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WÜRZBURG: Der Brückenschoppen: Würzburgs schönste Nebensache

WÜRZBURG

Der Brückenschoppen: Würzburgs schönste Nebensache

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    Würzburg zeigt seinen Gästen zur Begrüßung kein wirklich freundliches Gesicht. Der Hauptbahnhof ist so unkomfortabel wie der Busbahnhof schäbig, die Fernbusse spucken Reisende am maroden Quellenbach-Parkhaus aus, viele Parkgaragen sind dunkel, eng und teuer. Aber es kommt ja auch keiner wegen des Bahnhofs oder der Parkhäuser in die Stadt. Besucher reisen wegen Residenz und Festung und Käppele an, und natürlich wegen der Alten Mainbrücke, wo es sich trefflich treffen, trinken und tratschen lässt.

    Der Festungsblick ist gratis

    185 Meter ist die Brücke lang. Zum Leidwesen der Gastronomen auf der linken Mainseite findet das pralle Leben aber nur auf rechtsmainischen Hälfte statt, wo das Lokal „Mainmühle“, die „Vollkorn-Bäckerei Köhler“ und das „Mainwein-Bistro“ der Gebietswinzergenossenschaft mit ihren „Brückenschoppen“ ein gutes Geschäft machen. Ab vier Euro kostet hier ein Viertelliter Frankenwein – was nur Nicht-Würzburger teuer finden für einen Schoppen. Festung und Käppele im Hintergrund gibt's gratis dazu.

    Die Brückenstatuen wachen über die fröhlichen und zu vorgerückter Stunde auch weinseligen Menschen. Die Frankenapostel Kilian, Totnan und Kolonat. Maria, dargestellt als Patrona Franconiae. Joseph mit einem Jesus im Vorschulalter an der Hand. Die Bischöfe Burkard und Bruno und Friedrich. Johannes von Nepomuk und Karl Borromäus. Pippin der Kleine und Karl der Große. Alle aus Sandstein, alle 4,50 Meter hoch. Alle heilig. Bis auf Pippin. Der war nur Frankenkönig.

    Liebesschlösser in Kilians Nische

    In Kilians Nische hängen Liebesschlösser an einem Haken. Manche sind schon verwittert, Rost hat die Namen der Verliebten angefressen. Eines ist ganz neu, glänzend, pinkfarben. „Liebe ist . . .“ steht drauf. Daneben erzählt sich ein Grüppchen grauhaariger Anzugträger das, was man früher „Herrenwitze“ nannte. Drei Damen, mit voll bepackten Fahrrädern von Bamberg nach Würzburg gekommen, lachen mit. Nach zwei, drei Schoppen wird auch der Franke albern.

    Räder sind Zankäpfel auf der Alten Mainbrücke, die auch Radweg ist. Nicht unbedingt bei den Radfahrern, die sich hier mal mehr, mal weniger geduldig durch die Menge schlängeln. Auch nicht unbedingt bei den Weintrinkern, die den Radlern mal mehr, mal weniger bereitwillig Platz machen. Aber bei den Lokalpolitikern. In Zeiten, da die Stadt kein Geld mehr zu verteilen hat, suchen sich Stadträte andere Betätigungsfelder. Zwei CSU-Vertreter haben im Sommer ein Radfahrverbot auf der Brücke gefordert. Bürger hätten ihnen geklagt, Radler seien „ihnen über Füße gefahren“.

    Aus dem Verbot wurde nix. Aber getan werden soll was. Rathaussprecher Christian Weiß verspricht die Quadratur des Kreises: „Das Hochbauamt arbeitet schon seit einiger Zeit an einer Lösung, die allen auf der Brücke gerecht wird.“

    Diskussion um Fahrradverbot

    Gegen 17 Uhr entert eine Gruppe aus Texas die Brücke. Die Reiseleiterin trägt ein rotes Fähnchen an einer Bambusstange. Ein Schildchen an ihrem Anorak weist sie als „Marilyn“ aus. Rund 20 gut gelaunte Senioren folgen ihr. Marylin erzählt, dass die Festung erbaut wurde, damit die reichen Würzburger sich vor den armen Bauern aus dem Umland schützen konnten.

