Im Stadtgebiet gibt es verschiedene Gebäude, die dem Gerolzhöfer Stadtmuseum als Depoträume für die umfangreiche Sammlung dienen. Eines dieser Depots befindet sich im Alten Rathaus im obersten Stockwerk des Dachbodens. Das ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich und nur über eine schmale Zugtreppe zu erreichen. Museumsleiter Bertram Schulz hat dort bei Aufräumarbeiten eine interessante Entdeckung gemacht: ein hübsch dekorierter Holzkasten, in dem sich 77 historische "Zinnsoldaten" befinden. Außer diesen halbplastischen und beidseitig bemalten Figuren aus einer Zinn-Blei-Legierung gibt es im Kasten noch einige Einzelteile, die als winterliche Hintergrundstaffage verwendet werden können.
Solche Zinnsoldaten-Sets lagen im 19. Jahrhundert und in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg häufig unter dem Christbaum. Die blutigen Szenen auf den Schlachtfeldern dieser Welt wurden im Wohnzimmer von den Buben nachgespielt. Alle großen Hersteller von Zinnfiguren reagierten auf den Trend und boten ab Mitte des 19. Jahrhunderts in ihrem Sortiment unterschiedlichste Schlachten-Darstellungen an. Selbst kriegerische Auseinandersetzungen in fernen Ländern wurden in Szene gesetzt und die Zinnsoldaten in passenden Uniformen detailgetreu dargestellt.
Von wem stammt das Set im Gerolzhöfer Stadtmuseum?
Neben den klassischen flachen, nur einseitig bemalten Zinnfiguren gab es wegen der großen Nachfrage zunehmend auch halbplastische und vollplastische Soldaten. Die Personen-Darstellungen waren recht unterschiedlich: Es gab stehende und liegende Soldaten, meist mit der Waffe im Anschlag. Krieger zu Pferd wurden gezeigt, aber auch sterbende oder bereits tote Soldaten auf der Erde.

Doch von wem stammt dieses Set im Gerolzhöfer Stadtmuseum? Der Aufdruck des Kastendeckels kann weiterhelfen. In der Mitte sieht man eine Illustration, wie Kinder mit Figuren spielen. Im Hintergrund der Szene ist die Nürnberger Burg zu sehen. Das Monogramm "G Sp" verweist auf den Hersteller. Bertram Schulz holte sich Rat bei Franz Winkler aus Ebrach, einem Liebhaber von Zinnfiguren und Experten auf diesem Gebiet. Winkler stellt auch in diesem Jahr wieder seine handgemalten Werke in der Gerolzhöfer Krippenstraße aus.
Eine deutsch-französische Winterschlacht von 1870/71 in Szene gesetzt
Dem Experten fiel es leicht, das Monogramm "G Sp" auf der Schachtel zu entziffern: Es gehört zur Nürnberger Spielzeugfirma Georg Spenkuch, die ab 1880 in der Noris produzierte. Auf dem Deckel der Schachtel ist unten links auch nachzulesen, was der Inhalt darstellen soll: "Deutsch Franzosen Schlacht im Winter 1870/1871". Bei den 77 bemalten Figuren in der Kiste handelt es sich um Franzosen, Bayern und Preußen, alle in die seinerzeit charakteristischen soldatischen Uniformen gewandet.

Als Deutschland 1870/71 den deutsch-französischen Krieg für sich entschied, erlebten die Zinnsoldaten zu diesem Thema einen regelrechten Boom. Alleine in Nürnberg, der damaligen Hochburg der Spielzeugindustrie, sollen hunderte Frauen als Zinnfiguren-Malerinnen gearbeitet haben. Zu den erfolgreichen Nürnberger Firmen, die solche Schlachten-Darstellungen herstellten, gehörte die Firma von Georg Spenkuch. Ihre Produkte sind heute bei Sammlern sehr begehrt.
Die Darstellung der Schlacht war vor 66 Jahren eine Schenkung
In alten Eingangsakten des Gerolzhöfer Museums fand Schulz bei seinen Recherchen ein Dankschreiben des früheren Gerolzhöfer Bürgermeisters Franz Kreppel vom April 1956, in dem sich dieser bei dem Vollstreckungsobersekretär a.D. Wilhelm Schuler aus Gerolzhofen für eine Zuwendung ans Museum bedankt. Kreppel schreibt: "Sehr geehrter Herr Obersekretär, Sie hatten die Güte, für das Heimatmuseum dahier eine Schachtel Zinnsoldaten, darstellend die Schlacht bei Wörth 1871, zu schenken."

Schulers Schenkung verschwand danach erst einmal in den Tiefen des Museumsdepots. Erstmalig einer breiten Öffentlichkeit gezeigt wurde der Neuzugang im März 1971, als im Museum eine Sonderausstellung anlässlich der 100-jährigen Wiederkehr des deutsch-französischen Kriegs stattfand. In einer Aktennotiz heißt es: "Zur Erinnerung an die Kriegszeit vor 100 Jahren und als Mahnung zur deutsch-französischen Verständigung wurden auf einem Tischlein im Nebenraum des Museums die Zinnfiguren in ihren historischen Uniformen zum 100-jährigen Begehen aufgestellt." Weiter ist zu lesen, dass die Szenen angeblich die Schlacht bei Weißenburg darstellen sollen.
Welche Schlacht ist es wirklich?
Stellt sich also die Frage, welche Schlacht des Krieges nun konkret mit den Figuren aus dem Karton nachgestellt werden kann. Ist es tatsächlich die Schlacht bei Weißenburg? Oder doch die Schlacht bei Wörth? Franz Winkler schaltete, um diese Frage zu klären, noch einen weiteren, mit ihm befreundeten Zinnfiguren-Experten ein. Der ist der Meinung, dass es weder Weißenburg noch Wörth sein kann. Denn die Firma Spenkuch hatte – so viel man aufgrund der überlieferten Klischees aus den alten Firmenkatalogen wisse – nur zwei Winterschlachten im Angebot: die Schlacht von Orléans (3. und 4. Dezember 1870) und die Schlacht von Belfort (Januar 1871). Belfort scheide seiner Meinung nach aber aus, weil bei der Staffage der Szenen im Gerolzhöfer Stadtmuseum die belagerte Festung von Belfort fehle.

Also weder Weißenburg noch Wörth, sondern Orléans? Der Experte hatte allerdings für Franz Winkler einen weiteren Hinweis parat: Bei der Produktion von Schlachtenszenen bedienten sich die Nürnberger Zinnfiguren-Hersteller häufig bei historischen Stichen oder Gemälden als optische Vorlage. Winkler recherchierte also im Internet nach Bildern von Schlachten aus dem deutsch-französischen Krieg und fand ein Bild, das die "Schlacht von Loigny" zeigt.
Nicht so sehr das Schlachtengetümmel ist hierbei interessant, sondern der Hintergrund: Das Gemälde zeigt nämlich eine Kirche, eine Windmühle und mehrere brennende Gebäude – und damit genau die Staffage, wie sie sich auch im Gerolzhöfer Zinnfiguren-Set befindet.
Für den Museumsleiter Bertram Schulz erscheint die Recherche schlüssig. Das Gerolzhöfer Museum besitzt also ein bislang noch unbekanntes Zinnfiguren-Set der Firma Spenkuch, das die Schlacht von Loigny zeigt, etwa um das Jahr 1900 entstanden sein dürfte und das zumindest in den noch erhalten gebliebenen Katalogen von Spenkuch nicht vorkommt.