„Wenn am Sonntag Landtagswahl wäre.“ Man kennt den Satz und auch die gegenwärtige Prognose: „Dann wären sieben Parteien im Maximilianeum vertreten.“ Die AfD läge mit um die elf Prozent gar gleichauf mit SPD und Freien Wählern. Und FDP und die Linke würden den Sprung ins Parlament schaffen, wenn auch knapp. Mehr als in früheren Jahren stellte sich also beim Heißen Stuhl des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Sand am Montagabend die Frage, welchen Sinn es hat, nur die Direktkandidaten von CSU, SPD, Freien Wählern und Grünen „zu grillen.“
Die Begründung für die Beschränkung auf die Bewerber der aktuell im Landtag vertretenen Parteien ist immer dieselbe: Mehr Kandidaten würden den Rahmen der Veranstaltungen sprengen, bei der sich – bei ausgeloster Reihenfolge – jeder Auserwählte eine Viertelstunde den Fragen der Moderatoren und dann ebenso lange der Konfrontation mit dem Publikum stellen muss. Gerade beim Blick auf die sich verändernde politische Landschaft war die Diskussion im Hotel Goger somit um entscheidende Aspekte beraubt: Kritiker der AfD hätten gerne deren angebliches völliges Desinteresse an der Region und an politischen Sachthemen außerhalb der Flüchtlingsdebatte entlarvt. Die „Alternative“ wiederum war der Chance beraubt, das gut 60 Köpfe umfassende Publikum eines Besseren zu belehren.
„Von mir nie gehört“
Gesprächsthema war die AfD indes schon. CSU-Kandidat Steffen Vogel (Theres) musste sich von Moderator Viktor Grauberger vom DGB die Frage gefallen lassen, ob seine Partei mit Parolen wie „Asyltourismus“ im braunen Sumpf um Stimmen werbe. Er distanziere sich klar von solchen Äußerungen, stellte Vogel heraus. „Von mir haben Sie so etwas nie gehört“. Ohnehin stehe das Flüchtlingsthema viel zu stark im Fokus, aber auch viel zu wenig das, was das Land hier mittlerweile erreicht habe: „Die Kanzlerin hat gesagt: ,Wir schaffen das.' Und wenn ich mich umsehe, sind wir doch auf einem guten Weg“, verkündete Vogel. Nicht nur in der CSU ist eine Zerrissenheit in der Flüchtlingsproblematik zu beobachten – doch die Kandidaten der anderen Parteien blieben in Sand davor verschont, hierzu Stellung beziehen zu müssen.
Klimawandel riesiges Problem
Der DGB ließ allerdings schon im Vorfeld keinen Zweifel daran, dass er den Schwerpunkt des Heißen Stuhls auf Themen aus der Arbeitswelt legt. Das muss auch der Grünen-Kandidatin Birgit Reder-Zirkelbach bekannt gewesen sein, die dennoch auf das Nachbohren von Moderatorin Pat Chris (welche die eher gewerkschaftsnahen Parteien Grüne und SPD befragte) zu sozialen Belangen herausstellte: „Uns brennt das Klima-Thema auf den Nägeln“. Den Versuch der freien Journalistin Chris, Reder-Zirkelbach zu mehr als minimalistischen Aussagen zu befristeter Beschäftigung, Leiharbeit oder Mindestvergütung von Lehrlingen zu bewegen, konterte die Psychologin aus Bad Königshofen mit dem Argument: „Der Klimawandel ist ein riesiges Problem, das kommt auf uns alle zu.“ Konkret wurde die 52-Jährige beim Thema Energiewende. Hier will sie die Windkraft fördern und dazu die 10-H-Abstandsregelung abschaffen. Neben dem Ausbau der regenerativen Energien gelte es auch, die Stromspeicherung voranzutreiben. Auf die Publikumsfrage hin, ob ihre Partei Markus Söder zum Ministerpräsidenten wählen würde, antwortete die grundsätzliche Befürworterin einer schwarz-grünen Koalition: „So wie der Söder momentan am rechten Rand fischt, wird das nichts.“
DGB selbst in der Pflicht
Obwohl er als erster auf dem heißen Stuhl hatte Platz nehmen müssen, war zuvor Gerald Pittner von den Freien Wählern zu keiner Zeit seines „Verhörs“ in Bedrängnis geraten. Der Richter aus Bad Neustadt kennt das politische Geschäft seit über zehn Jahren aus eigener Erfahrung und blieb gelassen bis heiter. Er zeigte sich als Jurist gerade in den für die Gewerkschaften relevanten arbeitsrechtlichen Bereichen beschlagen. „Es freut uns, dass uns der DGB die Lösung seiner eigenen Probleme zutraut“, erwiderte der 47-Jährige auf die Klage von DGB-Mann Grauberger, immer weniger Beschäftigte genössen ein festes Beschäftigungsverhältnis mit Tarifvertrag.
