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Würzburg: Leonhard Franks "Karl und Anna": Wie aus einer Liebesgeschichte im Würzburg der 1950er Jahre ein Theaterskandal wurde

Würzburg

Leonhard Franks "Karl und Anna": Wie aus einer Liebesgeschichte im Würzburg der 1950er Jahre ein Theaterskandal wurde

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    Auch wenn Leonhard Frank (Mitte, mit seiner Frau Charlott und dem Würzburger OB Franz Stadelmayer)  1952 mit der Stadtplakette ausgezeichnet wurde (Foto von der Ehrungsveranstaltung), waren der Dichter und sein Werk im Würzburg der 1950er Jahre alles andere als unumstritten.
    Auch wenn Leonhard Frank (Mitte, mit seiner Frau Charlott und dem Würzburger OB Franz Stadelmayer)  1952 mit der Stadtplakette ausgezeichnet wurde (Foto von der Ehrungsveranstaltung), waren der Dichter und sein Werk im Würzburg der 1950er Jahre alles andere als unumstritten. Foto: Walter Röder

    Es ist eine bemerkenswerte Uraufführung, die an diesem Samstag, 6. April, auf dem Spielplan des Mainfranken Theaters Würzburg steht: "Karl und Anna", eine Oper nach der gleichnamigen Liebesnovelle des Würzburger Schriftstellers Leonhard Frank (1882-1961) aus dem Jahr 1926. Und es ist ein Stoff, der geradezu exemplarisch für das zeitweilig sehr ambivalente Verhältnis von Dichter und Stadt steht. 

    Die Liebe zweier Menschen siegt über soziale Regeln

    Wie alles anfing? Bis 1924 hatte Frank beginnend mit dem Würzburg-Roman "Die Räuberbande" (1914) zeitkritische, pazifistische und sozialistische Bücher geschrieben. Dann stieß er auf eine Zeitungsnotiz: Ein Schwindler habe sich bei einer Kriegerwitwe vergeblich als ihr gefallener Ehemann ausgegeben. Der Schriftsteller greift das Motiv auf, in seiner Geschichte werden der Fremde und die Frau ein Liebespaar.

    "Karl und Anna" beginnt mit zwei Kriegsgefangenen in sibirischer Weite. Richard schwärmt Karl so intensiv von seiner Frau Anna vor, dass Karl sich unsterblich verliebt. Karl gelingt die Flucht und drei Monate gibt er sich bei Anna als deren Gatte aus. Sie zweifelt, doch gleich in der zweiten Nacht, ihren Gefühlen folgend, schläft sie mit ihm. Die Beziehung verläuft nicht konfliktfrei, doch Karl und Anna lieben sich trotz der Verstellungen unbedingt und absolut, sind wie füreinander geschaffen. Auf die Probe wird die Beziehung gestellt, als Richard seine Heimkehr mit dem Kriegsende ankündigt.

    Die Liebesgeschichte spielt in einem Berliner Dreihöfehaus, in denen die Menschen der Unterschicht kärglich leben. Viele Frauen, deren Männer im Kriegsdienst sind, haben Beziehungen mit anderen Männern begonnen. Während die konservativen Eliten diese sexuelle und persönliche Freiheit ablehnten, verstand Frank das emotionelle Leiden dieser Frauen. Auch Karl und Annas Liebe siegt über die sozialen Regeln.

    Leonhard Franks "Karl und Anna" entstand unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieg (1914-1918). Das Archivbild aus dem Jahr 1915 zeigt einen Sturmangriff österreichischer Truppen an der Isonzofront (Ostabschnitt der italienisch-österreichischen Front). 
    Leonhard Franks "Karl und Anna" entstand unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieg (1914-1918). Das Archivbild aus dem Jahr 1915 zeigt einen Sturmangriff österreichischer Truppen an der Isonzofront (Ostabschnitt der italienisch-österreichischen Front).  Foto: dpa

    Karl und Anna auf der Bühne und der Leinwand

    Die Erzählung fand breites Interesse, sodass Frank sich 1927 entschloss, aus der Erzählung ein Theaterstück zu machen. Er behielt die Handlung bei, fügte aber am Anfang einige Szenen des brutalen Kriegsgefangenendaseins ein. Das Stück wurde in Berlin und mehreren Städten zugleich uraufgeführt und war nach Brechts "Die Dreigroschenoper" das erfolgreichste Drama 1928.

    Auch in Würzburg wurde es im Stadttheater aufgeführt und in den vier Tageszeitungen Würzburgs stark gelobt. Einige kritische Einwendungen gab es doch: Das Liebeskonzept sei übertrieben, die psychologische Feinheit der Erzählung fehle. Die emotionale und intensive Sprache Franks in Novelle und Drama sollte den Wert der Liebe ausdrücken, der den Rang der gesellschaftlichen Tabus übertrifft.

