Für Kim Krämer aus Schwanfeld im Landkreis Schweinfurt sollte 1996 ein schicksalhaftes Jahr werden: Eines, das den heute 44-Jährigen zwar aus der Bahn werfen sollte, aber auch eben in jene Bahn bringen, die zu seiner tiefen Leidenschaft geworden ist.
Krämer, damals 19 Jahre alt, war tagsüber beim Snowboarden in der Rhön. Als er am Abend noch unterwegs zu einem Freund war, überschlug sich auf dem Weg dorthin sein Auto und prallte gegen einen Baum. Krämer lag nach diesem schweren Unfall zwei Wochen im künstlichen Koma. "Das erste Mal habe ich etwas mitbekommen, als ich von Schweinfurt nach Murnau verlegt wurde", erinnert sich Krämer im Gespräch mit dieser Redaktion an den Hubschrauberflug zur Unfallklinik in Südbayern, in der er acht Monate lang die Reha absolvierte.
Von der Rehaklinik ging's direkt ins Stadion
Er habe in dieser Zeit oft Besuch von seiner Familie und Freunden bekommen. "Sobald es möglich war, hat mich der Erste direkt mit zum Fußball nach München genommen", erzählt Krämer. Das war 1997 – und der Beginn von seiner Verbindung zum FC Bayern München.

Krämer war danach oft in München im Stadion, um gemeinsam mit einer Begleitung bei den Partien des FC Bayern mitzufiebern. Für den 44-Jährigen sei es ein ganz besonderer Moment gewesen, als er – nachdem er einen elektrischen Rollstuhl bekommen hatte – zum ersten Mal selbstständig und ohne Begleitperson mit seinem "E-Rolli" ins Olympiastadion fahren konnte.
Die Tickets für die Bayern-Spiele organisierte er sich damals über den Verein Rollwagerl 93, dem "ersten Rolli-Fanklub des FC Bayern München". Der Verein betreut bei Heim- und Auswärtsspielen der Münchener Menschen mit Behinderung, egal ob sie Bayern-Fans sind oder Anhänger anderer Klubs. Zudem vermittelt er Tickets an Rollstuhlfahrer und deren Begleitungen.
Ab 2008 war Krämer dann selbst im Verein als Ticketmanager tätig, seit 2013 ist er dessen erster Vorsitzender. Zwei weitere Unterfranken gehören dem Vorstand an: Andreas Ruhl ist dritter Vorsitzender, Kristine Ruhl wacht über die Vereinskasse – beide kommen aus Würzburg. Getragen wird das Rollwagerl-Projekt von 25 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die bei Heim- und Auswärtsspielen sowie zu besonderen Anlässen wie Vereinsversammlung, Sommerfest oder Weihnachtsfeier, unterstützend tätig sind.
Kim Krämer: Behindertenfanbeauftragter beim FC Bayern München
Krämer ist ebenso beim FC Bayern direkt als Fanbeauftragter für Menschen mit Behinderung aktiv. Bei dieser Aufgabe, die er 2014 übernommen hat, vertritt er den Klub "in Sachen von Barrierefreiheit und Inklusion". Dafür ist er auch international unterwegs. Früher hätten viele Behindertenfanbeauftragten selbst eine Behinderung gehabt, berichtet der Schwanfelder, das sei heutzutage nicht mehr so. Hilfreich sei es dennoch, wenn man selbst eine Behinderung habe, findet er, da man sich besser in den Anderen hineinversetzen könne.

Menschen mit Behinderung an den Spieltagen des FC Bayern zu betreuen, ist seine Hauptaufgabe. Sein Ziel sei es, "einen komfortablen Spieltagsbesuch für Menschen mit Behinderung zu organisieren", erklärt er. Dazu gehöre, die Tickets zu besorgen, Übernachtungsmöglichkeiten zu finden und ihre Anreise zu planen.
"Das Thema Inklusion ist nie zu Ende. Wir haben noch viel vor uns, aber wir haben auch schon viel erreicht."
Kim Krämer gegenüber dieser Redaktion
Der Spieltag beginne für den 44-Jährigen in der Regel zwei Stunden, bevor die Stadiontore öffnen. Der FC Bayern hat für Fans mit Behinderung einen Fantreff, den "Rollwagerl-Shop", im Stadion eingerichtet, in dem sich die Anhänger der Münchener austauschen können. Krämer sagt, das sei "einzigartig in der Bundesliga". Zudem verteile er die Stellplätze für erhöhte Fahrzeuge und kümmere sich beispielsweise um die Akkreditierung für die zwei Begleitpersonen, die schwerstbehinderte Menschen beim Stadionbesuch unterstützen.
Bester Moment im Leben – und Anreise mit der Bahn eine "Katastrophe"
Als "besten Moment im Leben" beschreibt Krämer einen Spieltag, an dem er eine Stadionbesuch für einen Menschen mit Schwerstbehinderung, der beatmet werden musste und seine zwei Pflegerinnen organisiert hat. Als er die Drei während des Spiels besucht habe, hätten alle glücklich gegrinst. "Das ist die größte Emotion, die ich beim Fußball erlebt habe", sagt Krämer.
Er freut sich sehr darüber, Menschen ein solches Erlebnis zu ermöglichen. Denn selbstverständlich sei das nicht. Beispielsweise sei schon die Anreise mit der Bahn in Deutschland "eine Katastrophe".
Kim Krämer: "Das Thema Inklusion ist nie zu Ende"
Allgemein gebe es "seit der Weltmeisterschaft 2006 eine super Struktur in Deutschland", erzählt Krämer. Dazu zählen beispielsweise flächendeckende Sehbehinderten-Reportagen bis in die dritte, vierte Liga hinab für Menschen, die das Stadionerlebnis nicht oder kaum sehen können.
Krämer sagt aber auch: "Das Thema Inklusion ist nie zu Ende. Wir haben schon viel erreicht, haben aber auch noch viel vor uns." Während der Corona-Pandemie sei beispielsweise die Fanklub-Webseite barrierefrei gestaltet worden. Außerdem biete der Fanklub, der fast 900 Mitglieder hat, darunter 800 mit Rollstuhl, das einzige Online-Ticketing für Menschen mit Behinderung an. Kim Krämer und seine Rollwagerl-Kollegen tragen als Teil der Bayern-Familie dazu bei, die Inklusion voranzubringen.