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Mellrichstadt: Mellrichstadt: Helfer waren nicht auf die Grenzöffnung vorbereitet

Mellrichstadt

Mellrichstadt: Helfer waren nicht auf die Grenzöffnung vorbereitet

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    Die Mellrichstädter Innenstadt war durch den Ansturm nach der Grenzöffnung regelrecht verstopft.
    Die Mellrichstädter Innenstadt war durch den Ansturm nach der Grenzöffnung regelrecht verstopft. Foto: Archiv BRK

    Viele berührende Geschichten von Einzelschicksalen und Niederträchtigkeiten eines Unrechtsregimes werden in diesen Tagen erzählt. So gut wie keine Erwähnung finden die Menschen, die als Folge der Euphorie über den Mauerfall mit einer Situation konfrontiert wurden, die fast außer Kontrolle geraten war und nur durch beherzten menschlichen Einsatz bewältigt wurde. Gemeint sind die Angehörigen der Hilfsorganisationen, die in den Wochen nach dem 9. November 1989 für einen geregelten Ablauf des Ansturms aus der ehemaligen DDR sorgten. Eine Reihe von Protagonisten der Ereignisse erzählten bei einem Pressegespräch von ihren Erlebnissen.

    Vorbereitet war niemand auf das, was sich in den Wochen nach dem 9. November an der einstigen Trennlinie der beiden deutschen Staaten ereignete und die nun plötzlich zur Nahtstelle zweier Systeme wurde, lässt sich am Ende der Gesprächsrunde resümieren. Im Fall des BRK stimmt das allerdings nicht ganz: Einen Tag Vorlauf hatte Harald Schellenberger als Bereitschaftsleiter in Mellrichstadt.

    Familien übernachteten bei Eiseskälte im Trabi

    Der BRK'ler hatte am 8. November einen Anruf von der Bundeswehr erhalten - und ihn zunächst als einen Scherz betrachtet -, dass am nächsten Tag etwa 200 Flüchtlinge aus Ungarn eintreffen. "Ab diesem Moment war bis Silvester Schluss mit einem 'normalen' Leben", erinnert sich Schellenberger. Mit Hilfe der Bundeswehr wurden in der Kaserne Unterkünfte hergerichtet und für Verpflegung gesorgt, berichtet Schellenberger. Die Flüchtlinge trafen dann auch am nächsten Tag nach und nach ein, "doch das war nichts gegen das, was sich in der Nacht abspielte, als dann vollständig der 'Vorhang' geöffnet wurde". Es wurden dann sogar private Unterkünfte organisiert, weil einige Familien bei bitterer Kälte in ihren Trabis übernachteten.

    Die Bundeswehr musste hingegen zweigleisig fahren. Einerseits halfen die Soldaten den Ankömmlingen, andererseits mussten die Sicherheitsmaßnahmen erhöht werden, weil niemand wusste, was eigentlich auf sie zukommt, berichtet der damalige Spieß und Verbindungsoffizier Edelbert Völkl.

    Stunden im blauen Qualm verlangten dem THW viel ab

    Georg Beck, damals stellvertretender Kommandant der Feuerwehr, erinnert sich vor allem an die Situation vor dem Rathaus, wo sich lange Schlangen zur Ausgabe des Begrüßungsgeldes gebildet hatten. "Zehntausende waren es gewesen", meint sein Kollege Hans Volkheimer. Der Ansturm sei so groß gewesen, dass sich die Rathaustüren schon nicht mehr öffnen ließen. "Am nächsten Morgen war dann auch noch der Toilettenwagen eingefroren".

    Bernhard Stürzel vom THW erinnert sich an die kilometerlangen Trabistaus, die er und seine Kollegen zu regeln versuchten. "Unerträglich waren die Stunden im blauen Qualm". Außerdem hatte das THW drei Küchenwagen im Einsatz. Allein rund 14 000 Liter Tee seien ausgegeben worden, ergänzt Pressesprecherin Christina Gold. Und 1600 Einsatzstunden seien allein beim BRK bis Silvester angefallen.

    Die Sache mit dem "Begrüßungswaschmittel"

    Klaus-Dieter Sopp hatte sich seinen Einstand als Dienstgruppenleiter bei der Polizei in Mellrichstadt ganz anders vorgestellt, berichtet der Polizist. Er sei erst wenige Tage zuvor nach seiner Ausbildung nach Mellrichstadt versetzt worden und habe festgestellt, wie beschaulich es doch in der Kleinstadt zugeht. "Das änderte sich schlagartig am 9. November". Es habe zwar keine Straftaten gegeben, aber es mussten schon manchmal beide Augen zugedrückt werden.

    Es gab auch einige offensichtlich recht "findige" Zeitgenossen unter den Nachbarn aus Thüringen. So meldete sich ein Discounter, dass auf eine Palette Waschmittel das Schild "Begrüßungswaschmittel" gestellt worden war und die Kartons im Nu verschwunden waren - "ohne bezahlt worden zu sein".

    Erinnerung an viele menschliche Begegnungen

    Aber es habe vor allem viele menschliche Begegnungen gegeben, schildert Hans Volkheimer. Mit einer Familie aus Suhl stehe er noch heute in Kontakt. Und es habe, nachdem sich die Lage beruhigt hatte, Gegeneinladungen etwa der Feuerwehr gegeben. Mehrfach hatte das Meininger Theater die Helfer vom BRK eingeladen.

    Sie waren alle vor 30 Jahren dabei, als ein Ansturm von Menschen aus der DDR über Mellrichstadt hereinbrach. Das Foto zeigt (von links) Edelbert Völkl, Harald Schellenberger, Georg Beck, Hans Volkheimer, Werner Kirchner, Rudolf Gessner, Jörg Gold, Bernhard Stürzel und Klaus-Dieter Sopp.
    Sie waren alle vor 30 Jahren dabei, als ein Ansturm von Menschen aus der DDR über Mellrichstadt hereinbrach. Das Foto zeigt (von links) Edelbert Völkl, Harald Schellenberger, Georg Beck, Hans Volkheimer, Werner Kirchner, Rudolf Gessner, Jörg Gold, Bernhard Stürzel und Klaus-Dieter Sopp. Foto: Eckhard Heise

    Was ihnen die Ereignisse persönlich gebracht hätten, wollte die Pressesprecherin am Ende von den Teilnehmern wissen. "Mich hat diese Erfahrung gelehrt, Bilder von Flüchtlingen – etwa wie aktuell auf dem Mittelmeer – mit anderen Augen zu sehen. Menschen in Not muss unter allen Umständen geholfen werden".

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