Wie sich die Zeiten ändern: Stand einst den Ausbildungsstellen eine deutlich höhere Anzahl von Bewerbern gegenüber, ist das Verhältnis inzwischen umgekehrt. Nahezu alle Branchen sind von der Entwicklung betroffen. Junge Menschen könnten also entspannt auf ihre berufliche Zukunft blicken, doch die aktuelle wirtschaftliche Situation und die Folgen der Corona-Pandemie verunsichern den Nachwuchs und sorgen für eine verzögerten Einstieg auf den Arbeitsmarkt, war die Bilanz der Bad Neustädter Agentur für Arbeit in ihrer Jahresabschlusskonferenz.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Standen 2004 im Zuständigkeitsbereich der Agentur für Arbeit in Bad Neustadt noch 1259 Bewerber 569 Stellen gegenüber, kommen derzeit auf 461 Bewerber nun 836 Stellen. Seit 2013 öffnete sich die Schere zu dem umgekehrten Verhältnis der Bewerber-Stellen-Relation, erklärt Berufsberater Wolfgang Schmitt: Die Betriebe haben einen höheren Bedarf, gleichzeitig sanken jedoch die Schülerzahlen.
Wie Corona die Berufswahl erschwert
Der Trend wurde in der Vergangenheit noch dadurch verstärkt, dass immer weniger Schüler sich für eine berufliche Ausbildung entschieden. Erst in jüngster Zeit ist zu beobachten, dass verstärkt Schüler mit einem mittleren oder höheren Abschluss eine Lehre antreten. Die absoluten Zahlen sind dabei allerdings noch relativ gering, sodass eine Interpretation mit Vorsicht vorzunehmen sei, meint Geschäftsführerin Alexandra Elbert.
Ebenso sei eine Verunsicherung bei der Berufswahl zu beobachten. Eine Entscheidung wird durch einen Verbleib im schulischen System hinausgezögert, indem ein Schuljahr wiederholt oder eine weiterführende Schule besucht wird, schildert Schmitt. Ein Grund für dieses Verhalten sei auch das pandemiebedingte Fehlen von Orientierungsmöglichkeiten: Berufsbasare waren ausgefallen und Betriebe boten weniger Praktika an.
Auch die Jungs in Rhön-Grabfeld wollen am liebsten Kfz-Mechatroniker werden
Auch die Berufsberater hatten weniger Möglichkeiten zum persönlichen Kontakt. Auf der anderen Seite müssen aber auch immer weniger Schüler in Überbrückungsmaßnahmen, weil sie auf dem Ausbildungsmarkt nicht untergebracht werden konnten.

In der "Hitliste" der Wunschberufe gibt es hingegen wenig Bewegung, stellt Schmitt weiter fest: Männer wollen weiterhin in klassische Männer- und Frauen in Frauenberufe. An vorderster Stelle stehen bei männlichen Bewerbern nach wie vor der Kfz-Mechatroniker, vor Industriemechaniker und Fachinformatiker.
Flüchtlinge aus der Ukraine können Lücke nicht schließen
Weibliche Bewerber zieht es vor allem als Kauffrau an den Schreibtisch in der Industrie oder im Handel. Fast ebenso hoch im Kurs steht aber nach wie vor die Medizinische Fachangestellte. Das Interesse an klassischen Handwerksberufen wie Schreiner, Metzger oder Bäcker ist bei der Jugend eher zurückhaltend.
Der Bedarf der Arbeitgeber deckt sich nur zum Teil mit den Favoriten des beruflichen Nachwuchses. Die meisten Stellen werden für Zerspanungsmechaniker/innen und für Kaufleute angeboten. Auch nach Mechatronikern besteht hohe Nachfrage. Im Mittelfeld landet das Angebot an Stellen für Verkäufer und Kaufleute im Einzelhandel. Der Bedarf werde auch nicht durch Flüchtlinge etwa aus der Ukraine gedeckt werden können.

Um die Stellen zu besetzen, sollten die Betriebe ihre Anstrengungen in der Nachwuchswerbung erhöhen und die Ausbildung attraktiver machen, rät Alexandra Elbert. Der Azubi-Shuttle ist dabei schon einmal ein Mittel, um größere Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz zu überbrücken. Darüber hinaus sollten die Betriebe ihre Stellen frühzeitig der Arbeitsagentur melden, damit mehr Zeit zur Vermittlung besteht. Die Agentur für Arbeit verfüge über eine Vielzahl von Instrumenten, die die Beteiligten zusammenführen.