In der Aula des Zentrums für Körperbehinderte am Heuchelhof sind die Proben für die Sankt-Martins-Feier in vollem Gange. Der kleine Nico ist der Sankt Martin und kommt aus dem Strahlen kaum heraus, als er auf seinem beweglichen Plüschpferd an einem Bettler vorbereitet, anhält und seinen Mantel mit ihm teilt. Es ist nicht ganz so einfach für den körperbehinderten Jungen sein Plastikschwert aus der Dolch-Scheide zu ziehen, doch er meistert es ganz allein und ist sichtlich stolz darauf.
Auch Hans Schöbel, Direktor des Zentrums für Körperbehinderte und zugleich Vorstandsvorsitzender des Vereins für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung und seine Kollegin, Schulleiterin Margot Frühauf, genießen das Schauspiel für einige Minuten. "Es ist immer wieder schön zu sehen, wie unsere Kinder aufblühen", sagt Frühauf.
Einrichtung der "Heuchelhof"
Darauf ist der heute 79-jährige Hans Schöbel, der als junger Mann in München Sonderschullehramt studierte, besonders stolz und setzt sich – soweit es ihm möglich ist – für die Belange jedes einzelnen Kindes ein. "Jedes Kind hat es verdient, gehört zu werden und hat ein Recht auf Bildung", sagt er. Inzwischen sind es 240 Kinder, die seine Einrichtung besuchen. In der Fachwelt genießt das Haus, das einfach unter dem Namen "der Heuchelhof" bekannt ist, großes Ansehen.

50 Jahre ist es nun her, dass Schöbel am 30. Oktober 1969 gemeinsam mit betroffenen Eltern den "Verein zur Förderung und Betreuung spastisch Gelähmter und anderer Körperbehinderter" gründete (später: "Verein für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung"). Erster Vorsitzender war zunächst der Würzburger Oberarzt Hermann Dennemann, Schöbel war sein Stellvertreter und Werner Schindlein, damals Pfarrer in der Auferstehungskirche, der Schriftführer.
"Mit zehn behinderten Kindern und drei Mitarbeiterinnen begannen wir im Gemeindesaal der evangelischen Auferstehungskirche auf der Sieboldshöhe mit einer kleinen Tagesstätte", erinnert sich Schöbel. Ziel sei gewesen, die erste Schule für Körperbehinderte in Unterfranken zu gründen. "Ende der 60er gab es für diese Kinder noch keine Schule. Sie saßen zuhause, ohne jegliche Förderung und ohne die Chance auf Schulbildung. Das war sehr traurig."
Erste Förderschule für Körperbehinderte
Dank des Engagements des Trägervereins konnte er im September 1971 als Schulleiter mit zwei Klassen die erste Förderschule für Körperbehinderte für den Regierungsbezirk Unterfranken eröffnen – in einem Schulpavillon am St. Konradheim in der Nikolausstraße. Einige Jahre später, im Schuljahr 1976/77, eröffnete das Körperbehindertenzentrum am Heuchelhof in der Berner Straße für körper- und mehrfachbehinderte Kinder im Kindergarten- und Schulalter seine Pforten. Auch ein Internat ist hier ansässig. Die Kosten für die damals neue Schule in Höhe von 35 Millionen D-Mark übernahm weitgehend der Freistaat, ein kleiner Teil kam vom Elternverein dazu. Erst vor Kurzem wurde die Einrichtung generalsaniert.

Heute sind längst jede Menge speziell ausgebildete Lehrkräfte, Physiotherapeuten, Psychologen und Sozialarbeiter für die Kinder da und tragen dazu bei, dass sie später in der Werkstatt für Behinderte arbeiten können oder gar auf dem offenen Arbeitsmarkt eine Stelle finden. "Denn manche Kinder schaffen auch den Quali", erklärt Schöbel stolz. In kreativen Angeboten und Projekten im Haus erleben sich die Kinder immer wieder neu und erkennen ihre Stärken. Durch die Anerkennung, die sie erfahren, gewinnen sie an Selbstvertrauen und können damit individuelle Einschränkungen und Schwierigkeiten kompensieren.
Computer als große Hilfe
Eine große Hilfe bei der Kommunikation sind oftmals Computer oder auch so genannte Talker, über die sogar schwerst körperbehinderte Kinder über ein System der Augensteuerung kommunizieren und ihre Wünsche mitteilen können. Bernd Zehnter von der Beratungsstelle Elecok berät dazu die Familien und Lehrkräfte vor Ort und schaut, welche Wege individuell für welches Kind möglich sind.
Da sah es zu Beginn des Förderunterrichts Anfang der 70er noch anders aus, erinnert sich Schöbel: Weil Kinder mit Spastiken keinen Stift halten, geschweige denn sich gezielt bewegen konnten, gab es für sie eine Art Abdeckung auf elektrischen Schreibmaschinen mit Löchern für die Tastatur, sodass nur einzelne Buchstaben sichtbar blieben."Trotz der Bewegungsprobleme konnten die Kinder die Buchstaben gut ansteuern und betätigen. Auf diese Weise lernten auch sie das Alphabet, das Lesen und Schreiben", berichtet er.
Weitere Förderzentren entstanden
Es entstanden weitere Einrichtungen wie Frühförderstellen, Wohnheime für Erwachsene und ein weiteres Förderzentrum in Aschaffenburg-Schweinheim mit 120 Kindern unter Schöbels Regie. Der Verein ist mittlerweile Arbeitgeber von rund 600 Mitarbeitern. Die Verantwortung trägt der ehrenamtlich engagierte Vorstand. Schon 1970 beschloss der Verein, dem Diakonischen Werk Bayern als Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege beizutreten. "Die gegenseitige Solidarität hat sich bewährt", so der 79-Jährige, der im nächsten Jahr seine Ämter in jüngere Hände übergeben will.

Eine Herausforderung der Zeit sei, dass immer mehr Menschen – dank des Fortschritts in der Medizin – behindert weiterleben können. Die Angebote der Einrichtung werden stetig erweitert und den Bedürfnissen der Kinder angepasst. Überhaupt ist "bedürfnisgerecht" das Stichwort, das Schöbel wichtig ist.
Dass zurzeit auch viele behinderte Flüchtlingskinder seine Einrichtung besuchen, ist für den Direktor selbstverständlich: "Es ist unglaublich, wie die Eltern dieser Kinder reagieren, wenn sie das erste Mal unser Haus besuchen. Sie können kaum glauben, welche Wertschätzung die Kinder hier erfahren", sagt er. In den Heimatländern der Flüchtlinge werde Behinderung leider noch ganz anders wahrgenommen.
Die Kinder wertschätzen
"Es stecken viele Schicksale dahinter", sagt Schulleiterin Frühauf. So zum Beispiel bei der kleinen Slava, die vor vier Jahren mit ihrer Familie aus Syrien nach Würzburg kam. Slava leidet an der Glasknochenkrankheit und musste den ganzen Weg auf der Flucht vorsichtig getragen werden. Heute ist sie ein aufgewecktes, kluges und fröhliches Mädchen, das in kürzester Zeit die deutsche Sprache perfekt gelernt hat.
Hans Schöbel hat mit seiner Arbeit schon viele Auszeichnungen, darunter den Bayerischen Verdienstorden und das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, verliehen bekommen. Die größte Auszeichnung und Errungenschaft ist für Schöbel aber, "dass wir in den vergangenen 50 Jahren mit erreicht haben, dass alle Kinder und Jugendlichen als bildungsfähig und schulbildungsfähig anerkannt werden, egal wie sie lernen". Das mache ihn sehr stolz.