Seit Jahrhunderten schweigen an den Kartagen, von Gründonnerstagabend an, die Glocken der Kirchen. Sie sind, einem alten Volksglauben zufolge, nach Rom geflogen. Dann sind die Ratscher gefragt, die mit ihren Klapperkästen durch die Ortschaften ziehen, zum Gebet rufen und oft Jahrhunderte alte Verse singen. Früh aufstehen heißt es. In Bad Königshofen geht es morgens um 7 Uhr los. Um 11 Uhr wird zum Mittagsgebet und um 17 Uhr zum Abendgebet gerufen. War das in früheren Jahren die Aufgabe der Ministranten, so hat sich dies gewandelt. Mittlerweile ratschen auch Mädchen ebenso mit wie Kinder anderer Konfessionen.
Proben in der Schule
In Bad Königshofen beginnen schon Wochen zuvor die Proben, „denn die Liedtexte sollen ja sitzen und der Gesang entsprechend gut sein,“ sagen Karina Angermüller und Annika Börger. Das ist gar nicht so einfach, wie sich bei den Proben in der Aula der Grabfeldschule herausstellt.
Hannah ist seit drei Jahren dabei, Marie seit fünf, Raphael seit zwei Jahren. „Es macht einfach Spass dabei zu sein... , man kann die Leute wecken und zum Gebet rufen... außerdem ist es Tradition...“ sagen die Jungs und Mädels. Einige haben ihre Rumpel von ihren Eltern, andere vom Großvater oder vom Urgroßvater. „Natürlich könnte man auch eine Ferienjob machen, aber das Rumpeln macht doch mehr Spaß, wenn es auch nicht so viel Geld gibt.“
Acht Gruppen
In den vergangenen Wochen haben Annika und Karina schon gebangt, dass man nicht genug Kinder und Jugendliche für das Ratschen an den drei Tagen bekommt. Mittlerweile sind es 35 und das ergibt die acht Gruppen, die man für das Stadtgebiet braucht. Mitmachen darf jeder ab der dritten Klasse. Wer einmal dabei war, der kommt immer wieder, erfährt man bei den Mädchen und Jungs. „Es macht ja auch Spass, auch wenn wir ganz schön zeitlich von Gründonnerstagabend bis Karsamstagabend eingebunden sind“, sagt Fabio.
Schon Wochen vorher werden die Holzkästen vom Dachboden geholt. Solch eine Holzklapper oder -Ratsche besteht aus einem etwa 50 mal 30 Zentimeter großen Resonanzkasten aus Holz. Darauf befinden sich zwischen sechs und zehn Holzhämmer, die wiederum durch eine Walze in Bewegung gesetzt werden und ein dumpfes Geräusch ergeben. Historische Ratschen gibt es kaum noch, oftmals sind es neue Holzinstrumente. Ratschenbauer findet man aber heute im Landkreis Rhön-Grabfeld kaum noch.
Jahrzehnte alte Texte
Beim Ratschen an den Kartagen werden ganz verschiedene Liedtexte gesungen. Sie sind oft über viele Jahrzehnte überliefert. Aus den 1930er Jahren stammen die Texte der Ratscher von Bad Königshofen, die der verstorbene Kreisheimatpfleger Otto Schulz überarbeitet hat. Geschrieben wurden sie von einem Kaplan Memmel der Stadtpfarrei Königshofen im Grabfeld. Da hört man am Gründonnerstag: „Ihr Christen, denkt der Leidensnacht, der Herr am Ölberg einsam wacht“ oder am Karfreitag in den Abendstunden: „Ihr Christen, nun ruht der Herr im Grab, heut, morgen bis zum dritten Tag. Kyrie Eleison“. Am Karsamstag ist am Abend der letzte Einsatz der Ratscher. Dann singen sie: „Es beginnt die heil'ge Osternacht, das Licht durchdringt die Grabesnacht. Maria nicht mehr klagt und weint, Christus der Herr, ihr bald erscheint. Ave Maria“.
Gustav Blum aus Bad Königshofen weiß noch aus seiner Jugendzeit, dass man in den 1950er Jahren früh um 6 Uhr, Mittags um 12 Uhr und abends um 18 Uhr „gerumpelt“ hat. Die Texte waren immer gleich: Wir klappern den englischen Gruß, den jeder Christ beten muß. Fallet nieder auf die Knie, betet Vater unser und Ave Marie! Ave Maria.„
Klappern für eine Ostergab'
Dass die Ratscher, wie sie im Grabfeld heißen, für ihre Arbeit auch etwas erhalten, ist klar. Am Karsamstag dürfen sie von Haus zu Haus gehen und um eine kleine Gabe bitten. Sie sagen dann folgenden Spruch: “Wir haben geklappert fürs heilige Grab und bitten um eine Ostergab'.“ Gibt es heute oftmals Süßigkeiten und Geld, war das in den 1950/60er Jahren nicht der Fall. Da gab es Eier und ab und zu auch einmal Süßigkeiten. Interessantes wird aus dem thüringischen Nachbarort Wolfmannshausen berichtet. Das Dorf war zu DDR-Zeiten eine katholische Enklave, die zum Bistum Würzburg gehörte. Dort wurde unter dem damaligen Pfarrer Alfred Rind das Ratschen in den Kartagen ebenfalls weiter gepflegt. Als besondere Belohnung verteilte der Ortspfarrer eine Tube West-Zahncreme. Die hat er immer wieder gesammelt und konnte so eine besondere Osterfreude bereiten. Heute sicher nicht mehr vorstellbar.