Tausende Kinder aus bedürftigen Familien in Unterfranken haben immer noch keinen Leih-Laptop von ihren Schulen bekommen. Tausende Schüler müssen also den Distanzunterricht seit Dezember ohne eigenen Laptop oder Computer bewältigen. Recherchen zeigen, wie unterschiedlich dabei die Lage je nach Kreis oder Stadt ist.
Während etwa im Kreis Aschaffenburg die Situation optimal ist und alle 2000 bestellten Geräte geliefert wurden, läuft die Versorgung mit Leihgeräten in der Stadt Schweinfurt zögerlich. 1700 Geräte wurden dort bestellt, doch erst 687 geliefert. Besonders schlecht ist die Situation in der Stadt Würzburg: 3300 Geräte wurden bestellt, 500 kamen erst jetzt in die Auslieferung.
Alleinerziehende mit drei Kinder - und ohne Schülercomputer
Wie nötig die unbürokratische Verteilung von Schüler-Laptops für viele wäre, zeigt das Beispiel einer kleinen Familie aus einem kleinen Ort bei Würzburg: Der Vater ist tot, die Mutter alleinerziehend und aktuell im Studium. Die drei Kinder - 12, 15 und 16 Jahre alt - gehen in Würzburg zur Schule, zwei ins Friedrich-Koenig-Gymnasium, eines in die David-Schuster-Realschule. Hätten die Schulen, die in Bayern für die Vergabe von Leihgeräten zuständig sind, der Familie nicht spätestens zu Beginn des Winter-Lockdowns helfen können? Helfen müssen?
Würzburger Realschule hat noch kein einziges Leihgerät erhalten
Es tue ihm leid, sagt Dieter Schanzer, Leiter der Würzburger David-Schuster-Realschule. "Aber die Lage ist tatsächlich so, dass wir kein einziges Leihgerät zur Verfügung stellen können, immer noch nicht.“ 50 bis 60 Geräte habe er beantragt, aber noch kein einziges bekommen, so Schanzer. Dabei hatte Bayerns Kultusministerium im Juni 2020 das millionenteure "Sonderbudget Leihgeräte“ angekündigt. Im Mai und Juni 2020 hatte, so Schanzer, die Stadt Würzburg als Schulaufwandsträger die Bedarfe abgefragt. Im September seien die Lieferanträge gestellt und die Lieferung für November angekündigt worden. Mittlerweile aber sei die Auslieferung auf frühestens diesen Monat verschoben.
Diakonie und Würzburger Jobcenter können Leihgerät schneller besorgen als Schule
Wie Schanzer weist auch der Leiter des Würzburger Friedrich-Koenig-Gymnasiums, Marco Korn, darauf hin, dass Schüler ohne Laptop in der Notbetreuung die Computer an ihrer Schule nutzen könnten. Auch sein Gymnasium habe "zum Zeitpunkt, als der harte Lockdown anfing", keine Geräte zum Verleihen zur Verfügung gehabt. 80 Stück habe man im Sommer 2020 beantragt, sagt Korn. Demnächst wurden wohl die ersten geliefert.

Im Fall der kleinen Familie aus dem Kreis Würzburg hatten beide Schulleiter nach eigenen Angaben Ende Januar gegenüber dem Würzburger Jobcenter offiziell bestätigt, dass sich ihre Schulen außerstande sähen, Leihgeräte auszugeben. "Als diese Bescheinigungen dann vorlagen, konnte das Jobcenter für die Kinder schnell Computer anschaffen", sagt Claudia Kaufhold vom Diakonischen Werk Würzburg. An dessen Beratungsstelle hatte sich die alleinerziehende Mutter in ihrer Not gewandt.
Der Schulträger macht's: Warum einige Würzburger Schulen Leihgeräte haben und viele nicht
Viele weitere Kinder aus bedürftigen unterfränkischen Familien aber müssen auch weiterhin ohne Leihgerät den Distanz- oder Wechselunterricht absolvieren. Wie aber soll das gehen? Wieso fehlen ein Jahr nach Krisenbeginn und drei Monate nach dem Beginn des Winter-Lockdowns immer noch Tausende von Schülergeräten? Und weshalb ist die Versorgung so ungleich? Warum hatte etwa die Würzburger Maria-Ward-Realschule schon seit September Leihgeräte, die David-Schuster-Realschule aber nicht? Wieso konnte das Matthias-Grünewald-Gymnasium nach Angabe seines Leiters Dr. Martin Sachse-Weinert schon im Frühjahr 2020 "alle Schüler, die dies angefordert haben, mit iPads ausstatten“ - während bedürftige Schüler an anderen Würzburger Gymnasien, Mittelschulen und Grundschulen in der Luft hängen?
Tatsächlich hänge die Laptop-Versorgung stark vom jeweiligen Schulaufwandsträger ab, erklärt Judith Jörg (CSU), seit Mai 2020 dritte hauptamtliche Bürgermeisterin in Würzburg und zuständig für die Schulen. Die Stadt fungiert als Aufwandsträger für rund 40 meist staatliche Schulen in Würzburg – und vor allem die hohe Zahl ist Jörgs Problem. Für die Verzögerung der Gerätelieferungen nach Würzburg macht sie das "Horror-Instrument EU-Ausschreibung“ verantwortlich, das bei einer Bestellsumme von mehr als 200 000 Euro zum Tragen komme.
Was die EU mit der Fehlen der Computer in Würzburg zu tun hat
Das notwendige europaweite Vergabeverfahren habe sich, so die Bürgermeisterin, monatelang hingezogen und sowohl Bestellung wie Lieferung von rund 1400 iPads und 1900 Laptops massiv verzögert. Nur 500 der insgesamt rund 3300 Geräte sind Jörg zufolge bislang in Würzburg angekommen, weitere 200 sollen bald kommen.
Und die anderen? "Sind angeblich gerade auf einem Containerschiff in Rotterdam“, sagt Jörg seufzend. Angesichts der Not der Schüler hat Würzburgs Sozialreferat mittlerweile schon die Bürger zu Computerspenden aufgerufen und um Hilfe gebeten. Sie habe beim Bayerischen Kultusministerium mit Blick auf die Ausnahmesituation um eine Aussetzung der EU-Ausschreibung gebeten, sagt Jörg: "Vergeblich!“

