Einen vielschichtigen Abend erlebten 220 Gäste am Freitag in der Würzburger Johanniskirche beim Auftritt von Wolf Biermann. Der Liedermacher ließ von seinem ältesten Stiefsohn, dem Schauspieler Manuel Soubeyrand, drei Erzählungen aus dem seinem Band "Barbara" rezitieren und erzählte aus ihrem Leben. Wurde nach dem Liedermacher nicht sogar eine DDR-Ausbürgerung benannt? Hatte der heute 83-Jährige früher sowohl eine höhere als auch eine tiefere Stimme?
Und war es wirklich ein "Gottesurteil", wie Wolf Biermann mit Blick zur Kirchendecke in den Raum stellte, dass am Tag zuvor ein Auftritt von Gregor Gysi am selben Ort durch Schneeeinbruch auf der Autobahn verhindert worden war? Jedenfalls, bei dem Wort "Stasi" stechen Biermanns Augen intensiver durch den Saal. Seine Präsenz steigt noch einmal um mehrere Grade. Er ist naturgemäß nicht mehr so schnell wie beim legendären Konzertzwischenruf im Stalin-Allee-Song: "…und dann bau’n wir uns ne Biermannstraße." Zuhörer: "Sackgasse!" Biermann: "O!"
Hinreißender Sprachrhythmus und hingeplauderte Sätze
Aber die vielen kleinen Pausen in seinen Sätzen ergeben einen hinreißenden Sprachrhythmus, und jeder seiner hingeplauderten Sätze kommt an sein deutliches Ziel. Biermann ist konzentriert, verliert sich offenbar auch dann nicht, wenn Soubeyrand an der Reihe ist; bisweilen nutzt er seine Auszeit, um das Publikum zu studieren: Wie schlagen sich meine Sätze in diesen Gesichtern nieder?
Insgesamt ergaben die Rollenwechsel einen gut gebauten Abend. Die Geschichten basieren auf Stoff, der in Biermanns Autobiografie "Warte nicht auf bessre Zeiten" keinen Eingang fand und nun in unterschiedlichem Grade fiktionalisiert wurde. Drei Storys stellte der Stiefbruder von Nina Hagen exaltiert vor. Sie behandelten eine Krankenschwester in den Fängen der Stasi, Nathan Sach und Biermanns privates Holocaust-Denkmal sowie wie Manfred Krug dem Robert Havemann einmal das Gebiss ausschlug. Dazwischen improvisierte Biermann sprachlich über Leben und Meinungen. Er tut das immer noch mit einer Selbstverständlichkeit, die niemals zweifeln wird: Interessiert das eigentlich alle da unten? Aber er tut es ohne die Selbstgefälligkeit, die sein enormes Ego sonst dann und wann an den Tag legte. Es war ein angenehmer Abend.
Feuilletonist Andreas Öhler kam kaum zu Wort
Vielleicht nicht ganz angenehm für den Feuilletonisten Andreas Öhler. Der saß als dritte Person auf dem Podium im Altarraum – der schwere Gekreuzigte des Bildhauers Helmut Ammanns war schwarz verhängt. Öhler kam allerdings nicht in jedem Talk-Block dazu, überhaupt ein Stichwort anzubringen. Trotzdem wirkte die gesamte Schau nicht so, als überführe Biermann den armen Journalisten. Dass er kaum zu Wort kam, unterstrich nur den improvisierten Ablauf des Abends. Auch der ärmliche Klang der Tonanlage hatte Stil. Und: Wenn man nicht verstehen konnte, ob die erwähnte Krankenschwester nun "buddhagleich" oder "butterweich" war – letztlich stimmte wohl beides.