Zwangsweise haben wir in den vergangenen, zähen Corona-Wochen die totale Häuslichkeit gelebt. Haben gekocht wie die Weltmeister, haben soviel gebacken, dass die Hefe verknappte, haben noch die verstaubtesten Brettspiele aus dem Keller geholt und mit den Kindern gespielt, haben geputzt, mehr als sonst – natürlich, es waren ja alle Familienmitglieder ständig da.
Besser Systemkritik als Muttertagslob
Die neue Corona-Häuslichkeit hatte – auch – erfreuliche Seiten. Es war eine nette Erfahrung, zu sehen, dass aus einem Samenkorn, im März gesät, Ende April ein fettes, rosa Radieschen gewachsen ist. Die Kinder haben gelernt, Zwiebeln zu schälen und Bolognese zu kochen. Es ist toll, dass wir ihnen das endlich beigebracht haben. Überhaupt haben wir das gut hingekriegt – wir Mütter. Heimunterricht und Homeoffice, Spiel- und Spülnachmittage. Am Sonntag werden wir dafür das –verdiente – Muttertagslob ernten; aber was wir wirklich verdient hätten, wäre Systemkritik und baldige Systemänderung. Denn die corona-indizierte Mutter-Überbelastung geht ja, wenngleich aufgelockert, in den nächsten Wochen, Monaten (hoffentlich nicht Jahren) weiter.

Durch Corona: Mehr Belastung für Mütter als für Väter
Ich bin ja nicht allein, wenn ich das Gefühl habe, in den letzten Wochen mehr denn je geackert zu haben – um meinen Mutterverpflichtungen nachzukommen. Und dabei geht es mir, weil meine Kinder ziemlich groß sind, besser als den Müttern von dauerzubeschäftigenden Kleinkindern. Die Notwendigkeit allerdings, sich um Haushalt und schulgesperrte Kinder zu kümmern, schultern Mütter meinem Eindruck nach weitaus stärker als manch ein Vater in seinem – besser bezahlten – Homeoffice.
Tatsächlich drückt Corona uns Mütter in alte Rollenmuster zurück; zwingt uns Aufgaben wieder auf, die wir jahrzehntelang in Form von Kita-, Hort- und Ganztagsbetreuung teilweise abgeben konnten. Wir arbeitenden Mütter haben in den letzten Dekaden gelernt, andere Frauen dafür zu bezahlen, damit sie unsere Kinder betreuen, wenn wir selbst arbeiten. Wir haben nur in Teilen, aber noch lange nicht ausreichend, gelernt, unsere Ehepartner gleichberechtigt in die Kinderbetreuungs- und Haushaltspflichten einzubinden. Und unsere Arbeitsstrukturen sind auf eine gleichberechtigte Verteilung von Familienpflichten auf Frauen und Männer immer noch nicht eingestellt. Das rächt sich jetzt.
Bei Gleichberechtigung zurückgeworfen
Dass ich meine aktuelle Überbelastung als systemtypisch sehen kann, dafür haben auch dankenswerterweise Sie, Frau Allmendinger, gesorgt. Und zwar in Form einer Studie, für die 7000 Menschen nach ihrer Belastung in dieser Ausnahmesituation befragt wurden. Diese Studie hat klar gezeigt, dass Frauen, Mütter und besonders Alleinerziehende sich vom Corona-Lockdown am härtesten getroffen fühlen. Auf Basis dieser Umfrage haben Sie sich in den vergangenen Tagen etwa in Anne Wills ARD-Talkshow diese Aussage erlaubt: "Die Frauen werden eine entsetzliche Retraditionalisierung erfahren!“ Um ganze drei Jahrzehnte ist Ihrer Einschätzung nach der erreichte Fortschritt bei der Gleichberechtigung zurückgeworfen worden.
Mütterkarrieren stark bedroht durch Retro-Rollen
Man kann sich ausmalen, wie sich bald Mütterkarrieren entwickeln, wenn Mütter mangels sicherer Kinderbetreuung dem Arbeitgeber nur teilweise zur Verfügung stehen. Oder wenn sie vom Arbeitgeber nicht mehr in wichtige Projekte eingebunden werden, weil Frauen mit einem Teilzeitjob bei Kurzarbeitskonditionen hinter den Männern mit Vollzeitjob und, daraus resultierend, geringeren Stundenkürzungen, einfach unsichtbar werden. Ihr Retro-Szenario, Frau Allmendinger, vom Mütterchen am Herd, das morgens dem Besserverdiener-Gatten winkt und dann ins Haus zurückeilt, um zu kochen, Kinder zu betreuen und nebenbei (einzige Konzession an die Neuzeit) Kunden im Homeoffice zu beraten, erscheint mir gerade erschreckend realistisch.

Was tun? Beratungs- und Krisengremien brauchen weiblichen Blick
Was tun? Erstens: Strukturen ändern! So sollten beispielsweise in einem Gremium, das über Lockdown-Strukturen und Exit-Strategien in einer Krise berät, mehr Frauen, mehr Mütter vertreten sein, weil nur dadurch die Auswirkungen von Maßnahmen auf diese ohnehin überbelastete Gruppe gesehen werden können (zur Leopoldina-Arbeitsgruppe, die die Bundesregierung bezüglich der Shutdown-Verordnungen beriet, gehörten bei 26 überwiegend alten Mitgliedern nur zwei Frauen). Zweitens: Per Lobbyarbeit Forderungen laut werden lassen. Kinderbetreuung zum Beispiel muss demnächst wieder sicher möglich sein. Würde man auf die sichere Wiedereröffnung der Kitas soviel Energie verschwenden und so viele Regelungen anpassen wie auf die Wiederaufnahme des Bundesliga-Spielbetriebs, dann könnten wir Mütter hoffnungsvoller in die Zukunft blicken.
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