Denn es seien die Gewerkschaften selbst, die ihren Organisationsgrad erhöhen müssten, meinte Pittner, der sich als „überzeugter Anhänger der sozialen Marktwirtschaft“ zu erkennen gab. So sprach er sich auch gegen die im eigenen Parteiprogramm geforderte Abschaffung der Erbschaftssteuer aus – den Solidaritätszuschlag hingegen hält er für überkommen.
Mindestlohn gegen Altersarmut
Seit er 2009 mit Anfang 20 für den Bundestag kandidierte, hat der Sozialdemokrat René van Eckert enorm an Routine gewonnen. Jetzt als Landtagsbewerber ließ er sich von Pat Chris nicht aus der Reserve locken, die ihm ohnehin die Frage nach dem Sturzflug der Sozialdemokratie ersparte. Auch die Publikumsfragen beantwortete er bestimmt, aber gelassen: Gegen Altersarmut sei ein ständiges Ansteigen des Mindestlohns das beste Mittel und starke Gewerkschaften ein guter Garant, sagte der 31-jährige Student. Dass von einer prozentualen Rentenerhöhung Senioren und Seniorinnen mit höheren Bezügen mehr profitierten als die Bezieher kleiner Alterseinkommen, sei nicht generell ungerecht, sondern habe damit zu tun, dass die besser Verdienenden mehr in die Sozialsysteme eingezahlt hätten. Die vielen befristeten Arbeitsverträge – auch an den Universitäten – sind dem SPD-Mann aus Mellrichstadt ein Dorn im Auge, „da geht es um Existenzen“, sagte er. Die Mutmaßung, ihm fehle der Kontakt zu Lehrlingen, bloß weil er Akademiker ist, sei aus der Luft gegriffen, wehrte sich der ehrenamtliche Schiedsrichter und Schiedsrichterlehrwart. „Und übrigens, auch an der Uni gibt es Lehrlinge“, fügte er hinzu und befürwortete die Mindestvergütung von Azubis wie vom DGB eingefordert.
Steffen Vogel, seit 2013 der Stimmkreisabgeordnete des Stimmkreises Haßberge/Rhön-Grabfeld, schließlich bezeichnete die so weit verbreitete sachgrundlose Befristung von Jobs wie die Kandidaten vor ihm als „nicht gut“. Er machte aber darauf aufmerksam, dass ansonsten die zeitliche Begrenzung von Beschäftigungsverhältnissen durchaus familiengerecht sei. „Sonst könnten zum Beispiel Frauen, die in Elternzeit waren, nicht auf ihre Stelle zurückkehren.“ Beim Mindestlohn hält der 44-Jährige weniger eine neuerliche Erhöhung für geboten als eine strengere Kontrolle der Arbeitgeber durch den Zoll – schließlich würden jedes Jahr rund 2,2 Millionen Arbeitnehmer um ihren Mindestlohn betrogen. Den auch aus den Zuhörerreihen heftig kritisierten Verkauf der GBW-Wohnungen kommentierte der Rechtsanwalt überraschend mit den Worten: „Ich bin gegen jeden staatlich geförderten Wohnungsbau in Ballungsgebieten.“
Das Geld sei in den ländlichen Gegenden viel besser investiert, da die Menschen hier günstigeren Wohnraum fänden. Keine Hoffnung indes wollte der CSU-Politiker darauf machen, dass der ÖPNV im Haßbergkreis kleinere Ortschaften einbinde. Es sei ökonomisch nicht zu vertreten und auch ökologisch nicht sinnvoll, „Geisterbusse durch die Gegend zu schicken“, stellte Vogel fest, dass es im Kreisgebiet mit 250 Dörfern einfach zu lange dauere, um von A nach B zu gelangen.
Vermeintliches Dingsda
Einig waren sich die vier auf dem heißen Stuhl allenfalls medium gegrillten Landtagsbewerber darin, dass sie die AfD kleinhalten wollen. „Die vermeintliche Dingsda ist überhaupt keine Alternative, jede Stimme für sie ist eine verschenkte Stimme“, sagte Steffen Vogel unter dem Beifall der anderen Kandidaten und des Publikums.
Auch in den Zuhörerreihen saß niemand, der an diesem Montagabend gegen diese Aussage Protest hätte erkennen lassen.