Angst vor schmutzigen Händen hatte er nie und ordentlich zupacken kann Norbert Gernert noch heute. Dennoch ist es für den 71-Jährigen an der Zeit, den Brennstoffhandel aufzugeben, der 1861 von seinem Urgroßvater Anton Gernert gegründet wurde. Damit geht in Bad Königshofen die 140 Jahre lange Geschichte des noch am längsten existierenden Familienbetriebes zu Ende. Dabei hatte im Frühjahr die Industrie-und Handelskammer aus Würzburg bei ihm angefragt, ob man bei etwaigen Jubiläumsfeierlichkeiten helfen könne, schmunzelt Gernert beim Gespräch mit der Redaktion.
Denn da war schon längst entschieden, dass es nicht weitergeht, das Gelände schon verkauft, auf dem jetzt noch die vom Urgroßvater erbaute Ziegelei steht und auf dem nahe der Innenstadt in ruhiger Lage ein Bauträger 16 Doppelhaushälften errichten will, von denen zehn schon jetzt verkauft sind, wie Helmut Zwierlein von der Immobilienabteilung der Sparkasse Bad Neustadt sagt. Bevor ans Bauen zu denken ist, muss aber erst einmal abgerissen werden. Stehen bleiben wird natürlich das letzte der alten Stadttore, das wieder begehbar gemacht werden soll.

Am 1. Oktober will die Firma Väth aus Marktheidenfeld mit den Abbrucharbeiten beginnen, bei der auch die Ziegelei verschwinden wird. Dort hatten der Urgroßvater und später der Großvater mit bis zu 15 Mitarbeitern Backsteine und Dachziegeln produziert und nebenbei einen Brennstoffhandel, wie so viele Ziegeleien in dieser Zeit, die meist mit Kohlenstaub betrieben wurden und selbst einen großen Energiebedarf hatten.
Großvater reagierte mit Humor auf Kohlenklau während des Krieges
Zeitweise nutzte der Künstler Erich Mutze einen Raum in dem Betrieb zur Fertigung seiner Reliefs und Figuren aus Ton. Zudem muss der Großvater ein Mann mit Herz und Humor gewesen sein, wenn die Anekdote stimmt, die über ihn erzählt wird. Während der Kriegszeit wurden schon mal Kohle gestohlen. "Nehmt von den Briketts", soll der Großvater nachts gerufen haben, "von der Steinkohle haben wir nicht so viel."
Dessen Bruder Georg war ein regelrechter Abenteurer, war er doch Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA ausgewandert und hatte es dort als Tigertrainer, Abenteurer und Schauspieler zu einiger Berühmtheit gebracht. Aber auch den Großvater umwehte ein wenig Promi-Luft, als er in seiner Funktion als 2. Bürgermeister von Königshofen zusammen mit dem seinerzeit sehr populären General Paul von Hindenburg gemeinsam in einer Kutsche sitzen durfte. Die Stadt hatte dem späteren Reichspräsidenten, der aus Anlass eines Manövers hier weilte, einen ehrenvollen Empfang ausgerichtet.
1977 hatte Norbert Gernert den Betrieb von seinem Vater übernommen. Damals rauchte der Schlot der Ziegelei schon lange nicht mehr. Bereits 1956 wurde die Ziegelei aufgegeben. Zum einen, weil die Maschinen veraltet waren - während des 2. Weltkrieges war der Betrieb geschlossen - zum anderen, weil die neu entwickelten Baustoffe, wie Hohlblöcke, eine zu starke Konkurrenz bedeuteten. "Damals gab es ein großes Ziegeleisterben", weiß Gernert. Auf dem Brennstoffsektor hatte das Öl immer mehr an Bedeutung gewonnen. 3,5 Pfennige kostete in den 60er Jahren, lange vor der Ölkrise, ein Liter des fossilen Brennstoffs. Aber immer noch deutlich zu viel, jedenfalls für den damaligen Chef des vis a vis gelegenen Krankenhauses, der sich über den hohen Preis bitter beklagt hatte.

1968 kostete ein Zentner Kohle frei Haus 2,80 D-Mark
2,80 D-Mark kostete 1968 ein Zentner Kohle frei Haus geliefert. "Heute sind es 15 Euro", sagt Gernert, der vor allem im nahe gelegenen Thüringen eine ganze Reihe Kunden hatte, die er noch in der jüngeren Vergangenheit mit Braunkohle-Briketts belieferte. Wobei es sich allerdings um westdeutsche Braunkohle handelte, die zehn Prozent mehr Heizleistung, 30 Prozent weniger Aschebildung und 60 Prozent weniger Emissionen erzeuge, als die Kohle aus dem Osten.
Der beste Kunde habe eine Zeit lang jedes Jahr 16 Tonnen bestellt, sagt Gernert und wundert sich noch heute, wie und wann der gute Mann die 320 Zentner verheizt hat. Geliefert hat er aber auch in Gemeinden Richtung Schweinfurt und Bad Kissingen. Wenn es um Öl ging, arbeitete er mit anderen Händlern zusammen, weil er keine eigenen Tankwagen besaß. Einen Einblick in die Geschäftstätigkeit vom Anfang des 20. Jahrhunderts bieten die beiden dicken Bücher, die Gernert noch verwahrt und die er zum Gespräch in die Redaktion mitgebracht hatte.

Angst vor Erkrankungen durch den täglichen Umgang mit Kohle hatte Norbert Gernert nie. "Ich hab' jede Menge Kohlenstaub geschluckt, da hätte ich längst eine Staublunge bekommen müssen", gibt er zu bedenken und macht deutlich, dass sich Kohlenstaub nicht auf die Lunge lege, im Gegensatz zu Steinstaub, der bei der Arbeit mit Presslufthämmern in Stollen entsteht. Mit dem Klimawandel und der damit in Kritik geratenen fossilen Brennstoffe sowie mehr staatlichen Auflagen ist in den letzten Jahren der Handel immer schwieriger geworden. Auch deshalb ist für Gernert der richtige Zeitpunkt gekommen, aufzuhören. Die Händler, mit denen er unlängst gesprochen hat, sehen jedenfalls alles andere als optimistisch in die Zukunft.
