Mit einer Festwoche vom 1. bis 5. Juli begeht das Erich-Kästner-Kinderdorf in Oberschwarzach sein 50-jähriges Bestehen. Dazu werden im Kästner-Hof in der Wiesenmühle fünf Abend-Veranstaltungen mit bekannten Künstlern wie Rolf Zuckowski, Viva Voce oder Matthias Jung. Mit dabei sein wird sicherlich auch Gunda Fleischhauer.
Die Frau, die vor einem halben Jahrhundert das Erich-Kästner-Kinderdorf gegründet hat, ist heute nach wie vor nicht wegzudenken aus der Einrichtung. Ihre Lebensaufgabe? "Das ist mein Leben. Solange ich noch vorlesen und mit ihnen spielen kann und therapeutisch arbeiten, werde ich das auch tun", sagt die 82-Jährige. Noch immer hilft sie nahezu täglich mit, den jungen Menschen eine Familie zu bieten, wohnt auch selbst im Kinderdorf.
Das Kinderdorf unterhält seit vielen Jahren in Oberschwarzach und im Ortsteil Düttingsfeld Häuser. Dazu kommen weitere Standorte in Mainbernheim, Markt Einersheim und in Kaltensondheim. Mit diesen zusammen bieten die Häuser Platz für 40 Kinder und Jugendliche im Alter von zwei bis 21 Jahren. Außerdem gibt es 18 Plätze in zwei Heilpädagogischen Tagesstätten sowie das Schulchen, eine heiminterne Förderschule in Bimbach.
Warum Gunda Fleischhauer überhaupt eine eigene Einrichtung gegründet hat
Das Kinderdorf beherbergt meist Kinder, die in Not sind, "die langfristig einen Platz fürs Leben brauchen", wie es in der Selbstbeschreibung des Vereins heißt. Ziel ist es, dass die jungen Bewohnerinnen und Bewohner dort "eine neue Heimat bekommen". Sie sollen hier die Chance zur Entwicklung und Entfaltung erhalten.
Das war schon zu den Anfängen nicht anders. Wenn Gunda Fleischhauer zurückblickt auf das Jahr 1974, erinnert sie sich an die große Unzufriedenheit, die damals in Deutschland mit der Heimerziehung herrschte. Auch bei ihr, die in der Nähe von Würzburg in einem Heim arbeitete. Umso mehr erwuchs der Wunsch zur Gründung eines Kinderdorfs, das dann am Ortsrand von Mainbernheim entstand. Mit 15 Kindern, einer Kinderpflegerin, einer Erzieherin und einer Mitarbeiterin für die Hauswirtschaft, startete das Projekt.
Zu dieser Zeit seien die Kinder anders gewesen, "nicht so schwierig wie heute. Sie hatten eher das Bedürfnis zu stehlen, wegzulaufen, zu schreien. Sie waren aggressiver." Leichter zu begeistern seien die damaligen gewesen. Da hätten schon mal Spaghetti essen oder gemeinsam Pudding kochen ausgereicht.

Was Kinder von heute von Kindern von früher unterscheidet
Heutzutage seien die Probleme bei den Heranwachsenden nicht so leicht erkennbar. "Heute sprechen manche Kinder nicht, sie verkriechen sich. Sie 'leben' teils noch nicht richtig, wenn sie zu uns kommen", sagt Fleischhauer. Die Vorgeschichten seien oft sehr schwierig. Bei manchem Kind dürften die Eltern nicht wissen, wo es untergebracht sei. Es gebe welche, die eine neue Identität erhielten, wenn sie ins Kinderdorf kommen. "Da kann man sich vorstellen, warum", gibt Fleischhauer zu bedenken.

Viele kuriose, teils lustige Geschichten, aber auch weniger schöne Momente, hat Gunda Fleischhauer erlebt. Sie erinnert sich noch genau an die ersten Kinder in der Einrichtung. "Das waren vier Jungs aus dem städtischen Kinderheim in Karlsruhe. Sie waren zwischen neun und zwölf, eine richtige Bande." Zu vielen, auch von den allerersten, bestünden heute noch Verbindungen. "Wir haben aber auch welche verloren, die nichts mehr mit uns zu tun haben wollen", sagt die Pädagogin.
Zwischen Kinderdorf und eigener Familie
Zu den bei ihr Aufgenommenen kamen Fleischhauers eigene fünf Kinder hinzu, die mit in den Einrichtungen aufwuchsen. Auch das sei nicht immer einfach gewesen, ihre Familie habe sich arrangiert. Das belege schon, dass drei ihrer Kinder später selbst die pädagogische Richtung einschlugen. Ihr Sohn Peter etwa führt heute die Wiesenmühle in Oberschwarzach.
Das war die dritte Station, nach Mainbernheim und Iphofen. Seit 1991 leben Kinder nun in Oberschwarzach, in den beiden Mühlen am Ortsrand und im Ortsteil Düttingsfeld.
Kästner selbst gab die Erlaubnis, dass das Kinderdorf nach ihm benannt wird
Als Namensgeber für ihre Einrichtung hatte Gunda Fleischhauer den Schriftsteller Erich Kästner ausgesucht, den sie bewunderte. Ihn schrieb sie 1974 an, ob die Einrichtung dessen Namen tragen dürfe. Wenige Wochen vor seinem Tod schickte Kästner per Telegramm seine Zustimmung.

Das große Vermächtnis des Schriftstellers, das sich heute in der Steinmühle in Oberschwarzach befindet, erhielt das Kinderdorf 1991 ziemlich überraschend. Kästners Lebensgefährtin Luise Enderle überließ die gesamte Einrichtung von Kästners letzter Wohnung in München dem Kinderdorf. "Ich dachte, wir bekommen ein paar Bücher und Spielsachen. Dass wir das gesamte Haus ausräumen durften, hat uns überrascht", blickte Gunda Fleischhauer zurück. Neben seiner Bibliothek reichte der Fundus bis hin zu Möbeln, Requisiten und Bekleidungsstücken.
Im beschaulichen Oberschwarzach, oder im Haus in Düttingsfeld, sieht die Gründerin eine geradezu ideale Umgebung für die jungen Menschen. "Das ist wie eine Insel, Natur ist Teil unserer Philosophie. Wir versuchen, den Kindern ein Zuhause zu geben, das geht in der Natur hier sehr gut." Das soll auch in den nächsten Jahren so bleiben.