    Das ist so nicht ganz richtig, macht aber nichts, weil die Gruppe ihr eh nicht zuhört. Die Herrschaften haben sich am Weinausschank angestellt. „Bavarian wine is strong“, warnt Marylin, bayerischer Wein sei stark. Texas ist fast 9000 Flugkilometer von Würzburg entfernt. Zu weit, um zu wissen, dass Franken und Bayern vor über 200 Jahren zusammen gefügt wurden, aber nach der festen Überzeugung sowohl der Franken, als auch der Bayern, nicht zusammen gehören.

    Honey schüttet Süßstoff in den Schoppen

    Ein beleibter Herr, von seiner Frau zärtlich „Honey“ genannt, kippt den Schoppen auf Ex. Sekunden später entgleiten ihm die Gesichtszüge, er krümmt sich und stützt sich auf Pippins Fuß. Was zum Teufel er da getrunken habe, will er wissen, das Zeug schmecke ja wie Essig. Seine Gattin wühlt ein rosa Tütchen „Sweet?n Low“ aus ihrer Tasche, schüttet das Süßstoffpulver in ihren eigenen Schoppen, rührt mit dem Zeigefinger um und reicht Honey das Glas. Er leert es mit zwei Schlucken. „Better“, sagt er. Seine Frau versucht, Marylin, Festung, Käppele und alle Brückenheiligen auf ein Bild zu kriegen. Und muss feststellen, dass auch ein iPhone 6 das Unmögliche nicht möglich machen kann.

    Es ist jetzt fast 18 Uhr, die Brücke füllt sich zusehends. Männer mit Krawatten treffen hier Kumpels mit Motoröl-Flecken auf den Latzhosen. Menschen in Rollstühlen werden über das Kopfsteinpflaster geschoben. Sechs Damen erzählen einem Jüngling, dass sie ein „Mädels-Stammtisch“ sind – „und alle weit über 70.“ Ein Punk mit rosa Haaren kriegt von einigen einen Euro, von den meisten nichts und wünscht jedem „noch einen schönen Abend“. Eine Hundeschulklasse mit acht neugierigen Junghunden lernt, dass man auch in Menschenmassen sittsam „bei Fuß“ gehen kann. Stolze Eltern präsentieren ihre Babys in Kinderwagen. Studenten teilen sich zu dritt zwei Silvaner, weil Monatsende ist. Eine Frau mit Einkaufskorb erzählt ihren Freundinnen, dass sie „unbedingt noch zum Kupsch“ muss. Nach dem zweiten Schoppen verkündet sie, dass das Vorhandensein von Milch im Kaffee völlig überschätzt werde.

    Ein toller Ort zum Rumhängen

    Niemand wird von Fahrrädern umgefahren, niemand kippt von den Bordsteinen, niemand wird angepöbelt, niemand fällt über die Brüstung. Es gibt keine Verletzten und kaum Unzufriedene. Honey hockt zu Nepomuks Füßen. Sein Hütchen ist verrutscht, er ist ein bisschen blass um die Nase. Neben ihm liegen zwei leere Tütchen „Sweet?n low“. „Ein toller Ort zum Rumhängen, Wein trinken und Löcher in die Weinberge gucken“, schreibt ein Würzburg-Besucher auf der Touristikwebsite „tripadvisor“ über die Alte Mainbrücke.

    Gegen 19.30 Uhr werden Festung und Käppele illuminiert. Die Einheimischen schauen hoch und freuen sich. Die Touristen fotografieren. Ja, jetzt wird es richtig eng auf der Alten Mainbrücke. Ja, jetzt müssen Radfahrer absteigen und Jogger müssen auf der Stelle treten. Ja, jetzt stehen verbotenerweise ein paar Weingläser auf der Brüstung und es fällt auch mal eins auf die Brücke. Aber es ist herrlich hier. Und die, die die Stadt mögen, sind sich einig, dass der Brückenschoppen Würzburgs schönste Nebensache ist.

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