Aus dem
Archiv des Deutschen Presserates
habe ich eine Entscheidung zu Satiren herausgesucht. Dazu erkläre ich vorbeugend, dass sie die besonders weit gesetzten Grenzen nicht überschreitet, die bei dieser speziellen Form der oft auch künstlerischen Meinungsäußerung gelten. Das festzustellen fällt mir umso leichter, weil es zuvor schon der Presserat getan hat. Der hat als freiwillige Selbstkontroll-Instanz die Veröffentlichung ethisch bewertet. Das ist keine Rechtsprechung auf der Grundlage von Gesetzen. Das ist eine ethische Bewertung nach Richtlinien des Pressekodex, die ein Leser durch seine Beschwerde notwendig gemacht hat.
Wen es interesssiert: In Sachen Jan Böhmermann konnte der Presserat nicht Aktion treten, weil er nur für die journalistischen Produkte von Zeitungen und Zeitschriften zuständig ist. Die haben den Presserat ins Leben gerufen. Bei anderen Medien fehlt eine solche freiwillige Kontroll-Einrichtung gänzlich.
Der Fall
2012 beschäftigte sich die Online-Ausgabe einer überregionalen Tageszeitung satirisch mit dem Dalai Lama. In einem Beitrag hieß es:
„Bleibt also nur die Frage, was der Dalai Gaga uns als nächstes erzählen wird.“
Die Menschenwürde des Dalai Lama sah dadurch ein Leser verletzt. Und: Die Leiden der Tibeter würden dadurch verhöhnt. Diese Vorwürfe gab er als Beschwerde an den Presserat.
Erleuchtetes Wesen
Auch in der Stellungnahme der Rechtsvertretung der Zeitung zur Beschwerde kann man Merkmale von Satire entdecken:
Der Dalai Lama werde im tibetischen Buddhismus als erleuchtetes, respektive göttliches Wesen, verstanden. Ob darauf der Begriff der Menschenwürde anzuwenden ist, sei fragwürdig. Aber selbst wenn man ihm die Teilhabe an einem so „schnöden Grundrecht“ zubillige, sei diese durchaus gewahrt worden.
Merkwürdige Ansichten
Die Begründung der Rechtsvertreter:
„Dalai Gaga“
könne nicht isoliert betrachtet werden. Der Artikel sei auf einer Seite mit Satire-Charakter erschienen. Öffentlich bekundete Ansichten des Dalai Lama seien aufgezählt. Und die müssten Sterblichen höchst merkwürdig erscheinen. Wegen dieser Äußerungen gelange der Autor zu der tatsachenbasierten Schlussfolgerung, „seine Heiligkeit“ als
„Dalai Gaga“
zu bezeichnen. Laut Duden stehe
„Gaga“
für
„Nicht recht bei Verstand“
. Bezugsgröße könne hier freilich nur der Verstand von Sterblichen sein.
Auch der "sterbliche" Beschwerdeausschuss des Presserates sah Presseethik nicht verletzt.
„Dalai Gaga“
sei zugespitzte, im Rahmen einer Satire vertretbare Kritik an Äußerungen des Oberhauptes der tibetischen Buddhisten
.
Übertreibungen gehören dazu
Richter hätten darüber mutmaßlich kaum anders geurteilt, aber dann auf der Basis von Gesetzen und deren bisheriger Auslegung. Zu deren besseren Verständnis einige Entscheidungsbegründungen aus Gerichtsurteilen, die als Maßstäbe für Satiren gelten können. Ich habe sie aus dem Handbuch des Presserechts (6.Aufl. Ricker/Weberling, Seiten 358, 359, 360 und 361) herausgelesen. Es mag sein, dass Juristen, die eine oder andere der nun folgenden Passagen nicht ganz so einordnen. Dennoch kann darüber das Verständnis für Möglichkeiten und Grenzen von Satire wachsen.
So habe ich dem Buch entnommen:
"Auch wenn der Kunstfreiheit - anders als der Meinungsfreiheit - keine ausdrücklichen Grenzen gesetzt sind, so hat auch dieses Grundrecht verfassungsimmanente Schranken, wie etwa die Menschwürde und das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Bundesverfassungsgericht)". Eine Niveaukontrolle findet im Rahmen dieser Abgrenzung nicht statt, so dass auf Qualität, Niveau oder Geschmack nicht abgestellt werden darf.
Folglich muss man auch den Spott auf den Dalai Lama nicht gut finden. Zulässig ist er, besonders weil er kritische (hier satirische) Reaktion auf seine öffentlich gemachten Aussagen ist.
Größeres Maß an Gestaltungsfreiheit
Weiter kann man in dem einschlägigen Handbuch des Rechts nachlesen,
... dass karikierte Personen die Satire dann umso mehr hinzunehmen haben, "als diese durch ihre Übertreibung eine besonders pointierte Darstellungsform im Interesse der Meinungs- und Willensbildung darstellt." Es gehöre zu ihrem Wesen, "mit Übertreibungen und grotesken Verzerrungen zu arbeiten“. Daher komme ihr und der Karikatur die Kunstfreiheit zugute. Dieser ist ein größeres Maß an Gestaltungsfreiraum zugestanden. Aber auch Satire darf unter dem Deckmantel der Kunst keine unwahren Behauptungen aufstellen.
Bloße Verächtlichmachung kein Mittel des Meinungskampfes
Ach ja, der Dalei Lama, der hat die Übertreibung wohl (lächelnd?) hingenommen. Mir ist nicht bekannt, dass er dagegen den Rechtsweg beschritten hat. Vielleicht hätte er es getan, wenn z.B. beleidigende Schimpfwörter aus der Fäkalsprache gegen ihn verwendet worden wären.
Auch wenn der Begriff "Schmähkritik" ansonsten im Interesse der Meinungsfreiheit eng auszulegen ist. Überschritten ist die Grenze zur unzulässigen Schmähkritik, wenn das abwertende Urteil zur bloßen Verächtlichmachung einer Person herbsinkt, die jeden sachlichen Bezug zu dem Standpunkt vermissen lässt, den ein Kritiker vertritt und damit kein adäquates Mittel des Meinungskampfes mehr ist (Bundesverfassungsgericht).
Schutzwürdiger Kern des Intimlebens
Nun zitiere ich wörtlich aus dem juristischen Nachschlagewerk:
"Die Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik erfordert regelmäßig die Berücksichtiung von Anlass und Kontext der Äußerung; sie ist ausnahmsweise aber ohne Weiteres zu bejahen, wenn z.B. beleidigende Schimpfwörter aus der Fäkalsprache verwendet werden."
An anderer Stelle heißt es,
"...auch die Menschenwürde setzt der Satire eine absolute Schranke <...>. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn Gegenstände aus dem Intimssphäre in einer vulgären Form und Ausdrucksweise karikiert werden. Gerade die Darstellung sexueller Verhaltensweisen, die zum schutzwürdigen Kern des Intimlebens gehören, entkleidet den Betroffenen seiner Würde als Mensch."
Hinter diesen Schranken kann es dann passieren, dass Richter eine gravierende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtes erkennen, die sie durch die Freiheit künstlerischer Betätigung nicht mehr gedeckt sehen.
Nun soll es genug sein mit juristischen Formulierungen, zumal es ohnehin immer auf die Umstände des Einzelfalles ankommt. Und die waren zumindest in Sachen Dalei Lama kaum justiziabel.
Hier frühere Veröffentlichungen zu Satiren und Karikaturen in der Kolumne "Leseranwalt":




Anton Sahlender
, Leseranwalt