Wer Hörprobleme hat, greift nach Ansicht von Experten später als nötig zum Hörgerät. Viele Menschen haben demnach Hemmschwellen, sich einen „Knopf im Ohr“ zuzulegen.
Eine Schwerhörigkeit muss im Schnitt mit 60 Jahren versorgt werden, schätzt die Bundesinnung der Hörakustiker, die Interessenvertretung der Branche. Das Durchschnittsalter für die Erstversorgung lag im vergangenen Jahr aber bei 68 Jahren.
Zugleich wird die Gesellschaft immer älter. Innungssprecherin Juliane Schwoch in Mainz vermutet, dass der Spiegel eine große Rolle spielt: „Gründe dafür dürften ausschließlich in der (Alters-)Eitelkeit zu suchen sein.“
Die Bundesbürger legen sich ihr erstes Hörgerät dennoch früher zu als bisher: Das Durchschnittsalter für die Erstversorgung betrug vor zehn Jahren noch 72, ist also bis 2017 im Schnitt um vier Jahre gesunken. „Mit zunehmender Miniaturisierung der Technologien dürfte der Trend zu einer frühen Versorgung in den nächsten Jahren zunehmen“, schätzt die Branche. Denn die Geräte werden immer kleiner – Richtmikrofone, Bluetooth und die Energieversorgung können inzwischen in sehr kleinen Gehäusen untergebracht werden.
Die größte gesetzliche Krankenkasse, die Techniker (TK), hält Eitelkeit für einen möglichen Grund für den späten Griff zum Hörgerät. Auch die Barmer Ersatzkasse sieht Hinweise, dass viele schwerhörige Menschen erst spät einen Facharzt aufsuchen.
TK und Barmer haben über die Versorgung mit Hörgeräten einen Vertrag mit der Bundesinnung der Hörakustiker abgeschlossen. Demnach ist der Hörakustiker verpflichtet, dem Kunden mindestens ein geeignetes, aufzahlungsfreies Gerät anzubieten. Dafür übernehme die Kasse komplett die Kosten, teilte der Barmer-Sprecher mit. Es wird nur eine gesetzliche Zuzahlung von zehn Euro fällig. Wählt ein Versicherter ein aufzahlungspflichtiges Hörgerät, muss er die Mehrkosten selbst tragen – auch bei Reparaturen.
Die Zahl verkaufter Hörgeräte pro Jahr in Deutschland hat sich seit 2007 praktisch verdoppelt. Waren es vor zehn Jahren noch 685 000, gingen 2017 rund 1,25 Millionen weg, berichtet die Bundesinnung.
Rund 2270 Hörakustiker-Unternehmen mit 6400 Meisterbetrieben gibt es in Deutschland. Die Branche machte nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr 1,4 Milliarden Euro Umsatz – wie 2016. Der Umsatz verteile sich damit auf mehr Betriebe. Es gebe einen Trend zur Filialisierung, aber damit verschwänden kleinere Anbieter nicht, sagt die Innungssprecherin.