Laut einer Forsa-Umfrage hat jeder dritte Deutsche gute Erfahrungen mit der Homöopathie gemacht. Das sei kein Wunder, meint der Würzburger Homöopath Dr. Reinhard Hickmann. "Die Homöopathie wirkt wie ein Blick in den Spiegel. Der menschliche Körper erfährt gewissermaßen, was er tun muss, um seine Selbstheilungskräfte in Gang zu setzen", erklärt der Schulmediziner, der auch Dozent beim Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte ist. Die Behandlung beruhe auf dem Ähnlichkeits-Prinzip: Ähnliches soll durch Ähnliches geheilt werden. "Eine Krankheit soll durch ein Arzneimittel geheilt werden, das bei einem Gesunden ähnliche Symptome hervorruft wie diese Krankheit", so Dr. Hickmann.
Wie kann aber etwas wirken, das rein rechnerisch gar nicht mehr da ist? Für homöopathische Arzneimittel werden nämlich hochgiftige Substanzen wie Tollkirsche, Eisenhut oder auch Quecksilber "potenziert". Sie werden mit einem Wasser-Alkohol-Gemisch verschüttelt oder mit Milchzucker verrieben. "Wir nennen diesen Prozess Potenzieren oder Dynamisieren, nicht einfach nur Verdünnen, weil die Erfahrung gezeigt hat, dass bei diesem Prozess nicht nur die Giftigkeit verringert wird, sondern auch die Heilwirkung ansteigt. Wohlgemerkt nur bei Beachtung der Ähnlichkeitsregel, sonst nimmt nur wie erwartet die Giftigkeit ab", erklärt Dr. Hickmann.
Je nachdem, wie häufig der Prozess wiederholt wird, kommen verschiedene Potenzen in Form von Tropfen oder Globuli, winzige Rohrzuckerkügelchen, heraus. Die Potenzen werden mit den Buchstaben C oder D und einer Zahl ausgedrückt. D1 bedeutet ein Mischungsverhältnis von 1 zu 10, C1 bedeutet 1 zu 100. "Ab D23 oder C12 ist die Ursubstanz rein rechnerisch in dem Mittel nicht mehr vorhanden. Man spricht dann von Hochpotenzen", sagt Dr. Hickmann. Genau an diesem Punkt scheiden sich die Geister der Kritiker und Anhänger der Homöopathie.
Eine Information im Wasser
"Es gibt sicher viele gute Homöopathen, die ihren Patienten helfen. Es ist nur völlig unklar, womit. Mit den Globuli, in denen nachweisbar kein Wirkstoff mehr drin ist, sicher nicht", sagt Professor Bruno Müller-Oerlinghausen, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Die Erklärungstheorie der Homöopathen erläutert Dr. Hickmann so: "Bei der Potenzierung hinterlässt die Grundsubstanz eine Information im Wasser, die an den Körper weitergegeben wird." Dass sich diese Theorie mit den gängigen Naturwissenschaften nicht erklären lässt, sieht der Homöopath dabei sehr wohl: "Menschen, die eine rein materialistische Weltanschauung haben und nur an Dinge glauben, die sich wiegen und messen lassen, haben natürlich Probleme, die Homöopathie zu verstehen."
Der Biologe Dr. Rainer Wolf vom Biozentrum der Uni Würzburg ist überzeugt, dass die Homöopathie eine "wunderbare Placebo-Behandlung ist". Statt feinstofflicher Schwingungen sei es eher die Macht der Suggestion, die sich materiell niederschlage. Diese Annahme unterstütze die Tatsache, dass Placebos nicht nur eine eingebildete Wirkung haben, sondern tatsächlich bei realen Krankheiten wirken. Den Vorteil der Homöopathie sieht Dr. Wolf vor allem im psychologischen Aspekt, nicht zuletzt bedingt durch die Zeit, die sich der Therapeut für seine Patienten nimmt.
"Eine klassische Behandlung beginnt mit einer kompletten Fall-Aufnahme. Das ist ein langes Gespräch, bei dem wir den Patienten richtig kennen lernen, um zu verstehen, was hinter den Symptomen steckt", erklärt der Homöopath. Hat er noch andere Beschwerden, plagen ihn versteckte Trauer oder Wut? "Ein Homöopath sieht immer den ganzen Menschen, und zwar individualisiert", sagt Dr. Hickmann. Wenngleich natürlich klar sein sollte: "Bei schweren Erkrankungen ist die Zusammenarbeit mit der Schulmedizin selbstverständlich."
Das Stichwort
Samuel Hahnemann
Begründer der Homöopathie ist der deutsche Arzt Samuel Hahne- mann (1755 bis 1843). Der Medizi- ner beobachtete, dass Chinarinde einerseits gegen Malaria hilft, andererseits bei gesunden Men- schen Malaria-ähnliche Symptome hervorruft. Daraufhin probierte er verschiedene pflanzliche, tierische und mineralische Präparate an ge- sunden Freiwilligen und im Selbst- versuch aus, notierte die Reaktion und entdeckte auf diese Weise zahlreiche Arzneimittel. Hahne- mann kannte etwa 140 Arzneien, heute gibt es 3000 bis 4000. Die gesetzlichen Krankenkassen über- nehmen die Kosten für homöo- pathische Therapien und Arznei- mittel seit 2004 nicht mehr - von Ausnahmen abgesehen.
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www.mainpost.de/gesundheit