Eine Schulveranstaltung war es nicht, aber es waren Schülerinnen und Schüler der Klasse 10c des Martin-Pollich-Gymnasiums, die die Initiative ergriffen und zum Gesprächsabend in die Mellrichstädter Markthalle eingeladen hatten. Sie sprachen ein Thema an, das viel zu oft mit einem Achselzucken übergangen wird: Formen moderner Sklaverei im Milieu der Prostitution. Betroffen sind davon fast ausschließlich junge Mädchen oder junge Frauen, oft aus ost- oder südosteuropäischen Ländern von Menschenhändlern verschleppt.
Um darüber gründliche Informationen anbieten zu können, hatten Tabita Öhlein und Schulsprecherin Saskia Hofmann, beide aus der Klasse 10c, zwei Vertreterinnen des Vereins „Freethem“ aus Kassel gewonnen. Carina Angelina und Katharina Renken haben eine deutsche Sektion des Vereins gegründet, der sich die präventiv wirkende Information über menschenverachtende Frauenprostitution und Menschenhandel zum Ziel gesetzt hat.
Den Anstoß für die Initiative der MPG-Schüler gab Tabita Öhlein mit einem Referat im Unterricht über das Thema. Als sie vorschlug, mit dem Verein „Freethem“ Kontakt aufzunehmen, waren Saskia Hofmann und über die Hälfte ihrer Klasse bereit, mitzumachen. Sie erstellten ein Video mit der Befragung verschiedener Bürger zum Problem der sexuellen Ausbeutung, das sie auch am Freitag vorführten und das den Umkreis der Problematik aufriss.
Saskia Hofmann stellte danach kurz den Verein „Freethem“ und seine Zielsetzungen vor. Bevor Carina Angelina ihren mit Fakten und Zahlen gespickten Vortrag hielt, spielte sie ein Video ab, bei dem ein im Rap-Stil verfasstes, langes Gedicht vorgetragen wurde. Ein junger Mann drückt sein Entsetzen aus über das Schicksal eines Mädchens, das alle Formen der Unmenschlichkeit als ausgebeutetes Sexualobjekt erfahren muss.
Schockierende Einzelheiten
Bei Angelinas Vortrag erfuhren die Zuhörer schockierende Einzelheiten. Menschenhandel mit Frauen, die als Sex-Sklavinnen missbraucht werden, gehöre zu den größten und am schnellsten wachsenden Feldern krimineller Aktivitäten weltweit, sagte die „Freethem“-Vertreterin. Zu 79 Prozent werden die geschmuggelten oder verkauften Frauen zum Sex gezwungen, 18 weitere Prozent zu sklavenähnlicher Zwangsarbeit benutzt. Die Ausbeutung von Körperorganen, Zwangsverheiratung, Betteln, sexueller Missbrauch von Kindern oder deren Rekrutierung als Kindersoldaten sind weitere Formen moderner Sklaverei.
Die Gesetzeslage in Deutschland gegen solche Verbrechen ist nach Angelinas Meinung unbefriedigend. Zehn Prozent der missbrauchten Menschen seien noch im Kindesalter, über 50 Prozent jünger als 21. Mehr als 95 Prozent seien in die Prostitution gezwungen oder genötigt worden. Deutschland habe diesbezüglich eines der liberalsten Gesetze in Europa und sei dadurch zum Bordell des Kontinents geworden, machte sie deutlich. Das gut gemeinte Prostitutionsgesetz von 2002 hat nach Meinung von Angelina keineswegs die gesteckten Ziele erreicht. Für sie ist die Prostitution kein Beruf wie jeder andere, zu sehr seien solche Frauen körperlicher und seelischer Gewalt ausgeliefert – durch Zuhälter und Bordellbetreiber, aber oft auch durch ihre „Freier“.
60 Prozent berichten davon, dass sie schon vergewaltigt wurden, sagte sie. Fast die Hälfte wird drogenabhängig und leidet unter Depressionen, 25 Prozent der Frauen hatten schon Selbstmordgedanken. An die 60 Prozent leiden unter dem posttraumatischen Belastungssyndrom.
Gegen das deutsche Gesetz stellte Angelina das schwedische Modell, das beeindruckend positive Zahlen aufweist. Prostituierte werden unterstützt, die Straßenprostitution habe sich halbiert, insgesamt gebe es in dem skandinavischen Land weniger Prostitution als in den anderen europäischen Ländern. Es schrecke auch Menschenhändler ab, so dass der Sklavenhandel zurückgegangen sei.
Kampf gegen Menschenhandel
Saskia Hofmann stellte am Ende die Aktion „Show your Love“ vor. Dazu wurden in der Markthalle fantasievolle Taschen verkauft, hergestellt von Frauen in Kambodscha. Sie empfahl, die A-21-Kampagne zu unterstützen, die sich dem Kampf gegen Menschenhandel verschrieben hat. Zudem lag ein Flyer der Aktion „Gemeinsam gegen Menschenhandel“ aus. Hofmann dankte der Stadt Mellrichstadt dafür, dass sie die Markthalle kostenfrei für die Schülerveranstaltung zur Verfügung stellte.
Der Vorsitzende des Elternbeirats, Klemens Damm, sprach den Schülerinnen und Schülern seine Anerkennung für den erfolgreichen Abend und ihr Engagement aus.