Dieter Feser, 19 Jahre alt, will den Kriegsdienst verweigern. Am späten Vormittag des 27. Februar 1975 sitzt er im Kreiswehrersatz in Heidingsfeld vor Walter Bendrien, einem unter Verweigerern gefürchteten Juristen. Ihm muss er beweisen, dass er irreparable seelische Schäden erlitte, sollte er einen Menschen töten. Das geht nicht gut. Feser besteht das "Gewissensprüfung" genannte Verfahren nicht, wie die meisten, die mit Bendrien zu tun bekommen.
Zwei Stunden lang dauert die Verhandlung. Am Nachmittag sitzt Feser, verstört und erschüttert, an Mutters Küchentisch und schreibt auf, was ihm widerfahren ist. Es ist das Protokoll einer Demütigung. Dann bringt er sich um.
Im Wohnzimmer beriet er Kriegsdienstverweigerer
Überall in der Republik berichten Zeitungen über den Fall. In vielen Geschichten taucht der Name eines Mannes auf, auf dessen Beistand Generationen junger Pazifisten in ganz Deutschland hoffen: Franz Rauhut. 1898 wurde er in Frankenthal geboren, vor 30 Jahren, am 1. März 1988, ist er in Würzburg gestorben.
Rauhut war Professor der Romanistik an der Uni Würzburg, klein und schmächtig von Gestalt und doch nicht zu übersehen und nicht zu überhören. Er war ein Pazifist mit Leib und Seele, ein entschiedener, leidenschaftlicher Gegner jeden Militärs. Mehr als drei Jahrzehnte lang hat er Kriegsdienstverweigerer beraten, jeden Donnerstagabend in seinem Wohnzimmer in der Sanderau, Sonnenstraße 5. Dann saßen sie im Kreis zwischen wandfüllenden Bücherregalen, fragten nach und lauschten ihm. An manchen Abenden, erinnert sich Armin Genser, einer von ihnen, kamen so viele, dass sie sich auf mehrere Zimmer verteilen mussten.
1991 beantragte die Grünen-Stadträtin Benita Stolz zum ersten Mal, eine Straße oder einen Platz nach Rauhut zu benennen. Jetzt hat sie es wieder getan, gemeinsam mit 23 weiteren Ratsmitgliedern.
Rauhut bekämpfte Wiederbewaffnung Deutschlands und Wehrpflicht, Atombombe und Nato-Doppelbeschluss auf Vortragstourneen durch die ganze Republik. Er argumentierte mit Denkern, gegen deren Wort, meinte er, auch Konservative nichts einwenden könnten, und zitierte Victor Hugo: "Nehmt die Heere weg, und ihr nehmt den Krieg weg!", Papst Leo XIII.: "Die Wehrpflicht ist ein Attentat auf die Selbstbestimmung der sittlichen Persönlichkeit" oder Carlo Schmid: "Wir wollen unsere Söhne niemals mehr in die Kasernen schicken, und wenn noch einmal irgendwo der Wahnsinn des Krieges ausbrechen sollte, dann wollen wir eher untergehen und dabei das Bewusstsein haben, dass wir nicht Verbrechen begangen und gefördert haben."
Für Wolfgang Bötsch war er ein Linksextremer
Seine politischen Gegner unterstellten ihm, den Kommunisten des Warschauer Pakts zu dienen. Noch 1981 verortete der Würzburger CSU-Grande Wolfgang Bötsch den 83-jährigen Rauhut in eine linksextremistische Szene. Davon allerdings war der Professor weit entfernt. Einen Aufsatz zur Frage "Lieber rot als tot?" beantwortete er eindeutig: "Weder tot noch rot!"
Rauhut glaubte, dass der Frieden "in der Überzeugung von der Unantastbarkeit und Gleichberechtigung aller Menschen" liege. Er beschrieb den Frieden als "permanenten Prozess geschichtlicher Veränderung des Menschen und der Gesellschaft." Friede mache eine Weltgesellschaft möglich, in der durch die Kontrolle und freiwillige Begrenzung von Macht die Existenz und Entfaltung jedes Menschen möglich sei.
"Franz Rahuhut war eine Gallionsfigur der deutschen Friedensbewegung"
Theodor Berchem, ehemaliger Rektor der Würzburger Uni
Gewerkschaften, Friedens -und christliche Initiativen unterstützen den Antrag auf eine Straßenbenennung ebenso wie Würzburgs ehemalige Oberbürgermeisterin Pia Beckmann und Theodor Berchem, der langjährige Rektor der Uni-Würzburg. Der beschreibt Rauhut als "eine Gallionsfigur der deutschen Friedensbewegung", bedeutenden Romanisten und Humanisten. Er habe nicht alle seine Aktivitäten und Überzeugungen gut geheißen oder geteilt, aber für Rauhuts "unermüdlichen Einsatz" und Liebenswürdigkeit, habe er stets "höchsten Respekt und Bewunderung gehabt".
Die 24 Ratsmitglieder schreiben in ihrem Antrag, Rauhut scheine "vorbildhaft zu sein" im Sinne "einer kriegsverhindernden Friedenserziehung, der Förderung von Zivilcourage" und "der Vermittlung eines demokratiefähigen Menschenbildes".