Zum Gespräch erscheint Lui Böhler mit kariertem Hemd und karierter Mütze – letztere ist neben der Glatze in Kombination mit Lockenmähne sein Markenzeichen. Auch ohne Schminke und Clowns-Utensilien ist er als "Herr Lui" zu erkennen – oft genug stand er vor allem durch seine zirkuspädagogische Arbeit in der Öffentlichkeit. Ein Projekt, der Circus Wirbelwind, den Böhler in Zusammenarbeit mit dem Landkreis Würzburg leitet, feiert in diesem Jahr 30-jähriges Bestehen.
Jeweils in der vierten und fünften Woche der Sommerferien wird das Wirbelwind-Zirkuszelt in einer Gemeinde im Landkreis Würzburg aufgebaut, wo dann knapp 40 Kinder und Jugendliche von neun bis 18 Jahren je eine Woche auf dem Zirkusplatz leben und trainieren. Seit 2008 hat Lui Böhler die Zirkusleitung bei Wirbelwind übernommen – und in all den Jahren rund 2000 Kinder durch 120 Vorstellungen begleitet.

Neben dem Circus Wirbelwind ist Böhler noch an anderen regelmäßig stattfindenden bundes- und unterfrankenweiten Zirkusprojekten beteiligt; dazu kommen Schulprojekte und eigene Auftritte als Clown und Feuerfakir. Von März bis November ist der 51-Jährige auf Tour und höchstens an den Wochenenden zuhause. Seine Basis ist Reichenberg, wo er seit 1994 wohnt. "Meine Frau, Familie und Freunde leben dort, und ich habe dort meine Lagerhalle und Werkstatt", sagt Böhler. "In Reichenberg sind meine Wurzeln, da fühle ich mich heimisch."
Wie wurde aus Lui Böhler Clown Herr Lui – und woraus zieht er die Energie für ein Leben mit wenig Konstanten, aber viel Verantwortung? Ersten Kontakt mit der Zirkuswelt hat Böhler als Gruppenleiter bei Zirkusfreizeiten; danach bildet er sich autodidaktisch weiter. Nach seinem Zivildienst im St. Josefs-Stift Eisingen, wo er anschließend zunächst weiterarbeitet, besucht er Schulungen zum Clown und Feuerfakir. Mit 24 Jahren trifft er die Entscheidung, sich als Clown, Feuerfakir und Zirkuspädagoge selbständig zu machen.
Clown: Kein Job von neun bis 18 Uhr
"Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht“, erklärt Böhler. Bereut habe er das nie – auch nicht während Corona, als viele seiner Projekte wegbrachen und er sich mit Handwerksjobs und dem Verkauf von selbst kreierten "Stimmungsartikeln", wie zum Beispiel einem Memo-Spiel mit Clown Herrn Lui vor Würzburger Sehenswürdigkeiten, über Wasser hielt.
Gerade bei den Zirkuswochen trage er viel Verantwortung. "Das ist kein Job von neun bis 18 Uhr. Er beginnt mit dem Wecken der Kinder und endet vielleicht mit einer Teambesprechung um ein Uhr nachts." Als Belastung empfindet er dies aber nicht, "vor Ort brauche ich keinen Ausgleich, Zirkus ist mein Leben", so Böhler.
"Es ist wichtig, dass Kinder erleben, dass sie etwas bewirken können."
Lui Böhler, Zirkuspädagoge

Als er angefangen habe, als Clown zu arbeiten, sei er oft belächelt worden. Viele Kommentare zu seinem Beruf seien von oben herab gewesen. "Es ist für die meisten nicht greifbar, was ich tue", erklärt sich Böhler die Reaktionen. Erst durch sein jahrelanges Wirken sei die Außenwahrnehmung gekippt: "Ich bin erfolgreich, schon lange dabei – und kann von meinem Beruf leben."
In der zirkuspädagogischen Arbeit geht es Böhler um ein Miteinander und um Augenhöhe, "ich bin kein Lehrer". Dennoch ist es ihm ein großes Anliegen, etwas an Kinder und Jugendliche weiterzugeben: die Möglichkeit, eigene Erfahrungen zu sammeln.
Beim Zirkus führen die Kinder Regie
Im Zirkus findet jeder seinen Platz, ist er überzeugt. Jedes Camp des Circus Wirbelwind sucht sich für die Vorstellung selbst ein Thema aus – und jedes Kind entscheidet nach einem Schnuppertraining, was es am liebsten machen möchte: Ob Akrobatik auf dem Trapez, dem Drahtseil oder am Boden, ob als Clown oder als Fakir – die Teilnehmenden trainieren je zwei Nummern.
"Die Kinder führen selbst Regie über ihre Vorstellung", erklärt Böhler. Die Mitglieder der "Programmdurchführungsgruppe" verbinden die einzelnen Nummern, Musik wird selbst ausgesucht, die Deko selbst gestaltet. "Es ist wichtig, dass Kinder erleben, dass sie etwas bewirken können", so Böhler. Hat ein Kind eine Idee, schaue man zusammen, wie es diese umsetzen könne.
Zirkus als Inklusionsprojekt
"Mitbestimmen und selber machen" sei das Motto – ohne Leistungsdruck, Konkurrenzkampf oder Bewertung, ein "höher, besser, weiter" gebe es in den Zirkusprojekten nicht, sagt Böhler. Allen sei bewusst, dass die Vorstellung nur so gut werden könne, wie ihr schwächstes Glied. "Nur, wenn alle zusammenarbeiten, funktioniert das Ganze."
Alle Zirkusprojekte von Lui Böhler sind inklusiv. "Es ist wichtig, Kontakt zu Kindern mit Behinderung zu haben – auch, um Ängste abzubauen", sagt er. "Beim Zirkus sind alle gleich – hier kann man Kontakte knüpfen, die in der Realität wünschenswert wären, die man aber oft nicht hat." Kinder, die eine besondere Unterstützung benötigen, erhalten diese zum Beispiel dadurch, dass die Kommunikation durch Bildkarten unterstützt wird, um Begrifflichkeiten zu verdeutlichen.
"Als Clown sollte ich auch merken, wenn etwas zuviel ist oder stört."
Lui Böhler, Clown und Feuerfakir aus Reichenberg

