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Würzburg: Würzburger Juristin zu Klima-Klagen: "Es gibt für die Erderwärmung keinen einzelnen Täter"

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Würzburger Juristin zu Klima-Klagen: "Es gibt für die Erderwärmung keinen einzelnen Täter"

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    Unternehmen, die für den Klimawandel mitverantwortlich sind, könnten künftig häufiger vor Gericht landen. Mit dieser Thematik befasst sich die Würzburger Juristin Anna Simon in ihrer Doktorarbeit.
    Unternehmen, die für den Klimawandel mitverantwortlich sind, könnten künftig häufiger vor Gericht landen. Mit dieser Thematik befasst sich die Würzburger Juristin Anna Simon in ihrer Doktorarbeit. Foto: Thomas Obermeier

    Müssen Unternehmen, die für den Klimawandel mitverantwortlich sind, bald für Klimaschäden haften? Mit dieser Thematik befasst sich die 28-jährige Juristin Anna Simon an der Universität Würzburg in ihrer Doktorarbeit. Seit 2015 läuft vor deutschen Gerichten eine ungewöhnliche Klage: Ein peruanischer Kleinbauer fordert Schadensersatz vom Essener Energieunternehmen RWE. Weil der Klimawandel auch in den Anden Gletscher schmelzen lässt, ist der Heimatort des Bauern von Überschwemmung bedroht. RWE soll Maßnahmen bezahlen, die das verhindern. Die Begründung der Kläger: Wegen seiner Kohlendioxid-Emissionen sei das Unternehmen mit Schuld daran, dass die Existenz des Bauern gefährdet ist.

    Ob die Klage Aussicht auf Erfolg hat und was das für Landwirte, Waldbesitzer und Unternehmen in Bayerns Klimahotspot Unterfranken bedeuten würde, sagt die Juristin im Interview.

    Frage: Könnten Bewohner des Ahrtals, die vor sieben Monaten durch die Flutkatastrophe alles verloren haben, künftig E.ON, Gazprom oder RWE auf Schadensersatz verklagen?

    Anna Simon: Das ist der Grundgedanke, der hinter der Klage des peruanischen Bauern steht.

    Wenn der peruanische Bauer Recht bekäme, könnten dann auch Gemeinden in Unterfranken wie Zeil am Main im Landkreis Haßberge klagen, die im Juli 2021 von Starkregen überflutet wurden? Könnten Unterfrankens Waldbesitzer, Winzer und Landwirte, deren Bäume, Reben und Gemüse mit zunehmender Erwärmung immer häufiger vertrocknen, wegen Ertragseinbußen vor Gericht ziehen?

    Simon: Theoretisch ja. Nach derzeitigem Recht ist das aber in Deutschland nicht so einfach. Sollte es in dem Streit zwischen RWE und dem Bauern zu einer Gerichtsentscheidung kommen, wird diese dem Alles-oder-Nichts-Prinzip folgen. Sprich: RWE muss dem Landwirt entweder gar nichts bezahlen oder das Unternehmen muss sämtliche Kosten tragen, die er geltend macht.

    In der Fachwerkstadt Zeil am Main (Lkr. Haßberge) standen am 9. Juli 2021 Teile der Altstadt unter Wasser. 
    In der Fachwerkstadt Zeil am Main (Lkr. Haßberge) standen am 9. Juli 2021 Teile der Altstadt unter Wasser.  Foto: Christian Licha

    Hat die Klimaklage des Bauern überhaupt eine Chance auf Erfolg?

    Simon: Das Hauptproblem beim Klimawandel ist der Nachweis der Kausalität. Plakativ gesprochen: Wenn ich jemanden erschieße, kann man mir klar nachweisen, dass die Kugel die Ursache für den Tod einer Person war. Beim Klimawandel ist es schwer nachzuweisen, dass die Emissionen eines bestimmten Unternehmens für einen bestimmten Umweltschaden - zum Beispiel für die zunehmende Trockenheit in Unterfranken - verantwortlich sind. Dadurch, dass sich die Emissionen eines Unternehmens in der Atmosphäre mit allen anderen Treibhausgasen vermischen, gibt es im Fall der Erderwärmung keinen einzelnen Täter. Das wäre aber nach deutschem Recht notwendig.

