Seit einigen Wochen klafft eine große Lücke zwischen der ehemaligen Bäckerei Weber und der Konditorei Heintz in der Schlundstraße. Hier standen einmal die Elternhäuser von Margreth Schmidt und Hanns Friedrich.
Es war schon ein seltsames Gefühl, als beide Häuser Stück für Stück im Staub versanken, Teile der Einrichtung noch zu sehen waren und vom großen Greifer des Baggers auf einen LKW befördert wurden. „Immerhin war das unser Zuhause in unserer Kinder- und Jugendzeit“, sagen beide.
Erinnerungen wurden wach: Erinnerungen an Eduard Haßmüller, der im Haus Nr. 109 eine gut gehende Herren Maßschneiderei betrieb und an das mit Schiefer verkleidete Haus Nr. 108, dessen Eigentümerin damals Babette Weber, die Schwester des Bäckermeisters Robert Weber, war. In diesem Haus wohnten im ersten Stock als Mieter Cäcilie und Therese Friedrich sowie die Hauseigentümerin im Erdgeschoß.
Das Alter der Häuser ist nicht mehr zu ermitteln Wann die Häuser gebaut wurden, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Sie gehören auf jeden Fall zum Altstadtkern und standen sicher schon einige Jahrhunderte. Weder in den Unterlagen der Stadt, noch bei Josef Sperl oder Caspar Schott gibt es nähere Informationen zur Bauzeit der Häuserzeile. So kann man nur die letzten Jahrzehnte nachvollziehen. Schneidermeister Eduard Haßmüller führte seine Herrenschneiderei bis in die 50iger Jahre zumeist mit zwei Gesellen, einem Lehrling und oftmals verstärkt durch Schneidergesellen, die sich auf der Walz befanden.
Noch mit über 70 Jahren saß der Schneidermeister täglich in seiner Werkstatt auf seinem Schneidertisch. Tochter Margreth weiß, dass sich hier, vor allem in den Wintermonaten, am Abend Nachbarn und Freunde trafen. Da wurde dann erzählt und diskutiert und freitags gab es für alle marinierte Heringe nach Mutters legendärer Rezeptur.
Die Geschichte von Stanislaus, dem Schneidergesellen
Und dann war auch noch die Zeit mit dem Schneidergesellen Stanislaus, einem polnischen Zwangsarbeiter jüdischen Glaubens. Er ist der Familie als zumeist sehr trauriger, in sich gekehrter Mensch in Erinnerung, der bestimmte Speisen, insbesondere Schweinefleisch, nicht anrührte. Stanislaus war auf Grund eines glücklichen Umstandes die Flucht aus dem Konzentrationslager Auschwitz gelungen. Mit den Papieren eines verstorbenen Polen beschaffte er sich eine neue Identität, wurde zum Kriegsdienst eingezogen, kam in Gefangenschaft und wurde zunächst als Kriegsgefangener in Aub als landwirtschaftlicher Zwangsarbeiter eingesetzt, bevor er nach Königshofen zu den Haßmüllers kam. Hier ging er als Geselle dem Schneidermeister zur Hand.
Kein Mensch durfte wissen, das Stanislaus Jude war
In der Zeit des Nationalsozialismus war den Haßmüllers klar: „Unter keinen Umständen darf bekannt werden, dass Stanislaus Jude ist“. Als am 8. April 1945 die Amerikaner in Königshofen einrückten, informierte Stanislaus die Soldaten über seine Identität und dass er hier immer sehr gut behandelt worden war. Er ist dann 1946 mit den Amerikanern von Königshofen nach Hanau weiter gezogen, eröffnete dort aus Dankbarkeit unter dem Namen Eduard Haßmüller eine Schneiderei und wanderte später nach Amerika aus.
Johanna Haßmüller starb im Alter von 84 Jahren im Mai 1973. Eduard Haßmüller wohnte von da an im Haus seiner Tochter Margreth. Er starb mit 88 Jahren im Juli 1979 und verkaufte kurz vorher das Haus in der Schlundstraße an das Sägewerk Kalnbach in Sulzdorf. Letzter Eigentümer war die Stadt, die für das Anwesen keine Nutzung mehr fand.
Zuflucht für eine ausgebombte Familie im Zweiten Weltkrieg
Beim Haus Schlundstraße 108 erinnern sich Konrad und Cäcilie Trauth (Bad Königshofen) noch daran, dass im Laufe des Zweiten Weltkrieges bis Februar 1949 die in Köln ausgebombte Familie Maria und Hans Mölzer in der Parterrewohnung lebten. Maria Mölzer war die Schwester von Johanna Haßmüller, Hans Mölzer hatte in Köln ein Friseurgeschäft. Bei ihm lernten Ernst Weidenbusch und Willi Riegler (beide aus Königshofen) den Beruf des Friseurs. Im ersten Stock wohnte Cäcilie Friedrich, bevor sie zu ihrer Tochter Emma Schober in die Klosterstraße zog.
Das Haus besaß einen kleinen Innenhof, der gleichzeitig als Waschküche genutzt wurde und mit einem großen Waschkessel ausgestattet war. In winkeligen Stufen ging es in den Keller, der damals noch kein elektrisches Licht hatte. Gleich im Anschluss an den Hof waren die Schweinställe der Bäckerei Weber, darüber die Küche und ein weiteres Zimmer, das als Schlafzimmer diente. Wenn der Geruch der Schweine in den Sommermonaten zu intensiv wurde, hängte man in Terpentin getränkte Tücher an die Fenster.
Die Küche war stets Dreh-und Angelpunkt der Wohnung
Dreh- und Angelpunkt im Haus war aber die Küche. Hier spielte sich alles ab. Da wurde gekocht, gegessen, wurden die Hausaufgaben erledigt, am Abend gestrickt und in den Wintermonaten gebadet. Im vorderen Teil des Hauses war das Schlafzimmer der Großmutter und die gute Stube, das Wohnzimmer. Das wurde nur dann genutzt, wenn Besuch kam und in den Wintermonaten auch nur zu besonderen Tagen, wie am Sonntag und an Festtagen geheizt. Dort stand an Weihnachten auch der Christbaum, natürlich mit echten Kerzen mit Lametta und alten Kugeln behängt. Im Schlafzimmer selbst gab es eine große Waschkommode, daneben eine Lourdesgrotte, die der Großvater Adolf Friedrich, selbst gebaut hatte.
Gebadet wurde nur in einer großen Blechwanne
An Weihnachten wurde dann eine große Krippe aufgestellt, die er ebenfalls nach eigenen Vorstellungen gebaut hatte. Selbst die Schäfchen waren Marke Eigenbau. Als Füßchen dienten abgebrannte Streichhölzer. Was gab es noch? Ein kleines Bad, das nur selten genutzt wurde. Gebadet wurde in den Sommermonaten im kleinen Hof in der Blechwanne, im Winter in der Küche, ebenfalls in der Blechwanne. Es war ein geräumiges Haus mit Abstellraum und großen Fenstern zum Hof. Die Wäsche, die hängte man auf einem Holzgestell vors Fenster. Darunter lag der Hof, in dem zweimal im Jahr die Schweine geschlachtet wurden.