Anders stellt sich die Situation für die Würzburger Schulen mit kirchlichem oder staatlichem Aufwandsträger dar: "Unser Träger hat nur drei Schulen, wir mussten also nicht europaweit ausschreiben und konnten schnell bestellen“, berichtet die Leiterin der katholischen Maria-Ward-Mädchenrealschule, Birgit Thum-Feige. Ähnlich gute Bedingungen hatte wegen des staatlichen Aufwandsträgers das Grünewald-Gymnasium.
Kreis Aschaffenburg: Früh dran gewesen
Doch allein die nötige EU-Ausschreibung ist für die katastrophale Unterversorgung der Würzburger Schulen mit Computern nicht verantwortlich. Der Kreis Aschaffenburg zum Beispiel musste aufgrund des Bestellwerts von über 200 000 Euro auch europaweit ausschreiben. Doch dort waren laut Adi Gutjahr, Leiter des Sachgebiets Schulen am Landratsamt, die bestellten 1800 Tablets und 200 Notebooks bereits im Herbst alle da.
Wie das? "Wir standen Gewehr bei Fuß“, erklärt Gutjahr. Praktisch zu Beginn des ersten Lockdowns im März 2020 habe er die Bedarfe der Schüler ermitteln lassen und die Bestellung am ersten Tag, an dem es das Sonderförderprogramm des Kultusministeriums möglich machte, aufgegeben. Man habe sich, sagt der Sachgebietsleiter, ja ausrechnen können, dass die Nachfrage nach Laptops, Tablets, Notebooks extrem steigen werde - weltweit. "Und ich hatte Recht. Die Lieferzeiten für Laptops liegen jetzt bei vier Monaten.“ Der Schweinfurter Schulreferent Jürgen Montag ergänzt: "Zum Teil sind die Lieferketten ganz unterbrochen. Es fehlen zum Beispiel Halbleiter."

Liegt die Unterversorgung in Würzburg also am Wechsel der Schul-Zuständigkeit ausgerechnet zu Beginn der Pandemie – und daraus resultierender verspäteter Bestellung? Der Zuständige im Aschaffenburger Landratsamt, Adi Gutjahr, hat 41 Jahre Verwaltungserfahrung, zwölf davon als Leiter der Abteilung Schulen. Als die Würzburger Politologin Judith Jörg im Frühjahr 2020 die Computerfrage klären musste, hatte sie das gerade neu geschaffene Amt der politischen Bürgermeisterin erst angetreten.
Kultusministerium sieht sich für Notlage in Würzburg nicht verantwortlich
Bayerns Kultusministerium jedenfalls sieht sich für die Notlage in Würzburg nicht verantwortlich. Auf Anfrage verweist Sprecher Daniel Otto darauf, dass das Ministerium die Mittel für die Anschaffung von bayernweit mittlerweile 190 000 ausgelieferten Schüler-Leihgeräte bereitgestellt habe. Zuständig für die Beschaffung seien ausschließlich die Schulaufwandsträger vor Ort. Bei der Notwendigkeit einer europaweiten Ausschreibung ab einer definierten Bestellsumme handle es sich um Bundesrecht, das sich „der Entscheidungsbefugnis der Exekutive in Bayern“ entziehe.