Heidrun Mauder vom Museum Salzhaus steht seit Tagen unter Spannung. Nicht nur, dass der Bayerische Rundfunk für eine Sendung am Sonntag das Palmbüschelbinden filmte. Auch der Grund, warum das Fernsehteam sich Mellrichstadt aussuchte, klingt interessant: Im späten Mittelalter führten die Gläubigen auf Prozessionen hölzerne Palmesel mit – auch die Mellrichstädter. Und deren Exemplar steht heute im Metropolitan Museum of Art in New York.
Eher durch Zufall stieß Mauders Mann Rudolf vor Jahren auf einen Artikel der Zeitschrift „Spessart“ vom März 2002, verfasst von einem Fred G. Rausch aus Lohr. Darin beschrieben ist die Odyssee der lebensgroßen Figur von Mellrichstadt in die Metropolitan-Zweigstelle „The Cloisters“ (Kreuzgänge). Dieser Gebäudekomplex mit architektonischen Fragmenten meist französischer Klöster beherbergt mittelalterliche Kunst.
Recherchen im Internet ergeben: Der Artikel im „Spessart“ teilt Informationen mit einem Beitrag von Vera K. Ostoia, einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Museums. Er dürfte 1956 – ein Jahr nach Kauf des Kunstwerks – entstanden sein. Die Veröffentlichung beschäftigt sich nicht nur mit dem Mellrichstädter Palmesel, sondern mit dem Brauch an sich. Ende des 19. Jahrhunderts, heißt es dort, waren noch rund 50 mittelalterliche Palmesel nachgewiesen – alle aus dem 14. bis 16. Jahrhundert. Sie wurden einst bei Prozessionen am Palmsonntag mitgeführt und zeigten Christus, auf einem Esel reitend, bei seinem Einzug in Jerusalem. Schöpfer meist unbekannt.
Der Palmesel im Museum wurde laut Bericht „im 19. Jahrhundert in einer zugemauerten Nische einer Kirche in Mellrichstadt, Bayern“ gefunden. Er stamme wahrscheinlich aus den 1470er-Jahren. Die Figur aus bemaltem Lindenholz sei kunstvoll ausgeführt, könne aber keinem bekannten Künstler zugeordnet werden.
Allerdings wird auch eine Christusfigur mit ähnlichen Eigenschaften aus dem späten 15. Jahrhundert erwähnt. Sie wurde in der Großenbergkapelle in Mellrichstadt gefunden und ist als „Salvatorchristus“ erhalten. Ein Werk desselben Künstlers?
Nach der Reformation im frühen 16. Jahrhundert galten Prozessionen vielen als verpönt – und das Zurschaustellen von Palmeseln plötzlich als Götzendienst. In einigen Regionen hielt sich der Brauch jedoch.
Fred Rausch erwähnt im „Spessart“-Beitrag, dass der Palmesel unter Fürstbischofs Franz Ludwig von Erthal (1779 bis 1795) vermutlich „beiseite gestellt wurde“. Allerdings soll er 1796 unter Dechant Nikolaus Gerstenberger (1730–1802) „hervorgesucht und, weil er baufällig war, wieder ausgebessert worden“ sein.
Endgültig wurde der Palmesel laut Rausch wohl 1803 von liturgischen Funktionen entbunden. Er verschwand in der Großenbergkapelle.
Vermutlich bis 1845. Dann wurde die Kapelle renoviert. Esel und Salvatorchristus seien vermutlich in den Kunsthandel gekommen.
Nachgewiesen als Besitzer ist der Düsseldorfer Geistliche Ernst Franz August Münzenberger (1833-1890), Sohn eines rheinischen Kunsthändlers. Aus seinem Nachlass wanderte der Palmesel ins Historische Museum Frankfurt und wurde an den jüdischen Sammler Carl von Weinberg (1861–1943) verkauft.
Dessen Sohn veräußerte nach dem Krieg seinen Kunstbesitz. Der Kunsthistoriker Guido Schoenberger kannte den Palmesel. Er hatte bis zu seiner Emigration aus Nazideutschland im Historischen Museum Frankfurt gearbeitet, später auch im Jüdischen Museum New York. Schoenberger fädelte den Erwerb des Esels durch das Metropolitan ein.
Fernsehreporter Josef Lindner kennt Fred Rausch. 2007 drehte er mit dem Lohrer eine Sendung über Palmesel für den Bayerischen Rundfunk. Und er erfuhr die Geschichte vom Esel in New York.
Ein Teil seiner Sendung am Palmsonntag, 29. März, ab 18 Uhr, soll sich mit einem lebendigen Palmesel in Schwanfeld beschäftigen, der andere mit der Mellrichstädter Skulptur. Lindners Frage: Wer kann sich noch an die Geschichte erinnern?
„Erstaunlich wenige“, lautet das Fazit des Reporters. Lediglich die Mauders konnten Auskunft geben. Immerhin nahm Lindner schöne bewegte Bilder vom Palmbüschelbinden im Seniorenkreis mit.
Und er setzte eine Kollegin in New York auf den Palmesel an. Inklusive Interview mit Museumsmitarbeitern. „Die sind richtig stolz auf ihren Esel. Der einzige, der es bis über den Ozean geschafft hat.“ Und die Mauders? Die haben Sohn Christian, der in New York studiert, auf die Skulptur angesetzt. Vielleicht findet er mehr heraus. Mit Material von Heidrun Mauder