Der inhaltliche Kontrast hätte kaum größer sein können: Während der Kreisverband von Bündnis 90/Die Grünen in den Giebelstadter Kartoffelkeller eingeladen hatte, um bei ihrem Jahresempfang über nachhaltiges Bauen und die Vermeidung von Flächenversiegelung zu diskutieren, protestierten draußen rund 70 Bürgerinnen und Bürger mit Transparenten und Sprechchören für den Bau einer Umgehungsstraße und gegen den von der Regierung von Unterfranken verhängten Genehmigungsstopp. Als erklärte Gegnerin des Vorhabens ließ sich Grünen-Stimmkreisabgeordnete Kerstin Celina auf eine kurze Diskussion mit den Protestierenden ein. "Ich habe totales Verständnis für die Leute, die unter dem Verkehr leiden", sagt sie, "aber ich bin vehement gegen eine Umgehung in der geplanten Form."
Im Kartoffelkeller bereiteten sich derweil die beiden Co-Kreisvorsitzenden Jessica Hecht und Sven Winzenhörlein auf die Diskussion mit dem Sprecher für Landesentwicklung der Grünen-Landtagsfraktion, Christian Zwanziger, dem ehemaligen Baureferenten der Stadt Würzburg, Christian Baumgart, und der Praktikerin Antje Boyks vor, die mit ihrem Mann gerade in Kirchheim ein altes Fachwerkhaus umbaut und modernisiert. Es geht um die Frage, wie der Konflikt zwischen dem Bedarf an bezahlbaren, energieeffiziente und generationengerechten Wohnungen und dem überbordenden Flächen- und Rohstoffverbrauch gelöst werden kann.
"Es muss ein grundlegender Bewusstseinswandel stattfinden, wir brauchen eine neue Baukultur, eine Umbaukultur."
Christian Baumgart, Stadtbaurat a. D.
Es ist einiges schiefgelaufen in den vergangenen Jahrzehnten – darüber sind sich die Diskutanten einig. Noch immer setzten viele Kommunen auf die Ausweisung neuen Baulands, um der Nachfrage nach Wohnraum gerecht zu werden. Die Folge sei eine gigantische Verschwendung von Rohstoffen und Land. Täglich würden in Bayern mehr als zehn Hektar Boden versiegelt, sagt Baureferent a.D. Baumgart, doppelt so viel, wie in den Nachhaltigkeitszielen der Staatsregierung festgeschrieben. "Eine Lösung ist, sich besser um den Bestand zu kümmern", sagt er. "Das ist nicht nur eine ökologische, sondern allem voran eine ökonomische Frage."
Wohngebäude müssen flexibler nutzbar werden
Doch die Herausforderungen sind vielschichtig. Vielfach stünden Häuser leer oder würden nur von wenigen Personen bewohnt. "Im Alter sind vielen Menschen ihre Häuser zu groß und schwierig zu unterhalten", sagt Kerstin Celina. Wohngebäude müssten deshalb künftig so gebaut werden, dass sie sich später den Bedürfnissen ihrer Bewohner anpassen lassen, etwa indem eine spätere Aufteilung bereits bei der Planung mitgedacht wird, sagt Christian Baumgart, der inzwischen als Honorarprofessor künftige Architekten ausbildet.

Potenziale liegen in der Nutzung von leerstehenden Gebäuden und Baulücken sowie in der Nachverdichtung bestehender Siedlungen. Landtagsabgeordneter Christian Zwanziger schließt sich hier einer Forderung des Bayerischen Gemeindetags an, wonach Kommunen auch gegen den Willen des Eigentümers Gebäude erwerben können, wenn sie mindestens zehn Jahre leer stehen und keine Nutzung geplant ist. Auch für eine Sondersteuer für erschlossene Baugrundstücke, die sogenannte Grundsteuer C, treten die Grünen ein, so Zwanziger. Die Landtagsmehrheit aus CSU und Freien Wähler lehne dies allerdings grundsätzlich ab.
Gewaltige Potenziale durch die Aufstockung von Gebäuden
Gewaltige Möglichkeiten sieht Christian Baumgart in der Mehrfachnutzung bereits vorhandener Gebäude. Nach eine wissenschaftlichen Studie könnten bundesweit durch die Aufstockung bestehender Büro- und Einzelhandelsgebäude knapp eine Million Wohneinheiten geschaffen werden und noch einmal so viele durch die Erweiterung von Wohngebäuden aus den 1950er und 1960er Jahren, sagt er. "Das sind zwei Millionen Wohneinheiten, ohne einen Quadratmeter Boden zu versiegeln", so Baumgart.
Christian Zwanziger fordert deshalb, den Bestandserhalt gegenüber dem Neubau auch finanziell stärker zu fördern. "Das Bauen auf der grünen Wiesen darf nicht länger die billigste und einfachste Lösung sein", sagt er. Aus Sicht von Christian Baumgart reicht staatliche Regulierung nicht aus, um den Fehlentwicklungen der Vergangenheit entgegenzusteuern. "Es muss ein grundlegender Bewusstseinswandel stattfinden", sagt er, "wir brauchen eine neue Baukultur, eine Umbaukultur."