Das Projekt ist gestorben. Am Alfons-Halbig-Platz wird kein Ärztehaus gebaut. Der Mellrichstädter Stadtrat nahm am Donnerstagabend seinen Beschluss vom 1. März 2018 zurück und verfolgt keine weiteren Pläne zur Bebauung des Areals. Nach einer Unterschriftenaktion gegen das Vorhaben und einer „Auseinandersetzung mit den abstrusesten Theorien bis hin zu alternativen Fakten und persönlichen Verunglimpfungen“ zeigte sich Bürgermeister Eberhard Streit in der Sitzung allerdings tief enttäuscht über die Art der Diskussion, die in der Stadt Einzug gehalten hat, und den mitunter äußerst respektlosen Umgang miteinander. Ein Stil, der in der Vergangenheit in der Stadt so nicht gepflegt wurde.
Aufreger-Thema
„Das Thema ist der größte Aufreger in der jüngeren Geschichte Mellrichstadts“, machte Streit eingangs deutlich. Die Schar an Zuhörern belegte, dass das weitere Vorgehen des Stadtrats in puncto Bebauung des Alfons-Halbig-Platzes die Bürger mobilisiert. Wie berichtet, hatte das Gremium Anfang März die Weichen gestellt, um „etwas Zukunftsfähiges“ auf dem Platz zu schaffen– dem Bauantrag eines Investors für ein Ärztehaus, in dem sich die Augenarztpraxis Domack neu einrichten wollte, wurde grundsätzlich zugestimmt. Daraufhin brach ein Sturm der Entrüstung über die Stadtvertreter herein. Unterschriften wurden gesammelt, an den Stammtischen erhitzten sich die Gemüter, die Diskussion wurde nicht sachlich, sondern emotional geführt – und mit Informationen, die bisweilen gar nicht auf den vorgelegten Fakten beruhten, wie der Stadtchef deutlich machte.
670 Unterschriften zusammengetragen
Vor Ostern, sagte Bürgermeister Eberhard Streit, wurde ihm eine Liste mit 670 Unterschriften übergeben, deren Unterzeichner „für den Erhalt des Alfons-Halbig-Platzes in seiner jetzigen Form“ stimmten. Bei 4570 Wahlberechtigten sind das mehr als die erforderlichen zehn Prozent der Stimmen, die bei einem Volksbegehren ausreichen würden, um die Zulassungshürden zu überspringen. „Da dem Stadtrat die Denkfähigkeit abgesprochen wurde“ und zu vermuten sei, dass bei einem Bürgerentscheid die nötigen 914 Stimmen (20 Prozent der Wahlberechtigten) zusammenkommen, sah der Stadtchef keine Veranlassung mehr, den Beschluss vom 1. März aufrechtzuerhalten und weitere Verhandlungen zum Bau des Hauses mit Augenarztpraxis und Notariat zu führen. Zumal auch der Investor in den vergangenen Wochen „so sehr verunglimpft wurde“, dass er die Pläne ad acta gelegt hat und nicht weiter an dem Projekt festhalten will.
Bestürzt über persönliche Angriffe
Mit elf zu sechs Stimmen wurde der Beschluss zur Bebauung des Halbig-Platzes vom Stadtrat aufgehoben und das Projekt begraben. Bürgermeister Eberhard Streit ließ es sich im Nachgang aber nicht nehmen, deutliche Worte zu den Vorgängen rund um die geplante Bebauung des Alfons-Halbig-Platzes zu finden. Er zeigte sich bestürzt über die unmöglichen Behauptungen und persönlichen Angriffe, die ihn selbst und viele Stadtratsmitglieder getroffen haben, über Vorwürfe der Kungelei und die Verunglimpfung eines Investors. Auch dass bei der Abstimmung am 1. März wieder eine Trennlinie zwischen Ratsmitgliedern aus der Stadt und den Stadtteilen gezogen wurde – „über 40 Jahre nach der Gebietsreform“ – habe ihn fassungslos gemacht.
Gerüchte statt Fakten
„Eine sachliche Diskussion zu dem Thema hat nie stattgefunden, und kein Aktivist und nur ganz wenige Bürger haben bei mir nachgefragt, um was es eigentlich geht“, beklagte Streit. Während der Stadtrat triftige Gründe für die Standortentscheidung deutlich gemacht habe – unter anderem die Nähe zur Innenstadt, die Möglichkeit zum barrierefreien Bau, der auch in puncto Kosten im Rahmen bleibt, sowie die Tatsache, dass der Grund der Stadt gehört –, hätten die Gegner der Bebauung das Gerücht verbreitet, dass über 30 Wohneinheiten auf dem Platz geplant seien und die öffentlichen Parkplätze in der Friedenstraße geopfert werden. „Fakt ist: In einem ersten Bauabschnitt wäre nur der Grund und Boden für ein Haus für Augenarzt und Notar verkauft und bebaut worden“, so Streit.
Wie geht es weiter mit der Augenarztpraxis?
Er machte keinen Hehl daraus, dass auch Augenarzt Harry Domack enttäuscht ist, dass die Pläne für eine neue Praxis nicht umgesetzt werden. Die derzeitige räumliche Situation in der Hauptstraße sei aufgrund der Vielzahl der Patienten so prekär, dass der Praxisbetrieb im Mai und Juni wohl nur eingeschränkt stattfinden wird, hieß es. Laut Streit hatte Domack geplant, im neuen Haus seine Sprechzeiten zu erweitern und auch vor Ort zu operieren. Ob nun überhaupt in Mellrichstadt eine zukunftsfähige Lösung für den Praxisbetrieb gefunden wird, steht in den Sternen, machte der Stadtchef deutlich.
„Wer sich jetzt trotzdem als Sieger fühlen möchte, dem sei es vergönnt“, sagte Streit. Er wünscht sich jedoch, „dass wir in Mellrichstadt zurückfinden zu einer sachlichen Streitkultur und einer Art der Auseinandersetzung, die auf Fakten und Tatsachen basiert“.