
Redakteure treten in Medien gemeinhin direkt mit Journalismus auf. Der ist dann unabhängig und gut unterscheidbar von Werbung, die von Kunden-Interessen abhängt. Dafür steht das Trennungsgebot. Nun aber überraschen auch Redakteure in Hinweis-Anzeigen dieser Zeitung mit Werbung für Journalismus. Dabei wird Glaubwürdigkeit zurecht als wesentliches Merkmal für Qualität herausgestellt. Glaubwürdigkeit beschäftigt auch Demokratieforscher.
Beiträge aus einer Jubiläumsbeilage im Online-Angebot gesammelt
Wie die Auftritte der Journalisten in Anzeigen bei Leserinnen und Leser ankommen, die damit angesprochen werden, müssen sie selbst bewerten. Zumindest das Trennungsgebot sehe ich nicht verletzt. Bewusster gelingt die Bewertung wohl denen, die der angezeigte Link "mainpost.de/140jahre" ins digitale Angebot der Zeitung gelenkt hat - in diesem Umschalten ins Netz liegt auch Zukunftssymbolik.
Digital sind die Ankündigungen aus den Anzeigen journalistisch gut unterlegt. Viel dreht sich um Transparenz für journalistische Arbeit, für die die Organisation Transparency International hohe Maßstäbe anlegt. Die ist wichtig nach 140 Jahren Medien in der Region, in denen leider nicht immer von unabhängigem Journalismus die Rede gewesen ist.
Alle diese Beiträge, die digital noch aufzurufen sind, waren schon in einer Jubiläumsbeilage der Zeitung im ersten Halbjahr erschienen. Wohl allen den Online-Verweigerern, die sie noch haben oder sich noch gut daran erinnern können.
Legitimiert durch die Wahrnehmung der Bevölkerung
"Das hohe Vertrauen in unsere Journalistinnen und Journalisten freut uns . . .", wirbt Achim Muth aus der Chefredaktion in einer Anzeige in der Zeitung vom 20. Oktober. Was der stellvertretende Chefredakteur hoch bewertet, ist ihr Vertrauen in den Journalismus, das von ihnen als Nutzer und Leser.

Medienvertrauen beschäftigt auch Demokratieforscher und Medienwissenschaftler. Die Bedeutung will näher betrachtet sein. Aus der Wissenschaft zitiert in einem Aufsatz im Europäischen Journalismus Observatorium der Journalist Roman Winkelhahn mit einem Fragezeichen: "In der Theorie hat ein demokratisches Mediensystem nur dann Bestand, wenn ein Anteil der Bevölkerung – die Mehrheit? – den Grundlagen vertraut, auf denen es aufgebaut ist". Es müsse legitimiert sein durch die Wahrnehmung, dass die Medien glaubwürdig, verlässlich und an der Prämisse der Wahrhaftigkeit orientiert sind.
Medienvertrauen ist existenziell für den demokratischen Staat
Journalismus müsse für eine informierte Gesellschaft sorgen, die dadurch bessere Entscheidungen treffen kann, erklärte 2020 auch Prof. Christian-Mathias Wellbrock von der Uni Köln. Das bedeutet eine Abhängigkeit für den demokratischen Staat: Auch er bedarf der informierten Gesellschaft und damit des Vertrauens in Medien geradezu existenziell. Somit auch das in Redakteurinnen und Redakteure.
Das kann der Staat freilich selbst nicht gewährleisten. Aber die Erhaltung des Instituts "freie Presse", in deren Wirken er nicht eingreifen darf, bleibt ihm als Verpflichtung grundrechtlich auferlegt. "Denn sie kontrolliert die Mächtigen und entlarvt Desinformationen – eine Funktion, die in digitalen Zeiten mit ihren sozialen Netzwerken und geringen Markteintrittsbarrieren dramatisch an Relevanz gewonnen hat" - so erklärt Wellbrock die Situation.
Auch ohne Bezahlung vom Nutzen des Journalismus nicht ausgeschlossen
Das verdient große öffentliche Aufmerksamkeit in Gesellschaft und Politik. Sieht man doch die Auflagen der Tageszeitungen dahinschmelzen. Auch ob einbrechender Anzeigenmärkte (siehe Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger: "Wachsende Umsätze im Digitalen – Printmarkt weiter unter Druck") sieht Wellbrock für freie Medien und damit für den demokratischen Staat eine dramatische Entwicklung: Marktversagen würden Ökonomen sagen.
Denn jene, die nicht bereit sind für Journalismus zu bezahlen, seien von seinem Nutzen nicht ausgeschlossen. Über diverse Plattformen und Netzwerke könnten auch die profitieren, die ihn nicht konsumieren oder nicht bezahlen. Man denke nur, wie leicht es ist, aus dem Digitalen zu kopieren. Doch private Nachfrage, die bleibe weit hinter gesellschaftlichem Nutzen zurück. Eine Crux.
Gesellschaftliche Verpflichtung für den Journalismus
So ist Wellbrock nicht der einzige, der eine Verpflichtung der Gesellschaft für den Journalismus erkennt. Denn auch nach Geschäftsmodellen, auch mit KI, wird allenthalben noch gesucht. Manche wollen dabei Wege in die Gemeinnützigkeit eröffnen. Aber Journalismus sei auch durch Finanzierungen zu gewährleisten, meint Wellbrock - so wie bei Autobahnen, Schulen und Teilen öffentlicher Infrastruktur. Denn wenn der Markt ein Gut nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stellen kann, dann könne darauf mit einem gesellschaftlichen Angebot bzw. gesellschaftlicher Finanzierung geantwortet werden.
Wie auch immer: Es sollte eigentlich keiner Anzeigen-Werbung durch Redakteure für Journalismus bedürfen. Mit dem sollten sie direkt überzeugen.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Weitere Leseranwalt-Kolumnen zu Glaubwürdigkeit und Transparenz:
2015: "Vertrauenswürdige Partner: Wider Falschmeldungen und Gerüchte"
2017: "Die Pressefreiheit und das Vertrauen"
2017: "Transparenz, Baustein für Glaubwürdigkeit"
2020: "Journalisten sollen ihre Arbeit reflektieren"
2023: "Habeck und die Heizkessel - Unpassenden Überschriften gefährden die Glaubwürdigkeit der Medien"
2023: "Was Leser angesichts von Wahlergebnissen von Redaktionen verlangen können - und was nicht"