Die Besucher des Literaturkreises erlebten bei ihrer jüngsten Zusammenkunft einen Abend mit einem außergewöhnlichen Thema, denn Initiator Dr. Hartmut Borchert hatte Poeten ausgewählt, die den Sinn ihrer Gedichte hinterfragten und so einen Blick in die Werkstatt des Dichters gewährten. „Seltsam, ich singe und bin sicher: mein Singen hat Sinn. Sinne ich's aber genau, wird alles Nebel und grau“, so der erste Vers von „Das Lied“ von Peter Gan. Er hat das Gedicht gegensätzlich aufgebaut mit sinnvollen Wortspielen, wie „Angst vor der Nacht hat dich, Nachtigall, singen gemacht“.
Der Lyriker und Essayist Peter Gan, eigentlich Richard Moering (1894 - 1974 Hamburg) studierte Rechtswissenschaften, Anglistik und Philosophie in Marburg und Oxford. Als freier Schriftsteller einer Frankfurter Zeitung lebte er mehrere Jahre in Paris. Dorthin emigrierte er auch 1938 und kehrte erst 1958 wieder nach Hamburg zurück.
Marie Luise Kaschnitz (1901 Karlsruhe - 1974) setzt sich in „Müllabfuhr“ auch mit dieser Problematik auseinander und bringt in freien Rhythmen zu Papier: „Meine Gedichte ins Schmierheft gekritzelt, verworfen, zerhackt.“ Vielleicht bleiben am nächsten Morgen noch drei Worte übrig, mit denen es sich lohnt, etwas Neues aufzubauen. Von Beruf Buchhändlerin macht sie sich mit Erzählungen, Gedichten und Hörspielen einen Namen.
Mit seinem anrührenden Gedicht „Schlechte Zeiten für Lyrik“ gestattet Berthold Brecht einen tiefen Blick in seine Seele. Berthold Brecht, der im ersten Weltkrieg noch als Sanitätssoldat teilnahm, wurde schon 1920 Dramaturg bei den Münchner Kammerspielen, erhielt 1922 den Kleist-Preis, hatte große Erfolge mit seinen expressionistisch-anarchistischen Dramen. Aber 1933 wurden seine Bücher verbrannt, er musste über die Schweiz und Dänemark in die USA emigrieren und kehrte schon 1945 nach Berlin zurück.
Auch der mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Heinz Erhardt (1909 Riga - 1979 Hamburg) macht sich in seinem Gedicht „In eigener Sache“ Gedanken, was bei Wesen vor sich geht, die lieben könnten, doch nur hassen. Der Komiker und Schauspieler, der schon 1937 mit eigenen Liedern auf sich aufmerksam gemacht hatte, feierte später im Rundfunk wahre Triumphe.
Wie köstlich dann der Vortrag der „Römische Elegie V“ von Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832), der, befreit von den Zwängen am Hofe von Weimar, sich einem leidenschaftlichen Liebesabenteuer mit einer schönen Mailänderin hingibt. Beglückt vergleicht er die Marmorstatuen mit den lieblichen Formen des Busens und schwärmt „sehe mit fühlendem Auge, fühle mit sehender Hand“. Es verwundert nicht, dass er nach seiner Rückkehr nach Weimar mit seinen Elegien, wo er Sinnliches mit Rationalem verbindet, bei seinen Freunden auf Unverständnis stieß, die auch seine ungestillte Sehnsucht nach Rom nicht verstehen wollten. Er sei während seiner ersten Reise nach Italien (1786 - 1788), die mehr eine Flucht war, zum Klassiker geworden.
Die nächste Zusammenkunft des Literaturkreises wurde für Montag, 26. Mai, vereinbart.