Eine Begleitung, wie sonst oft bei inklusiven Projekten üblich, haben die Kinder in der Zirkuswoche nicht. Böhler und seinem Team ist es wichtig, "Menschen mit Handicap zu unterstützen, sie aber selbst Entscheidungen treffen zu lassen". "Unsere Trainer fangen viel auf, unter ihnen sind auch einige Sozialpädagogen", sagt Böhler. Und so gelingt es, dass ein 13-jähriger blinder Junge Kunststücke auf Trapez und Drahtseil einstudiert, und Kinder mit Down-Syndrom ganz selbstverständlich als Fakir auftreten oder die Programmgruppe mitgestalten.
Wieviel Lui Böhler steckt im Clown Herr Lui? "Ein großer Teil", sagt Böhler, der insgesamt drei Kunstfiguren verkörpert: den Einlassdirektor, den Feuerfakir – und den alten Clown, der seinen Zirkus sucht, ihn aber nicht findet und dafür die Hilfe des Publikums braucht.

Was muss ein guter Clown können? Offenheit sei eine wichtige Voraussetzung, erklärt Böhler, "auch kleine Stimmen zu hören – und eigene Emotionen mal unterdrücken zu können". Etwa bei einem Auftritt auf der Kinderkrebsstation, "bei dem man Freude vermitteln will, auch wenn man danach Zeit braucht, um die Eindrücke zu verdauen."
Mit Menschen zusammenarbeiten zu wollen und auf sie einzugehen, sei ebenfalls essentiell. "Viele spielen nach einem festen Drehbuch den Clown", hat Böhler beobachtet. Es sei aber wichtig, auf das Publikum zu reagieren und Teil dessen zu sein, was gerade vor Ort stattfinde. "Als Clown sollte ich auch merken, wenn etwas zuviel ist oder stört." Böhler liebt es, dem Gegenüber einen Spiegel vorzuhalten und zu schauen, ob dieser sich selbst darin erkennt.

"Ich bin ein sehr humorvoller Mensch", sagt Böhler. Auch in seinem privaten Umgang sei immer etwas von Clown Lui dabei. Ihm macht es Spaß, Leute aus der Reserve zu locken, zum Beispiel, wenn er auf der Fahrt zum Auftritt, bereits geschminkt und im Clownskostüm, an der Ampel Kontakt mit anderen Autofahrern aufnimmt.
"In meinem Beruf gibt es keinen Stillstand, sondern immer Entwicklung", sagt Böhler. Er möchte als Clown sein Publikum berühren, eine Erinnerung beim Gegenüber hinterlassen – "und die muss nicht immer positiv sein".
Lui Böhler und 30 Jahre Circus WirbelwindLui Böhler alias "Herr Lui" ist Zirkuspädagoge und arbeitet seit 1989 als professioneller Clown und Feuerfakir. 1993 war er Mitbegründer des integrativen Kinder- und Jugendzirkusvereins "Circus Blamage" aus dem Landkreis Miltenberg. Gemeinsam mit Kollegen gründete er 1998 das bundesweit aktive Zirkusunternehmen "Circus Mumm". Seit 2006 arbeitet er als künstlerischer Leiter des "Zirkus Schnipp" der Jugendbildungsstätte Volkersberg. 2008 übernahm Böhler die künstlerische Leitung des "Circus Wirbelwind". Mehr auf www.herrlui.deDer Circus Wirbelwind wurde 1991 gegründet, ist ein Ferienprojekt des Landkreises Würzburg und feiert 2021 seinen 30. Geburtstag. Das Team umfasst auch frühere Teilnehmerkinder, die die Ausbildung zum Zirkustrainer gemacht haben. Mit einem umfangreichen Test- und Hygienekonzept konnte der Circus auch zu Coronazeiten 2020 und 2021 stattfinden.Quelle: cat