Mit Anekdoten überraschte Dr. Hartmut Borchert die Besucher des Literaturkreises bei der Zusammenkunft im Juni im Myconiushaus. Bei dem aus dem Griechischen stammendem Begriff handelt es sich um kennzeichnende, oft witzige Geschichtchen über Begebenheiten oder Personen, ursprünglich über noch nicht bekannt gewordene Schriften. Da drängte sich in diesem Jahr Martin Luther geradezu auf, in den Fokus einer Abendveranstaltung gestellt zu werden.
So brachte der Referent eine erstaunliche Anzahl von aussagekräftigen Anekdoten zum Vortrag, die sich wie ein roter Faden durch das Leben des Reformators zogen. Die Reihe beginnt mit dem prägenden Ereignis, einem schrecklichen Gewitter, das den begabten und fröhlichen Schüler Martin auf der Heimreise von der Magdeburger Schule zu dem Gelübde veranlasst, Mönch zu werden.
In den folgenden Absätzen ist von der maßlosen Enttäuschung des Vaters die Rede, der entrüstet von einem teuflischen Betrug überzeugt ist.
Brausender Sturm
„Fleißig gebetet, ist über die Hälfte studiert“, sagt Luther, der 1501 die Universität in Erfurt bezieht und 1507 zum Priester geweiht wird. Wie ein brausender Sturm sind seine 95 Thesen am 31. Oktober 1517 durch Deutschland geflogen, und schon im Jahr 1518 muss er sich in Augsburg vor Kardinal Cajetan verantworten, der meinte, es bedürfe nicht vieler Worte, um „diesem geringen Mönch dessen Irrtum nachzuweisen“.
Doch nachdem Luther den Primat des Papstes und die Unfehlbarkeit der Konzilien bestritten hatte, lässt ihm Papst Leo X. die Bannandrohungsbulle überbringen, die er im Dezember 1520 auf einem von der akademischen Jugend Wittenbergs errichteten Scheiterhaufen verbrennt. Darauf wird er im Januar 1521 mit der Reichsacht und dem Kirchenbann bestraft. Mit dem Reichstag zu Worms, auf dem sich Luther 1521 rechtfertigen muss, befassen sich mehrere Anekdoten mit teils witzigen, teils nachdenklichen Argumenten. Obwohl ihm freies Geleit zugesichert ist, warnen seine Freunde vor der Reise, doch er hat unbändiges Gottvertrauen. „Ich will hinein, selbst wenn so viele Teufel auf mich zielten, als Ziegel auf den Dächern sind.“
Der berühmte Feldhauptmann Georg von Frunsberg klopft ihm beim Betreten des Saales freundschaftlich auf die Schulter. „Mönchlein, Mönchlein! Der Gang, den du jetzt machst, ist ein so schwerer, wie ihn ich und mancher Oberste in unseren härtesten Feldschlachten nicht gemacht haben. Aber wenn du deiner Sache sicher bist, wird Gott doch nicht verlassen.“
Nicht auf Predigt verzichten
Auch für den angesehenen Gelehrten Erasmus ist Luthers Lehre ernst und schriftgemäß. Ulrich von Hutten geißelt die Missbräuche Roms leidenschaftlich für alle verständlich in deutscher Sprache. Auf dem Reichstag zu Augsburg, wo Philipp Melanchthon 1530 die Bekenntnisschrift „Augsburgische Konfession“ vorlegt, soll Kaiser Karl V., der der deutschen Sprache nicht mächtig war, dem Markgrafen Georg von Brandenburg erschreckt zugerufen haben: „Lieber Fürst, nit Köpfe ab“, als dieser sich lieber den Kopf abhauen lassen wollte, als auf die lutherische Predigt zu verzichten.
Auch die Wertschätzung Luthers Melanchthon gegenüber findet in einigen Anekdoten ihren Ausdruck, bis sie schließlich gemeinsam unter dem Schutz von Kurfürst Friedrich dem Weisen das Neue Testament übersetzen.
Die Gäste wurden auch an diesem Abend mit einem fröhlichen, nicht ernst zu nehmendem Geschichtchen verabschiedet.
Der Literaturkreis trifft sich wieder am Montag, 17. Juli, um 19.30 Uhr im Myconiushaus.