Tobias Blesch hat wahrscheinlich einen der schönsten Bürgermeister–Arbeitsplätze. Vor sich einen alten Eichenbalken, wahrscheinlich aus der Erbauungszeit (1772). Wenn er aus dem Fenster schaut, sieht er den idyllischen Wipfelder Marktplatz. Freitreppe und Empore sind ein schöner Ort, um den Blick schweifen zu lassen. Deswegen freut er sich, dass er bald wieder hier sitzen kann, im Obergeschoss des historischen Wipfelder Rathauses. Es wurde nämlich saniert, mit einigem Aufwand. Am 30. Juni ist die Eröffnung.
"Das hat mir schon gefehlt", sagt Blesch bei einem Rundgang durch das Haus mit Zweiter Bürgermeisterin Maria Lindner und Werner Oechsner, der die Bauarbeiten von Anfang an fotografiert hat. Ihm ist das Fachwerk-Gebäude sichtlich ans Herz gewachsen. Vor allem der Dachstuhl hat es ihm angetan. "Hier sieht man am stärksten, was sich verändert hat."
Neue Heizung und Dämmung
So schön dass Rathaus auch von außen ausgesehen hat, in energetischer Hinsicht war es ein Problemfall. Fenster wurden ausgetauscht, eine Dämmung zwischen Obergeschoss und Dachboden eingezogen. Und eine neue Heizung eingebaut. "Elektro-Nachtspeicherheizung geht nicht mehr", sagt Blesch. Stattdessen wird mit Holzpellets geheizt. Eineumweltfreundliche Lösung war dem Gemeinderat wichtig- auch, weil sich das positiv auf die Zuschüsse auswirkt. 600 000 Euro hat die Sanierung insgesamt gekostet, es gibt 50 Prozent Zuschuss. Die Heizung steht im benachbarten Schwesternhaus, versorgt beide Häuser.

Im Gewölbekeller wurde eine Lüftungsanlage eingebaut - auch ein Weg zu verhindern, dass Feuchtigkeit in die Wände steigt, sagen Blesch und Lindner. Ältere Wipfelder erinnern sich vielleicht noch an die Gefriertruhen, die hier einmal standen. Wie in vielen Gemeinden gab es auch hier so eine Art Gefrierzentrale für die Allgemeinheit. "Die standen bis Anfang der 90er", erinnert sich die Runde.
Und einige werden sich bestimmt an die Bocksbeutelbar erinnern, die hier beim Weinfest aufgebaut war. Und an die steile Treppe, die nach oben führt. Jetzt ist hier ein schöner Raum entstanden, in dem auch mal kulturelle Veranstaltungen stattfinden können. " Wenn im Literaturhaus nicht genug Platz ist", meint Blesch.
Dach war schadhaft
Dach und Holz: Das waren die Hauptprobleme bei der Sanierung. Das Dach war schadhaft, auch die Deckenbalken geschädigt. Die Wand zum Schwesternhaus, dem Nachbargebäude, war in besonders schlechtem Zustand. Vermutlich ist hier über Jahrzehnte Wasser eingedrungen, heißt es in einer Zusammenstellung des Architekturbüros Benedikt Gerber. Oben im Dachboden ist jetzt eine neue Tragkonstruktion vor diese Wand gesetzt. Fäulnis hatte die Fachwerkhölzer zerstört.

Im Mai 2018 startete die Sanierung, im Prinzip hat alles gut geklappt, sagen Blesch und Lindner. Wie es aber bei alten Häusern so ist: manchmal ist etwas komplizierter, als gedacht. Im Trauzimmer waren die Hölzer in der Fachwerkwand nicht mehr tragfähig, Stahlbetonbauteile und Mauerwerk wurden eingesetzt. Der Denkmalschutz war beteiligt, es ging alles nur in kleinen Abschnitten. Die Folge: Die Sanierung dauerte gut fünf Monate länger als geplant.
Neugestaltung in der Nazi-Zeit
Das Gebäude wurde 1727 über einem Kern gebaut, der auf das Jahr 1556 zurückgeht. Was es in dieser Zeit alles erlebt hat, zeigt sich im historischen Sitzungssaal. Der Gemeinderat tagt jetzt im Untergeschoss, im weitaus größeren Bürgersaal. 1942/1943 wurde das Obergeschoss neu gestaltet. Im Geist des Nationalsozialismus. Und mit viel Holz.

Bürgermeister Josef Mitesser war Eichenholzhändler und auf Parkett spezialisiert, schreibt der ehemalige Kreisheimatpfleger Karl-Heinz Hennig. Den Sitzungssaal beschreibt er so. "Hier wurde gleichsam ein Walhall für Gemeindevertreter geschaffen." Mit Reichsadler, Lampen im Fackel-Stil. Adler und Fackeln werden eingelagert, sagt Tobias Blesch, nicht mehr aufgehängt. Den Reichsadler in den Stühlen hat man 1945 ausgekratzt. Und das Wandgemälde (es wurde jetzt auch restauriert) mit der Geschichte Wipfelds ebenfalls rasch bearbeitet: Wo ein Soldat die Naziherrschaft symbolisierte, prangt jetzt ein Weinberg.

Hennig hat in seinen Betrachtungen über das Rathaus 1998 folgende Anekdote aufgenommen. "Als die Amerikaner am Ende des Krieges den Sitzungssaal betraten, muss angesichts der vielen Hakenkreuze ein Soldat durchgedreht haben. Es ist von einem Zeitzeugen überliefert, dass er sein Gewehr auf den Ratstisch richtete und abdrückte."
Grundgesetz über Hitler-Spruch
Hennig gibt den Besuchern aber auch noch folgendes mit auf den Weg: "Wenn Sie jetzt das Rathaus verlassen, sollten Sie nicht mit der Meinung gehen, dass die Wipfelder große Nazis gewesen seien. Bei den Reichstagswahlen 1933 haben noch zirka 50 Prozent der Wipfelder die Bayerische Volkspartei gewählt, 31 Prozent die NSDAP. Die Wipfelder hatten damals nicht bedacht, dass eine Renovierung ihres Rathauses während des Dritten Reiches eben maßgeblich von der Reichskulturkammer beeinflusst wird."

Am Eingang zur alten Kanzlei, dem jetzigen Bürgermeister-Zimmer, hängt nach der Renovierung bald wieder großformatig Artikel 5 des Grundgesetzes: Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft wird darin garantiert. Die Grundgesetz-Tafel hat einen Sinn: Sie verdeckt einen Hitler-Spruch. Das Wipfelder Rathaus ist eben ein Geschichtsbuch. Und eine ganz besondere Zeitkapsel.
Die offizielle Einweihung ist am Sonntag, 30. Juni, um 11 Uhr. Ab 12 Uhr gibt es einen öffentlichen Empfang am Marktplatz, bis 15 Uhr gibt es Programm: Rathausrundgang, Führungen. Außerdem werden im Rathaus historische Bilder und ein Baustellentagebuch ausgestellt.