    Wenn ich also giftiges Material in einem Steinbruch in Unterfranken entsorge, ist meine Schuld klar belegt. Wenn ich aber Emissionen in die Atmosphäre schicke, ist meine individuelle Schuld an den daraus resultierenden Schäden nicht mehr nachzuweisen. Wie lösen Sie das Problem?

    Simon: Bei meiner Forschung befasse ich mich mit anderen Ländern, die ähnliche Probleme bereits gelöst haben. In den USA gab es einen Fall, bei dem mehrere Unternehmen Öl in einem Tank gelagert hatten. Dieser Tank schlug leck und das Öl lief ins Grundwasser. Erst wusste man nicht: Welches Unternehmen ist dafür haftbar zu machen? Am Ende hat man die Unternehmen einfach prozentual nach ihrem jeweiligen Öl-Anteil in dem Tank in Haftung genommen. Ähnliche Fälle werte ich aus und prüfe, ob sie auf deutsches Recht übertragbar sind.

    Keine Wüste im Nahen Osten, sondern der Ochsenfurter Gau im August 2019
    Keine Wüste im Nahen Osten, sondern der Ochsenfurter Gau im August 2019 Foto: Symbolfoto: Daniel Biscan

    Haben andere europäische Länder eine Lösung für die schwer zu beweisende Kausalität?

    Simon: Ja, zum Beispiel Frankreich. Nehmen wir den Fall eines Patienten, der trotz eines Behandlungsfehlers seines Arztes nicht beweisen kann, dass sein erlittener Schaden eindeutig auf den Fehler des Arztes und nicht auf persönliche Vorerkrankungen zurückzuführen ist. Das französische Haftungsrecht sagt in diesem Fall: Der Patient kann bereits seine verlorene Heilungschance haftbar machen. Dann wird nur der prozentuale Anteil, der bestimmt, wie sehr der Behandlungsfehler des Arztes das Risiko der Erkrankung erhöht hat, als Schadensersatz berechnet.

    Könnte der peruanische Bauer also Recht bekommen, indem er RWE nur zum Teil haftbar macht?

    Simon: Das hat der Kläger vor. Wenn RWE nach Berechnungen des Forschungsverbundes "Global Carbon Atlas" durch seine Emissionen von 1990 bis 2014 etwa 0,45 Prozent zum weltweiten Klimawandel beigetragen hat, könnte man sagen: Zu 0,45 Prozent hat RWE die Wahrscheinlichkeit des Klimawandels und damit indirekt auch des Schadenseintritts in den Anden erhöht. Deshalb bekommt der Bauer auch nur 0,45 Prozent seines Schadens von RWE ersetzt. Ob diese Lösung mit deutschem Recht konform wäre, dazu forsche ich.

    Bei abschmelzenden Gletschern ist die Kausalität vermutlich noch einfacher nachzuweisen als bei Extremwetterereignissen mit Überflutungen - oder?

    Simon: Ja. Der ansteigende Meeresspiegel oder abschmelzende Gletscher sind Ereignisse, die langsam vonstatten gehen und die man messen kann. Extremwetterereignisse aber gab es schon immer. Wir können nur sagen: Dieser Starkregen wurde zu 60 Prozent wahrscheinlicher und in seiner Intensität stärker durch den Klimawandel. Es gibt mittlerweile einen eigenen Wissenschaftszweig, die "Attributionsforschung", die genau diese Prozentangaben errechnet.

    Ist es überhaupt realistisch, dass so eine Klimaklage in Zukunft Erfolg hat?

    Simon: Die Kausalität herzuleiten ist aus rechtlicher Sicht zwar schwierig, aber nicht unmöglich.

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