Eigentlich hatte die Kuratorin Andrea Fromm eine ganz andere Idee für eine Spitzweg-Ausstellung gehabt. "Aber ich musste die Idee verwerfen, weil mir immer der rote Schirm in die Quere kam", erzählt die Hamburger Kunsthistorikerin. Sie hatte bei ihren Recherchen festgestellt: Auf 60 Gemälden Carl Spitzwegs (1808-1885) taucht ein roter Schirm auf.
Also machte Andrea Fromm den roten Schirm zum roten Faden: Das Ergebnis ist bis 16. Juni im Schweinfurter Museum Georg Schäfer zu besichtigen, in der neuen Sonderausstellung "Der rote Schirm - Liebe und Heirat bei Carl Spitzweg". Das Museum, das über den weltweit größten Bestand an Spitzweg-Werken verfügt, zeigt 100 Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafiken aus dem eigenen Bestand und Leihgaben etwa aus dem Grohmann Museum in Milwaukee, den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, dem Frankfurter Städel oder dem Münchner Lenbachhaus.
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Vordergründig ist der rote Schirm ein leicht zu entschlüsselndes Symbol: Er gehörte zur Ausstattung der Hochzeitslader, also der Männer und Frauen, die von Dorf zu Dorf zogen, um die Menschen zu einer bevorstehenden Hochzeit einzuladen. Nun geht es auf besagten 60 Gemälden kaum je um Hochzeit, mitunter noch nicht einmal um Liebe. Zumindest nicht auf den ersten Blick.

Es ist bekannt, dass Spitzweg, inspiriert von der niederländischen Barockmalerei, jede Menge Symbole und Anspielungen in seine Bilder gepackt hat, viele davon mit romantischer oder erotischer Bedeutung. Rosen, Liebesbriefe, Kränze, schnäbelnde Tauben, Störche oder überfließende Brunnen. Was er aber mit dem roten Schirm meinte, hat er nie verraten. "So auffällig unauffällig, wie er ihn platziert, geht es um Strukturen, die er nicht offenlegen wollte", sagt Andrea Fromm.
Spitzweg hatte zwar etliche Amouren und Affären, blieb aber Junggeselle
Sie glaubt: Der rote Schirm steht für Carl Spitzwegs lebenslange Liebessehnsucht. Denn der Maler, der dank des väterlichen Erbes 1832 den Apothekerberuf aufgeben und Künstler werden konnte, hatte zwar etliche Amouren und Affären, blieb aber Junggeselle. Zweimal war er wirklich verliebt, aber die eine Erwählte, die Tischlermeisterstocher Clara Lechner, war verheiratet und starb, bevor sie geschieden war und Spitzweg ehelichen konnte. Und die andere, Angelika, war die Frau seines Bruders Eduard, also ebenso unerreichbar.

Nun war der Normalzustand für Frauen wie für Männer im 19. Jahrhundert das Verheiratetsein. Witwer oder Junggesellen galten als Sonderlinge, und ein solcher war Spitzweg selbst. Insofern zeugt es - neben der satirischen, zeitkritischen Note - von einer Menge Selbstironie, dass er diese Gattung Mensch in allen Varianten malte - mehr oder weniger liebevoll karikiert und im Laufe der Jahrzehnte zwischen 1835 und 1880 malerisch immer kühner.
Sein anfangs fast zeichnerischer Stil erreicht um 1850 mit seiner Mischung aus Detailfreude und meisterhafter Landschafts- und Lichtregie eine erste Hochphase, bevor Spitzweg eine skizzenhaft lockere Malweise entwickelt, die fast impressionistisch anmutet.

Seine Frauengestalten malt Spitzweg mit unverhohlen männlichem Blick - dennoch hat die Anmut der Mägde, Sennerinnen oder Wäscherinnen selten voyeuristischen Beigeschmack, und wenn, dann einen, den man erst entschlüsseln muss. So interpretiert Andrea Fromm den beherzten Griff einer Sennerin nach einem aufragenden Ast, während sie, einem Mönch folgend, über einen Zaun steigt, als eindeutig sexuelle Anspielung. Den roten Schirm hat die Sennerin übrigens unter den Arm geklemmt.
Begehren und Doppelmoral tauchen in vielen Varianten auf
Begehren und Doppelmoral tauchen in vielen Varianten auf. Sublimiert beim Kaktusliebhaber oder beim Schmetterlingsjäger, verunglückt beim kurzsichtigen Schreiber, der eine Kleiderpuppe anschmachtet, verschämt beim Jäger, der einem Dirndl hinterherblickt, explizit beim vorgeblich vornehmen Herrn, der eine Frau in ein Kornfeld zieht.

Der berühmte "Arme Poet" ist auch zu sehen - als Entwurf von 1837. Hier ist der Schirm über dem Kissenlager des Poeten noch rot. Andrea Fromm interpretiert ihn - in aufgespanntem Zustand - als Symbol für Weiblichkeit. In der Endversion von 1839 ist er dann graugrün, Symbol für die - erzwungene? - Selbstgenügsamkeit des Sonderlings.
Spitzwegs Witz ist allgegenwärtig, er reicht bis zum gemalten Kalauer. Ein Zöllner hat eine Gruppe fahrender Musiker angehalten und fragt: "Wo ist der Pass?" Einer der Musiker deutet auf ein großes Saiteninstrument auf dem Boden. Andrea Fromm: "Daran sieht man, dass die Szene in Franken spielt."
Museum Georg Schäfer, Schweinfurt: "Der rote Schirm - Liebe und Heirat bei Carl Spitzweg". Bis 16. Juni. In Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus Apolda Avantgarde. Geöffnet Mi.-So. 10-17 Uhr, Di. 10-20 Uhr.