    Das Ansehen von Stück und Autor wird deutlich, als "Karl und Anna" in Paris in Anwesenheit des Dichters bei einer deutsch-französischen Versöhnungsveranstaltung gezeigt wurde. 1928 wurde ein Stummfilm gedreht, der einige konfliktträchtige Handlungslinien veränderte und somit die Liebesgeschichte verdünnte. Ähnlich wich die zweite Verfilmung "Desire me" (USA 1947) verfälschend von Franks Liebesgeschichte ab, weil Ehebruch damals in den USA in Filmen nicht als legitime Liebe gezeigt werden durfte.

    Theaterskandal in Würzburg 1952

    Eine konservative Moral herrschte auch in Westdeutschland und in Würzburg 1952. Frank publizierte zu seinem 70. Geburtstag den Roman "Die Jünger Jesu" und den autobiografischen Roman "Links, wo das Herz ist". In beiden Romanen kritisierte er scharf Nationalsozialisten und die Mitläufer, weswegen ihn der konservative Kulturredakteur der Main-Post Anton Meyer als Tendenzschriftsteller abqualifizierte. Als Emigrant verstünde er nichts von NS-Deutschland.

    An Leonhard Frank erinnert in Würzburg heute unter anderem eine Tafel am Standort seines Geburtshauses in der Zeller Straße.
    An Leonhard Frank erinnert in Würzburg heute unter anderem eine Tafel am Standort seines Geburtshauses in der Zeller Straße. Foto: Obermeier

    Besonders über das Stück "Karl und Anna", das anlässlich von Franks Geburtstag im Würzburger Theater im Herbst 1952 aufgeführt wurde, zog Meyer her. Anna diene nur "als sexuelle Ergänzung des Mannes", das Stück sei eine "Reportage über Freuds Sexual-Psychoanalyse". Gegenüber der Psychoanalyse zeigte Meyer reaktionäre Vorurteile und völlige Unkenntnisse. Er empörte sich über die von Frank befürwortete Untreue der Liebenden, während die deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion sich "voller Sehnsucht und Sorge um Frau und Familie verzehren". Anna sei als ein "Gebrauchs- und Tauschgegenstand" dargestellt.

    Die heftige Kritik bedingte die Absetzung des Dramas am 16. November 1952, am "Volkstrauertag". Für die Entscheidung, ob das Drama ganz abgesetzt werden sollte, gab es eine Sondervorstellung für den Stadtrat und Interessierte. Die große Mehrheit im Stadtrat votierte dann für die fortgesetzte Aufführung. Dies verhinderte jedoch nicht, dass manche Journalisten das Ganze als Theaterskandal und Provinzposse darstellten. In der Süddeutschen Zeitung vom 22./23. November 1952 las man unter dem Titel "Helden und Verräter", dass der wachsende Druck von "Interessengruppen und Standesorganisationen" die "kulturelle Freiheit" zerstöre.

    Ein Stoff, der noch lange nicht am Ende ist

    Das Stück fand in Würzburg 30 Jahre später doch wieder auf die Bühne, diesmal zum 100. Geburtstag des Dichters parallel auf zwei Bühnen, dem Torturmtheater in Sommerhausen und im damaligen Stadttheater. Als Kammerspiel angelegt, kürzte man die Handlung auf vier Hauptfiguren, deren Beziehungen folglich differenzierter hervortraten.

    In der DDR vollendete der Regisseur Rainer Simon 1985 den Film "Die Frau und der Fremde" in einer werkgetreuen Verarbeitung der Novelle. Um die Handlung historisch einzuordnen, integrierte Simon historische Andeutungen und Ereignisse. Der cineastisch wertvolle Film wurde sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik ausgezeichnet, der einzige Film, dem das je gelang. Obwohl der Film dem DDR-Sozialismus nicht widersprach, durfte er aus unbekannten Gründen nicht gezeigt werden. Erst 2008 wurde die sehenswerte Verfilmung wieder aufgefunden und aufgeführt. Und 2024 setzt die Oper in Würzburg die spannende Geschichte einer Liebesgeschichte fort.

    Hans Steidle ist Stadtheimatpfleger in Würzburg. Von ihm ist soeben das Buch "Karl und Anna. Die Geschichte einer Liebesgeschichte" erschienen (Verlag Königshausen & Neumann, 14 Euro).

    "Karl und Anna": Oper von Christoph Ehrenfellner ,Libretto von Roland Schimmelpfennig, Regie: Markus Trabusch. Ab Samstag, 6. April, im Mainfranken Theater Würzburg. 

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