Auf die Stadt in Siebenbürgen im Herzen Rumäniens, die früher Kronstadt hieß, schauen überdimensionale Buchstaben im Stil des Hollywood-Schriftzugs hinunter: Brasov. Das wirkt zunächst einmal leicht größenwahnsinnig. Beim Gang durch die Straßen mit den vielen jahrhundertealten Häusern, die zum Teil restauriert sind, oft aber noch dem Verfall entgegendämmern, begegnet der Besucher überall den Folgen von 40 Jahren Kommunismus und der 2008 einsetzenden Wirtschaftskrise. Doch dann fährt man ins Umland der 230 000-Einwohner-Stadt und staunt.
Rings um Brasov haben sich zwischen Eigenheimsiedlungen für die aufstrebende Mittelschicht Hunderte Firmen aus Deutschland angesiedelt, die Zehntausenden Menschen Arbeit bieten: Siemens und Miele, Continental und Schaeffler – und der Automobilzulieferer Preh aus Bad Neustadt.
„Die Firma Preh ist einer der wichtigsten Investoren hier bei uns“, sagt Cristian Macedonschi, Mitglied des Brasover Stadtrats und Siebenbürger Sachse. „Mit 200 Beschäftigten haben sie angefangen, jetzt sind es 700, angepeilt sind über 1000.“ Der 42-jährige Kaufmann und Event-Veranstalter hat das deutsche Gymnasium in Brasov besucht, ging dann nach Nürnberg und kehrte 2004 in die Heimat zurück. Dass demnächst eine Städtepartnerschaft zwischen Nürnberg und Brasov entsteht, ist auch ihm zu verdanken.
Kronstadt war jahrhundertelang neben Hermannstadt (Sibiu) das kulturelle, religiöse und wirtschaftliche Zentrum Siebenbürgens. Die deutsche Vergangenheit ist überall noch erkennbar – und sie lockt Firmen aus der Bundesrepublik in die Region. „An jeder Straßenecke fühlt man die deutsche Kultur“, unterstreicht Macedonschi. „Und wo man sich heimisch fühlt, hat man auch Vertrauen zu investieren.“
Um dieses Gefühl noch zu steigern, hat der Deutsche Wirtschaftsklub Kronstadt (DWK), dem rund 100 Firmen angehören, vor Jahren ein Oktoberfest initiiert. „Diesmal erwarten wir 200 000 Besucher“, freut sich der DWK-Vorsitzende Werner Braun, der ebenfalls im Brasover Stadtrat sitzt. Einen Weihnachts- und einen Ostermarkt gibt es obendrein.
Die DWK-Mitglieder lassen Investitionswillige von ihren Erfahrungen profitieren, die, beispielsweise wegen der grassieren Korruption, nicht immer positiv sind. Braun: „Jedenfalls kennen sie dann die Probleme schon und lernen, wie man damit umgeht.“
Schaeffler, größter deutscher Investor im Kreis Brasov, begann 2004 mit der Produktion. Nachdem 450 Millionen Euro verbaut sind, stellt die Firma mit über 3500 Angestellten in sechs Hallen Lager für Windkraftanlagen sowie Produkte für die Maschinenbau- und Automobilindustrie her. Überhaupt ist die Gegend um Brasov zu einem Zentrum der deutschen Automobilzulieferer geworden. „Man kann heute in kein deutsches Auto mehr einsteigen, in das nicht ein Teil aus Brasov eingebaut ist“, sagt Macedonschi. „Darauf sind wir sehr stolz.“
Rumänien, EU-Mitglied seit 2007, ist immer noch ein Niedriglohnland; der Durchschnittslohn liegt bei 1350 Lei (300 Euro). Macedonschi verschweigt das Problem nicht: „Damit kann man natürlich fast nicht leben“, zumal auch die soziale Absicherung noch „sehr mangelhaft und lückenhaft“ ist. Viele Menschen haben, um irgendwie über die Runden zu kommen, zwei oder drei Jobs.
„Das große Ziel ist jetzt, weitere Investoren anzuziehen und die Gehälter steigen zu lassen“, formuliert Cristian Macedonschi seine Zukunftsvision. „Man muss am Arbeitsmarkt Verhältnisse schaffen, die mit Resteuropa vergleichbar sind, sodass die Menschen von ihrer Arbeit leben können.“
Ein wichtiger Schritt ist die vor zwei Jahren mit Hilfe des DWK gegründete Deutsche Fachschule, die erste rumänische Berufsschule, die das deutsche System der dualen Ausbildung umsetzt und ein Muster für ganz Rumänien werden soll.
„Der Mangel an Fachkräften war bisher groß“, weiß Werner Braun. „Jetzt siedeln sich hier schon Firmen wegen der Fachschule an.“ Die ersten Absolventen sind Mechatroniker und CNC-Fachkräfte; Letztere bedienen Werkzeugmaschinen, die durch den Einsatz moderner Steuerungstechnik in der Lage sind, Werkstücke mit hoher Präzision auch für komplexe Formen automatisch herzustellen.
Demnächst starten drei weitere Ausbildungsgänge: Lederverarbeitung für Fahrzeuge, Schweißer und Werkzeugbauer. Auf die Absolventen warten – für rumänische Verhältnisse – gut bezahlte Jobs: „Mit 700 bis 1000 Euro kann man eine junge Familie ernähren“, sagt Macedonschi. „Genau das ist das Ziel.“
Brasovs Potenzial ist noch längst nicht ausgeschöpft. Im Gespräch mit dieser Zeitung spricht Oberbürgermeister George Scripcaru von Plänen, die Stadt am Rand der Karpaten, in der auch zwei Universitäten zu Hause sind, zu einem überregional bedeutsamen Warenumschlagplatz zu machen: „Güter, die vom Hafen in Constanza antransportiert werden, könnten von hier aus auf ganz Europa verteilt werden.“
Cristian Macedonschi war 2012 Kandidat für den Posten des Brasover Oberbürgermeisters – zunächst noch erfolglos. Das Deutsche Forum, die Vertretung der Deutschstämmigen in Brasov, hat damals aber zehn Prozent der Stimmen geholt, obwohl nur jeder hundertste Bürger deutsche Wurzeln hat. Der Slogan im Wahlkampf lautete: „Was Hermannstadt kann, kann Kronstadt auch.“
Im 130 Kilometer entfernten Sibiu, dem früheren Hermannstadt, ist der Anteil der Deutschstämmigen kaum höher, doch die Stadt hat mit Klaus Johannis seit 2000 einen deutschen Bürgermeister. Die Partei der Deutschen Minderheit stellt im Stadtrat seit 2004 sogar die Mehrheit. In Sibiu lassen sich noch mehr deutsche Firmen nieder als in Brasov. „Bei der nächsten Wahl 2016 werde ich es wieder versuchen“, kündigt Cristian Macedonschi an.