um noch rechtzeitig vor Einbruch des strengen Winters ein paar Schafe zu retten. Der Mann kann nämlich den Gedanken nicht ertragen, dass die Tiere – wie er selbst Geschöpfe Gottes – den Schneestürmen zum Opfer fallen. Dabei läuft er selbst Gefahr, in der eisigen Kälte zu erfrieren, gibt aber die Suche nach den Tieren nicht auf. Gunnarssons Geschichte ist aber auch eine Suche ins Innere. Wenn der Mann inmitten des Schneesturms seinen Gedanken über den Menschen, das Tier und das Leben an sich nachhängt, erinnert sie an Ernest Hemingways weltbekannte Geschichte „Der alte Mann und das Meer“.
Witzig, nachdenklich, ironisch sind die Geschichten der österreichischen Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger. Anita Karlein hatte mit „Der Weihnachtskarpfen“ eine von Nöstlingers heiter-amüsanten Erzählungen mitgebracht, die nicht nur junge Leser begeistert. Im Zentrum steht Franz, der es gar nicht gut findet, dass Frau Siepeck aus dem oberen Stockwerk sich alljährlich einen lebenden Karpfen als Festtagsschmaus liefern lässt. Gemeinsam mit seiner Freundin heckt Franz einen Plan aus, wie er den Karpfen vor dem sicheren Tod retten kann. Doch bei der Aktion geht jedoch alles schief, was nur schief gehen kann. Ebenso amüsant weiß der US-amerikanische Schriftsteller Jay Williams (1914-1978) in „Wie Till Eulenspiegel Weihnachten gestohlen hat“ zu erzählen, eine weitere Story, die Anita Karlein vorstellte.
Mit Kurt Tucholskys Gedicht „Großstadt-Weihnachten“, wo die Feierlichkeit zur Dekoration verkommt und die Stimmung nur noch eine gespielte ist, und mit Versen von Julia Schrader über eine pikante wie auch piksende Begegnung unterm Tannenbaum endete ein sehr unterhaltsamer Lesenachmittag. Dementsprechend kräftig war der Publikumsbeifall für die Vorleser.
Alle Freunde von „Mellrichstadt liest“ dürfen sich schon jetzt auf die erste Lesung im neuen Jahr freuen. Am 5. Januar 2014 geht die literarische Reise um 16 Uhr im Café Art der Kreisgalerie weiter. Dann werden Schüler und Lehrer des Martin-Pollich-Gymnasiums den Nachmittag gestalten – auch musikalisch.